Schland der Corona-Schläfer
Erstellt von Redaktion am 10. Juli 2021
Uns passieren schwierige Dinge
Der letzte Schluck aus der Flasche bevor die Impf-dose den Rest erledigt.
Resilienz
Geschichte: Die psychologische Resilienzforschung begann mit den Studien von Emmy Werner. Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin hat rund 700 Kinder, die 1955 auf der hawaiianische Insel Kauai geboren wurden, 40 Jahre lang begleitet. Sie hat beobachtet, wie sie sich entwickeln, wie ihre Schulleistungen sind und was ihr Umfeld über sie sagt. Ein Drittel der Kinder wuchs unter schwierigen Bedingungen auf. Manche von ihnen wurden in Armut groß, die Eltern waren krank oder die Kinder traumatisiert. Werner stellte fest, dass wiederum ein Drittel dieser Kinder trotzdem zu gesunden Erwachsenen herangewachsen ist. Das lag einerseits daran, dass sie früh gelernt haben, das Beste aus Situationen zu machen und Verantwortung zu übernehmen, aber auch daran, dass sie Personen um sich hatten, die sie unterstützten und an sie glaubten.
Ländervergleich: Hierzulande nehmen sich etwas mehr Menschen als sehr resilient wahr, als Menschen in anderen Ländern. Das ist das Ergebnis der internationalen Forschungsstudie „Project Discovery“, die der britische Geländewagenhersteller Land Rover in Auftrag gegeben hat. Die Forschenden befragten insgesamt 7.000 Menschen aus sieben Ländern, darunter 1.000 aus Deutschland. Während sich im internationalen Durchschnitt nur 7 Prozent der Befragten als „sehr resilient“ bezeichneten, waren es in Deutschland zumindest 9,3 Prozent – der höchste Wert im Vergleich mit den USA, Großbritannien, Spanien, Italien, Frankreich und China. Im Alltag: Die meisten Teilnehmenden mit einer hohen Resilienz gaben bei der Studie an, Musik zu hören (55 Prozent). Im Vergleich zum Durchschnitt aller Befragten fällt vor allem auf: Resiliente Menschen lesen offenbar mehr Zeitung als andere – 43 Prozent der sich als sehr resilient Bezeichnenden sagten das über sich, im Durchschnitt waren es nur 28 Prozent. Die Studie zeigt außerdem, dass das Zusammenleben mit einer:einem Partner:in die Belastbarkeit stärkt. 67 Prozent aller Befragten mit hoher Resilienz leben in einem gemeinsamen Haushalt, während es bei den Menschen mit geringer Resilienz nur jede:r Zweite ist. Darüber, wie es sich mit anderen Wohnformen verhält, gibt die Studie keinen Aufschluss.
Pandemie: Die wahrgenommene Resilienz ist über den Verlauf der Pandemie hierzulande nur leicht zurückgegangen, wie die Cosmo-Studie unter anderem von der Universität Erfurt und dem Robert-Koch-Institut beobachtet hat. Als Grund nannten die Studienteilnehmenden vor allem das Wissen, sich nicht unterkriegen zu lassen, gefolgt von der Überzeugung, in der Lage zu sein, notwendige Wege zu finden, um weiterzumachen. Menschen über 50 Jahre weisen dabei eine höhere Resilienz auf, als jüngere Teilnehmende. Jüngere Menschen geben aber an, während der Pandemie mehr Unterstützung bekommen zu haben, vor allem von ihrer Familie.
Vergangene Krisen: Viele Gesellschaften gerieten während der Kälteperiode im 6. Jahrhundert nach Christus und der sogenannten Kleinen Eiszeit im 13. und 19. Jahrhundert unter Druck, aber sie konnten sich anpassen. Das zeigen zwei Fallstudien eines Forschungsteams unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. Die Forschenden identifizierten fünf Erfolgsstrategien, die die Gesellschaften anwendeten: neue sozioökonomische Möglichkeiten ergreifen; robuste Energiesysteme nutzen, neue Ressourcen durch Handel generieren, etwa zwischen feuchten und trockenen Regionen, politisch effektiv auf natürliche Extremereignisse reagieren oder in neue Umgebungen auswandern.
Quellen: „Project Discovery“; Universität Erfurt; Max-Planck-Institut
Wir sprechen gerade viel über Resilienz. Was sie mit einem Schwamm gemeinsam hat und warum sie gerade jetzt so wichtig für uns ist. Ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Isabella Helmreich und den Stressforscher Omar Hahad – führte Stella Schalamon.
taz am wochenende: Frau Helmreich, Herr Hahad, Resilienz scheint das Zauberwort unserer Zeit zu sein. Warum?
Isabella Helmreich: In der Pandemie haben wir gemerkt, wie sehr es unsere psychische Gesundheit beeinträchtigt, wenn wir nicht mehr so leicht unsere Freunde sehen und positive Erfahrungen machen können. Wir versuchen, Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen. Resilienz meint die Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung der psychischen Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensereignissen.
Omar Hahad: Die Menschen waren schon vor der Pandemie mit zunehmenden Lebenswidrigkeiten konfrontiert. Es gibt immer mehr Leistungsansprüche, immer mehr psychische Erkrankungen. Deshalb will man herausfinden, warum manche Menschen dabei stark und gesund bleiben, oder schnell wieder funktionieren und andere schon aus kleinen Krisen nicht mehr herauskommen.
Das Wort Resilienz ist so nichtssagend, haben Sie einen besseren Namen dafür?
Helmreich: Kein Wunder, denn ursprünglich ist es ein Fachwort aus der Materialkunde für Werkstoffe. Ich empfehle immer, an einen Tafelschwamm aus der Schule zu denken. Den kann man zusammenquetschen, an die Wand werfen, auf ihm herumtreten, aber er kehrt immer wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Abprallen, zurückspringen – das bedeutet Resilienz.
Alles Negative prallt einfach von mir ab, wenn ich resilient bin?
Helmreich: Das denken viele, aber resistent zu sein und Stress abprallen lassen zu können, ist nur ein Teil von Resilienz. Es geht darum, sich wie der Schwamm verformen zu lassen. Uns passieren schwierige Dinge, vielleicht entwickeln wir psychische Krankheiten, durchleben negative Emotionen, aber durch interne und externe Ressourcen regenerieren wir uns wieder.
Hahad: Resilienz bedeutet nicht, dass das Stressniveau auf einer Geraden bleibt. In einer stressigen Situation gibt es einen Ausschlag nach unten. Jeder Mensch ist stressreaktiv und das ist notwendig. Menschen, die resilienter sind, schaffen es aber, nach dem Tief schnell wieder auf das Ausgangsniveau zurückzukommen. Es gibt sogar Menschen, die es schaffen, nach einer Krise ein höheres Funktionsniveau zu erreichen, an ihr zu wachsen.
Nehmen wir ein Beispiel: Ich habe mich auf meinen Traumstudienplatz beworben, der genau das versprach, was ich in meinem Leben machen wollte, doch dann werde ich abgelehnt. Wie hilft mir Resilienz?
Helmreich: Es ist normal, dass Sie erst mal traurig oder verzweifelt sind. Aber als resilienter Mensch schaffen Sie es, eine Chance darin zu sehen. Sich ein Jahr Zeit für Praktika zu nehmen, neue Ideen zu entwickeln, oder wenn Ihnen das Ziel so wichtig ist, zu überlegen, wie Sie sich weiterqualifizieren können, um den Platz doch noch zu bekommen.
Und wenn ein mir sehr nahe stehender Mensch stirbt?
Helmreich: Auch da ist es wichtig, eine Phase der Trauer und des Abschieds zu haben. Das gehört dazu. Negative Emotionen sollen durch Resilienz nicht weggemacht werden, sie gehören zum Leben dazu und sind wichtig und nützlich. Resilient sein bedeutet nicht, sich gegen alles zu wappnen und keine Schwäche mehr zu zeigen. Aber es ist natürlich auch wichtig, irgendwann wieder aus der Trauer herauszukommen.
Was gehört zu den Ressourcen, die mir dabei helfen?
Helmreich: Ich vergleiche sie gern mit einem Blumenstrauß. Manche Ressourcen fallen direkt ins Auge, manche sind tief unten in meinem Strauß versteckt oder müssen erst noch ausgebildet werden. Resilienz entsteht im Zusammenspiel von Umwelt und persönlichen Faktoren. Das kann ein gutes soziales Netzwerk sein, eine optimistische Einstellung, dass man selbstbewusst ist, gut für sich sorgt oder schnell neue Lösungen findet. Wir erforschen außerdem übergeordnete kognitive und neuronale Resilienzmechanismen im Gehirn. Zum Beispiel die Amygdala, eine Struktur im Gehirn, die für Emotionen verantwortlich ist oder einen positiven Bewertungsstil, der bewirkt, dass jemand Dinge in einem positiven Licht sehen kann.
Wie erklären Sie, dass manche Menschen mehr von diesen Ressourcen haben als andere?
Helmreich: Studien haben gezeigt, dass es wichtig ist für Kinder, Krisen zu durchleben und zu lernen, mit ihnen umzugehen. Menschen, die ein mittleres Ausmaß an kritischen Lebensereignissen in ihrem Leben bewältigt haben, sind resilienter als die, die weniger Krisen oder zu viele Krisen hinter sich haben. Sogenannte Helikoptereltern tun ihren Kindern also keinen so großen Gefallen.
Hahad: Auch der sozioökonomische Status hat etwas damit zu tun, ob Menschen resilienter sind oder nicht. Menschen, die weniger Zugang zu Bildung, Kultur und sozialen Netzwerken haben, sind beim Aufbau von körperlicher und mentaler Gesundheit eingeschränkt. Das sehen wir gerade in der Pandemie.
Helmreich: Es gibt keinen Menschen, der nicht resilient ist. Jeder Mensch hat Fähigkeiten und Ressourcen, die ihm im Umgang mit schwierigen Situationen helfen, der eine mehr, der andere weniger. Hier spielt auch die Genetik eine Rolle. Dennoch kann jeder Mensch seine Resilienz stärken. Laut Studien sogar bis ins hohe Alter und egal wie resilient, jeder Mensch kann davon profitieren.
Wie mache ich das?
Helmreich: Es hilft leider nichts, wenn Sie nur ein Buch lesen. Sie müssen üben. In Resilienztrainings schaut man sich zum Beispiel Grundannahmen an, die man schon als Kind gelernt hat. Wenn man als Kind beigebracht bekommen hat, alles allein zu schaffen, kann man sich vornehmen, Hilfe holen zu dürfen. Es gibt auch eine einfache Übung, die den Blick für die schönen, kleinen Dinge trainiert, den resiliente Menschen häufig haben. Man steckt sich Kichererbsen oder kleine Steine in die Tasche, und jedes Mal, wenn man etwas Schönes sieht, wechselt man die Tasche. Am Abend geht man durch, was man am Tag Schönes erlebt hat. Es gibt allerdings nicht die eine Anleitung für alle.
Das bedeutet aber, dass ich aktiv werden, Zeit und vielleicht auch Geld investieren muss. Sollte nicht die Welt besser werden, als dass ich als Individuum daran arbeite, mich für kommende Krisen zu wappnen?
Hahad: Das wäre natürlich der anzustrebende Idealfall. Leider ist es aber häufig so, dass wir nur eingeschränkt etwas an der Ursache eines Problems ändern können, und da hilft Resilienz, das Stressempfinden subjektiv zu gestalten.
Wir werden immer irgendwie mit Stress umgehen müssen, und deswegen ist es gut, wenn wir weiter an unserer Resilienz arbeiten?
Hahad: Genau. Stress ist ein täglicher Begleiter des Lebens und das Konzept der Resilienz deshalb immer relevanter. Aber natürlich sollte man es nicht nutzen, um Menschen zu sagen, ihr müsst nur an eurer Resilienz arbeiten, dann wird alles gut. Es muss sich in erster Linie natürlich etwas an den objektiven Gegebenheiten ändern. Und erst im zweiten Schritt sollte die Arbeit an der individuellen Resilienz kommen.
Ist die Welt stressiger geworden oder Menschen weniger resilient?
Hahad: Man kann nicht sagen, dass die Resilienz immer gleich bleibt, denn sie reagiert auf Krisen. Es gibt Schwankungen im Stresserleben, in Angst und Depressivität.
Auf die Suche nach einer politisch verordneten Herden-Immunität?
Helmreich: Wir beobachten, dass die Menschen sich im Alltag schneller aus der Bahn bringen lassen. Aktuell vermischt sich Privates und Arbeit. Wir sind jederzeit erreichbar, checken abends noch die Mails, schauen etwas im Internet nach. Das macht es vielen Menschen schwer, Ruhephasen einzubauen und sich abzugrenzen. Das verursacht viel Stress.
Wäre irgendwann eine Pille für mehr Resilienz praktisch?
Helmreich: Die Pille danach für traumatische Erlebnisse wäre sicher praktisch. Aber eine Pille generell für Resilienz würde sehr viel wegnehmen, weil Negatives auch zum Leben gehört und ihm Tiefe gibt. Wir brauchen das Auf und Ab für unsere persönliche Entwicklung.
Wie können ganze Gesellschaften resilienter werden?
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Mexican Beer: Corona 6-Pack
2.) von Oben — Looking northeast across 82nd St at New York Psychoanalytic Society on a mostly cloudy afternoon.
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3.) von Oben — An unusually personal billboard, located along the northern edge of the parking lot on the northeastern corner of the junction of Fifth and Chestnut Streets in downtown Louisville, Kentucky, United States.
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Unten — Schafe auf dem Weschnitzdamm
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