Erstellt von Redaktion am 26. April 2021
Der tragische Fall des Ehepaars von und zu Guttenberg
Von Johannes Schillo
Sie waren eigentlich zu Höherem bestimmt – der damalige Shooting-Star des deutschen Konservativismus Karl-Theodor und seine Gattin, die Buhl-Freifrau Stephanie von und zu Guttenberg, ein Traumpaar, das wie Kennedy (ebenfalls katholischer Staatsmann) mit seiner Jacqueline der deutschen Politik endlich zu Glanz und Glamour verholfen hätte. Wenn, ja wenn. Es kam dann, wie man in den einschlägigen Wikipedia-Einträgen zu „Guttenberg“ nachlesen kann, anders: 2011 beendete eine blöde Belanglosigkeit, eine hingepfuschte Doktorarbeit, die Karriere des Wirtschafts- bzw. Verteidigungsministers und damit seine Rolle in der Politik.
Er zog mit seiner Familie in die USA, gründete die weltweit aktive Unternehmensberatungsfirma Spitzberg & Partners – und leistete sich wieder einen Griff ins Klo. Er beriet die renommierte deutsche DAX-Firma Wirecard, antichambrierte dafür bei Merkel und warb in einem FAZ-Artikel für den Schutz dieses interessanten Geschäftsmodells vor fiesen ausländischen (jüdischen?) Spekulanten. Was daraus wurde, weiß heute jeder. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss gab Guttenberg eine traurige Figur ab, die Qualitätspresse bescheinigte ihm einen „Irrglauben“ (FAZ, 24.4.21) und ein CSU-Kollege wollte ihm bei der Merkel-Befragung Kanzlerinnentäuschung nachsagen. Im Youtube-Video der „Finanzschelle“ (https://www.youtube.com/watch?v=4MbTDaXtm64) kann man ihn jetzt bewundern, wie er in seiner Glanzzeit als Spitzberg-Berater zu klugen Investments riet: Es sei „really, really, really“ notwendig, bei Finanzanlagen dem Trend zuvorzukommen und nicht von ihm erschlagen zu werden.
Vergessene Verdienste
Das ist alles so tragisch und ungerecht – vor gerade mal zehn Jahren noch hoch zu Rosse und dann das! Doch sollen hier nicht die zahlreichen Verdienste Guttenbergs aufgezählt werden. Es sei nur an seine führende Rolle bei der Bewältigung der Finanzkrise 2008 erinnert. Als Wirtschaftsminister warnte er vor einer Ausweitung der Rolle des Staates und verwies, zum Problem der Verteilungsgerechtigkeit befragt, auf eine „Schieflage“ der Debatte: Das Wort Gerechtigkeit erfreue sich „großer Beliebtheit“, werde von vielen aber nur im Sinne einer „Umverteilungsgerechtigkeit“ missverstanden. Das sind doch wichtige Anstöße für eine moderne Krisenbewältigung! Im März 2010 brach Guttenberg – jetzt im Verteidigungsressort – ein Tabu in Sachen Afghanistan-Einsatz: Er räumte ein, man könne „umgangssprachlich von Krieg“ reden. Eine wichtige Klarstellung, die jetzt beim Abzug der Bundeswehr aus dem endlich befriedeten Land hilfreich sein dürfte!
Hier soll allerdings nicht an KT, sondern vor allem an seine Gattin erinnert werden. Man weiß ja, hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau, und Stephanie, geb. von Bismarck-Schönhausen, war eine solche und das ganze Shooting-Star-Zeug sicher mit ihr abgesprochen. Im Grunde war 2010 schon alles in die Wege geleitet, dass hier ein photo- und telegenes Duo auf die politische Bühne tritt und der Durchsetzungswille des Mannes durch den weiblichen Care-Standpunkt aufs Schönste ergänzt wird – compassionate conservatism, wie man ihn von den US-Republikanern kennt.
Aus den USA stammte wohl auch die Idee, der Politikergattin eine öffentlichkeitswirksamen Charity-Auftrag zuzuschustern. Sie betrieb seit 2006 Öffentlichkeitsarbeit für die international operierende NGO „Innocence in Danger“, die gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und insbesondere gegen die Verbreitung von Kinderpornografie durch die Neuen Medien eintrat, wurde auch 2009 Präsidentin der deutschen Sektion. Das Muster ist ja bekannt: Mitte der 80er Jahre hatte in den USA Tipper Gore, die Gattin des aufstrebenden Jungpolitikers Al Gore, die legendären Porn Wars, die gegen die Unsittlichkeit der Rockmusik zu Felde zogen, initiiert und mediale Zensur gefordert. Ihr Gatte schaffte es dann ja immerhin bis zum Vize-Präsidenten…
Die Ministergattin startete also 2010 mit RTL-II die scharf gewürzte TV-Enthüllungsserie „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“, im selben Jahr legte sie die Aufklärungsschrift „Schaut nicht weg! Was wir gegen sexuellen Missbrauch tun müssen“ vor (mit Anne-Ev Ustorf, Freiburg, Kreuz-Verlag, 16,90 €). Doch mit diesen Auftritten begann sich schon die spätere Tragödie abzuzeichnen, ja wurde auch bei der Ehefrau zum Problem, was ihren Mann 2011 den Kopf kostete.
Nicht weg-, sondern hinschauen!
Anfang 2010 passierte nämlich Unvorhergesehenes. Der Direktor des Berliner Elitegymnasiums Canisius-Kolleg unternahm einen Vorstoß zur pädagogischen Vergangenheitsbewältigung (siehe „Sexueller Missbrauch: Aufarbeitung immer noch am Anfang?!“, Scharf links, 20.4.21). In der Folge flog eine Serie von Missbrauchsskandalen auf und erschütterte nicht nur die katholische Kirche in Deutschland, sondern überhaupt gängige Vorstellungen vom fortschrittlichen, dem Kindeswohl verpflichteten Charakter der Republik, zeigte damit auch, dass gar nicht von weit draußen, vom Internet her, die Gefahren drohten, sondern mitten im Herzen des überkommenen Erziehungs- und Familenwesen nisteten.
Gute Freude grinsen als DR. alles weg !
Was tun? Die katholische Freifrau hatte wohl schon ihre Aufklärungsschrift unter der Feder, d.h. die Ghost-Writer an die Arbeit geschickt, die auf Lady Gaga oder Christina Aguilera mit ihren gottlosen Musikvideos einprügeln sollten. Jetzt geriet ausgerechnet die Sancta Catholica ins Visier, alle Welt erfuhr, dass im Zölibat allerlei dunkle Triebe hausen, deren Ausleben von den höchsten Autoritäten verharmlost, verniedlicht und weiß Gott noch was wurde. Da machte wohl auch Frau G. den klassischen Fehler: Man lässt die Ghost-Writer einfach zu- und nachliefern, erspart sich dann aber den Endredakteur, der den ganzen Sums noch einmal durchsieht, die Anführungszeichen an der richtigen Stelle setzt und überprüft, ob das rasch zusammengezimmerte Gebilde haltbar ist.
Was beim Opus des Kreuz-Verlags herauskam, konnte sich dabei noch halbwegs sehen lassen. Das Buch gab den Stand der deutschen Debatte vom Sommer 2010 wieder und wirkte in Teilen wie ein Kompress des fachlichen Wissens. So weit hatte sich die Mitwirkung einer Koautorin, einer professionellen Beraterin und des BKA-Präsidenten gelohnt. Wüsste man nicht, wer Frau Guttenberg ist, würde man an eine linke Sozialpädagogin denken. Hier fielen deutliche Worte über die Vertuschungsstrategie der katholischen Kirche, über die harten Anforderungen „unserer leistungsorientierten Gesellschaft“ (151), die schon Kleinkinder unter Druck setzen, oder über das Desinteresse der schwarzgelben Koalition an solchen Fragen (13f). Es wurden pädagogische Ratschläge zur Stärkung des Selbstbewusstseins oder zu einer Sexualaufklärung jenseits prohibitiver Muster gegeben, was eher an Traditionen der antiautoritären Erziehung erinnerte. Lustbetontes Entdecken des eigenen Körpers samt pädagogischer Hilfestellung wurde verlangt (42ff) – alles unter der emanzipatorischen Devise „Mein Körper gehört mir“ (44). Kinder sollten ein deutliches Körper- und Selbstgefühl entwickeln, das sie zu unzumutbaren Anforderungen Nein sagen lässt. Bei Jugendlichen fand es das Buch dann selbstverständlich – Gender Mainstreaming war in der CSU angekommen –, dass sie sich, auch angeregt durch mediale Leitbilder, sexuell ausprobieren (136) usw.
Doch das ganze Engagement fand keine besonders freundliche Aufnahme. Die Bildzeitung assistierte zwar gleich mit der dicken Schlagzeile „Pornografie verdirbt unsere Kinder – Besorgte Minister-Gattin schlägt Alarm“ (13.9.10): Die besagten Videos würden mit ihrer popmusikalischen Pornographisierung zur Sexualisierung der Gesellschaft beitragen und somit letztendlich an der Pest des sexuellen Missbrauchs mitschuldig sein. Doch das war, wie der Spiegel (38/10) gleich nachwies, „natürlich Unfug“. Seit gut einem halben Jahrhundert, seit Elvis the pelvis das Hüftwackeln samt dem obszönen Ausdruck „rock’n’roll“ populär machte, gehört ja das sexuell explizite Image zur Jugendmusik dazu, was seit den 1990er Jahren (da Nacktheit in Videoclips verboten ist) eher künstlerisch verdrechselt daherkommt.
Dass sich Guttenbergs Entdeckungen aus etwas Anderem als der Sichtung zeitgenössischer Musikvideos speisten, war offenbar. Sie wollte konservatives Profil zeigen und sich als Gattin eines Politstars, der, zu höchsten Ämtern berufen war, profilieren – mit Buch, Charity-NGO und eigener Fernsehshow. Es fiel natürlich auch auf und wurde in böswilligen Rezensionen vermerkt, dass sich die Frau eines Politikers, dessen Ressort über Milliarden verfügt, an das geneigte Publikum mit der Bitte wandte, nicht wegzuschauen. Vielmehr sollte fleißig an diverse Vereine gespendet werden, damit – endlich! – etwas für die Opfer getan wurde. Man erfuhr nämlich von der Autorin, dass blasse, verstörte, kränkliche Kinder, um die sich kein Mensch kümmert und die mit ihren überforderten Eltern allein gelassen sind, einmal, dank der Spendengroschen von Hinz und Kunz, an einer „Kunstwoche“ teilnehmen durften, bei der sie regelrecht aufblühten… Dieser Zustand bei den Betroffenen schien also ganz normal zu sein und die Aufklärungsschrift verlor darüber kein Wort: Wer unter die Räder gekommen ist, soll selber sehen, wie er sich wieder aufrappelt; und selbst die guten Ratschläge sollte man sich für 16,90 Euro in der Buchhandlung besorgen.
Dass sich das Buch weniger für Ursachenforschung interessierte – das war im angesagten medialen Enthüllungsszenario nichts Ungewöhnliches. „Natürlich wird es sexuellen Missbrauch immer geben, da müssen wir uns nichts vormachen“ (17), hieß es abgeklärt. Doch gab es auch ein paar treffende Hinweise zur Täterpsychologie, die ja gerne in Richtung krankhaft veranlagter Einzeltäter exterritorialisiert wurde und wird. Das Buch kritisierte eine solche Ausgrenzungsstrategie: Es gehe um sexualisierte Gewalt und um Gewaltverhältnisse, die irgendwie zur BRD dazugehören. Wie es zu den katholischen Fällen hieß, liege „kein Kirchenproblem, sondern ein Gesellschaftsproblem“ (12) vor. Eine interessante Auskunft)! Aber das warf gleich die Frage auf: Was ist das für eine Gesellschaft, in der Übergriffe auf Schwache an der Tagesordnung sind? Woher kommt die Alltäglichkeit von Familienverhältnissen, in denen Kinder nicht Liebe, sondern Gewalt erfahren? Und wie passt das dazu, dass die Familienpolitik seit Beginn der Bundesrepublik eine Domäne christdemokratischer und christlich-sozialer Politik ist?
Dass die Koproduktion mehrerer Mitschreiber zu Unstimmigkeiten und Schiefheiten im Buch führte, wäre vielleicht gar nicht groß aufgefallen. Bei den Statistiken und Schätzungen gibt es ja eh gewisse Schwankungsbreiten – da kann man schon einmal die Zahl der weiblichen Täter beim Missbrauch mit 20 % (28), ein anderes Mal mit rund einem Drittel (171) angeben. Ungeschickter war es, wieder die Bedrohungslegende vom Internet als rechtsfreier Raum aufzutischen und hartes staatliches Durchgreifen zu fordern. Dazu hätte man besser noch einen IT-Experten hinzugezogen, um zumindest den sachlichen Kern des Streits über den Sinn von Sperr- und Zensurmaßnahmen zu erläutern. Vor allem aber zeigte sich ein scharfmacherischer Ton bei Fragen des Jugendschutzes, obwohl das Buch der Tradition prohibitiver Medienpädagogik nicht mehr folgen wollte.
Entscheidend war eben, dass im Jahr 2010 mit großem medialem Tamtam klar wurde: Die psychosexuelle Verstörung des Nachwuchses geht weniger von Prince und Pink aus, dafür mehr von Kardinal Meissner und Konsorten. Daraus ergab sich eine Schieflage der ganzen Kampagne, was in dem Buch nur notdürftig kaschiert ist. In der Folge eckte Frau Guttenberg auch mit ihrer RTL-Serie an, bevor dann das Desaster um die Promotion ihres Mannes begann. Bei dem ging es dann gezielt um die Schludrigkeiten, die entstehen, wenn man Texte fürs Renommee zusammenhaut – im Grunde also um dasselbe Problem wie bei der gut gemeinten Aufklärungsschrift. Merke: Man muss, really, really, genau hinschauen, wenn man Partner engagiert, und darf nicht am falschen Ende sparen!
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Grafikquellen :
Oben — Preisverleihung Quadriga 2010
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2.) von Oben — Dr. Peter Ramsauer, Vorsitzender CSU-Landesgruppe MdB, Dr. Angela Merkel, CDU-Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin und Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, CSU-Generalsekretär MdB
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Unten — KUNDUZ, Afghanistan-German Minister of Defence,Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg visited the provincial reconstruction team in Kunduz Province with five members of parliament on December 11, 2009. During his visit he joined the Commander of PRT Kunduz for a meeting with senior provincial security and government officials. (Photo by ISAF Public Affairs)…