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Archiv für Januar 8th, 2012

LINKE Saar Apokalypse

Erstellt von Redaktion am 8. Januar 2012

Oskar Lafontaine über Jamaika-Koalition

Mit großen Interesse verfolgen wir zur Zeit die politischen Vorgänge im Saarland. Ist es doch nicht der Normalfall das Regierungskoalitionen quasi über Nacht auseinanderbrechen. Das nach einem solchen Vorgang ein alter Stratege wie Lafontaine die Situation zu Gunsten seiner eigenen Partei auszunutzen versucht ist in der Politik normal. Selbstverständlich wurde alles so vorhergesehen und war letztendlich keine Überraschung.

So können wir es dann auch in einem Interview lesen wo er zu Neuwahlen auffordert:

Oskar Lafontaine über Jamaika-Koalition

„Desolater Zustand“

Neuwahlen wären der sauberste Weg im Saarland, sagt Oskar Lafontaine, Fraktionschef der Saar-Linken. Denn die SPD könne eine Große Koalition ihren Mitgliedern gegenüber nicht verkaufen.von Paul Wrusch

taz: Herr Lafontaine, Jamaika im Saarland ist geplatzt. Freut Sie das?

Oskar Lafontaine: Wir sehen uns jedenfalls in unserer Ansicht bestätigt. Jamaika konnte nicht funktionieren, da die politischen Widersprüche zwischen den Parteien einfach zu groß sind.

Die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, dass der desolate Zustand der saarländischen FDP schuld am Scheitern von Jamaika sei. Ist das glaubhaft?

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

Aus neutraler Sicht sollte aber nicht nur über die desolaten Zustände der Parteien von FDP, der CDU und den Grünen im besonderen im Saarland berichtet werden, sondern es ist festzustellen das sich auch die LINKE nicht hinter den anderen Parteien zu verstecken braucht. Hat doch mit Sicherheit keine andere Partei auch nur annähernd so viele Skandale produziert wie die Partei des Oskar Lafontaine.

In keiner anderen Partei sind in der zur Zeit laufenden Legislaturperiode auf Landesebene im Saarland mehr Fraktionen in den Gemeinden oder Kreisen auseinander geflogen wie gerade in der LINKEN. Keine andere Partei brachte sich in die Situation mehr Mitglieder abzuschreiben und den Schiedskommissionen in Land und Bund mehr Arbeit aufzubürden als gerade die LINKE vor Ort. Die eigentlichen Skandale wie Parteiausschlüsse, Stasi Vorwürfe, DDR National Hymne, die zwielichtige Haltung eines Prof. Bierbaum oder auch die „Chinesenficker“ Affäre spiegeln hier vor allen Dingen die Unfähigkeit der Landespartei Führung eindrucksvoll wider.

Besonders auffällig ist bei allen Vorwürfen das agieren einer Landesschiedskommission welche in ihrer Arbeit ein sehr schlechtes Bild auf den Vorstand wirft, da sie augenscheinlich auf deren Anweisungen hin arbeitet, und die für eine solche Einrichtung unbedingt notwendige Neutralität keine Beachtung findet. Das wird im besonderen aus den Beschluss unter der Reg.-Nr. 21/09 vom 02. Oktober 2009 ersichtlich, was aus dem Protokoll  >>Hier<< ersichtlich wird.

Aus diesem Beschluss ersehen wir das schon im Jahre 2009 innerparteilich versucht wurde die „Chinesenficker“ Affäre durch einen Vergleich aus der Welt zu schaffen. Innerhalb der Beweisführung wurden die Vorwürfe des Beschwerdeführers aufgrund der vorliegenden Aussagen als nicht unsubstantiiert bezeichnet und damit anerkannt.

Ebenfalls wurde gesehen das dieses Verfahren der Partei großen Schaden zufügen kann. Wir zitieren aus den Beschluss:

Beide Beteiligten stehen für die Partei im öffentlichen und politischen Leben. Der Antragssteller ist kommunaler Mandatsträger, die Antragsstellerin Mitglied des Landtags des Saarlandes. Das Wirken beider Beteiligter ist der besonderen Beobachtung durch die Medien ausgesetzt, zumal ein Zusammenhang mit den innerparteilichen Auseinandersetzungen im Kreisverband Merzig-Wadern offenkundig ist. Diese haben bereits in der Vergangenheit die besondere Aufmerksamkeit der Medien gefunden.“

Es werden in diesem Beschluss sehr detailliert die Ereignisse und Auswirkungen beschrieben welche heute in die Öffentlichkeit gelangen. Natürlich sprechen die Mitglieder aus dem Kreis Merzig-Wadern auch über das Wissen eines existierenden  Antwortschreiben der Beschuldigten Landtagsabgeordneten Dagmar Ensch-Engelen an die Landes-Schiedskommission. So wird auch nicht nur im dortigen KV darüber offen geredet, das dieses Vergleichsangebot zurückgewiesen wurde. Auch wurde uns zugetragen, das die Drohung eines Parteiaustrittes geäußert worden sein soll, unter einer Beibehaltung der entsprechenden Mandate.

Bei allen diesen Vorkommnissen bleibt es unverständlich das diesem vergeblichen Vergleichsvorschlag nicht energischer nachgesetzt wurde. Eine gut funktionierende Führung hätte alles versucht um solch einen Vorfall ohne allzu große Aufmerksamkeit gütlich beizulegen. Nur, dieses scheint, wie in vielen anderen Fällen nachgewiesen, in einem obrigkeitshörigen Landesverband nicht möglich zu sein. Da schimpft man dann lieber über die böse, böse Presse, welche man dann aber trotzdem gerne dazu benutzt sich mit einen vorweihnachtlichen Glamour-Schein zu umgeben.

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Grafikquelle    :    Gunther HißlerEigenes Werk

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Uri Avnery in Haaretz

Erstellt von Redaktion am 8. Januar 2012

Interview mit Uri Avnery in Haaretz

Uri Avnery, dessen Hoalam Hazeh-Magazin das Ziel von anti-verleumderischer Rechtssprechung war, sagt, die augenblickliche ‚anti-demokratische’ Welle von Gesetzesvorschlägen wird alle Schichten der Gesellschaft treffen – und die Medien tun nicht viel, der Situation abzuhelfen.

Von Ofra Edelman, Haaretz, 9.12.2011

Als Israels sog .Verleumdungsgesetz 1965 erlassen wurde, erklärte Uri Avnery, der Herausgeber der wöchentlichen Haolam Hazeh, von Seiten seines entschieden linkslastigen Magazins den Krieg.

„Entweder geh ich in die Knesset oder ins Gefängnis,“ schrieb er. Wie in jedem anderen Krieg, hat dieser redaktionelle Stab 15 Jahre lang wie ein journalistischer Kommandotrupp gearbeitet mit Kommandotechniken, im Geiste des Kommandos. Nun werden wir gezwungen, als politisches Kommando zu handeln. Wir werden unsern Weg in das Wahlsystem als Angehörige eines Kommandos machen. Wir werden als Kommandotrupp in der Knesset operieren.

Avnery, der 1923 in Deutschland geboren wurde, entschied sich, für einen Sitz in der Knesset zu kandidieren, in der Hoffnung, er könne damit diplomatische Immunität für sich selbst und sein Magazin gegen Verleumdungsklagen gewinnen.

„Das Verleumdungsgesetz .. ist erlassen worden, weil Haolam Hazeh die Herrschaft des Regimes bedroht“, schrieb er, „Wenn sie sagen, dass es keinem Platz für beides gebe , für dieses Regime und Haolam Hazeh und deshalb Haolam Hazeh liquidiert werden muss, dann müssen wir erwidern: „ Richtig, es gibt in einem Land für dieses Regime und für Haolam Hazeh keinen Platz, also müssen wir das Regime liquidieren. Und wir sind dabei, es zu liquidieren.“

Während wir in dieser Woche im Wohnzimmer seiner Wohnung in Tel Aviv saßen, teilte er seine Erinnerungen an diese Zeit mit mir..

„Das Gesetz wurde am letzten Tag der fünften Knesset im Sommer 1965 angenommen und die Presse, allgemein die Medien, wachten im letzten Augenblick auf,“ sagte er. „Sie nahmen es nicht ernst. Keiner dachte daran, dass hier so etwas passieren könnte.“

Avnery erinnert sich, dass „er sich im Voraus entschieden hatte, dass falls das Gesetz angenommen , er eine Partei gründen und für die Knesset kandidieren würde. Wir lauschten den Nachrichten und als klar wurde, dass die Knesset das Verleumdungsgesetz angenommen hatte, sagte ich, „das ist es, ich werde in die Knesset gehen. Wir begannen einen Krieg gegen das Gesetz.“

Die Statuten von 1965, die über die Jahre bis zu einem gewissen Grad durch rechtliche Verbesserungen verändert wurden, verschärfte Forderungen auf Medienveröffentlichungen, die wegen Diffamierungen belangt werden können. Es musste eindeutig bewiesen werden , dass seine Veröffentlichung von öffentlichen Interesse ist. Sie erweiterte die Definition der Verantwortlichen für die Verleumdung, indem sie nicht nur den „verantwortlichen Redakteur“ zur Verantwortung zog, sondern auch alle Drucker und Vertreiber. Dieser Abschnitt des Gesetzes nannte auch „den Kopf des Redaktionsstabes“, eine Position, von der Avnery sagt, dass sie damals nur bei Haolam Hazeh existierte.

Die Klausel ließ Avnery daran denken, dass das Gesetz besonders auf seine Publikation gerichtet war und dass es die letzte in einer Reihe von Versuchen war, ihn zum Schweigen zu bringen. Dies schloss einen Inseratboykott für Haolam Hazeh durch den Staat und die Histadrut-Arbeitergewerkschaft ein. Klagen gegen die Wochenzeitschrift, die zuweilen Nacktaufnahmen von Frauen brachte, gründeten sich auf Obszönitäts-Gesetze; und physische Angriffe auf Redaktionsmitglieder.

Bei den Wahlen zur 6. Knesset bekam er etwa 14 000 Stimmen zusammen – genug um über die Schwelle der Knesset zu kommen und einen Sitz für sich zu gewinnen.

„Wettbewerb der Unvernunft“

„Äußerst gefährlich,“ beschreibt Avnery die augenblickliche Änderung am Gesetz, die von MK Meir Sheetrit (Kadima) und Yariv Levin (Likud) entworfen wurden, die den Umfang von Kompensation im 1965er Gesetz von 50 000 auf 300 000 NIS gesetzt hat, ohne dass Schaden nachgewiesen werden muss.

Avnery sagt, die Drohung mit finanziellem Schaden ist dann für den Journalismus eine viel größere Bedrohung als das Gefängnis.

„Jeder Journalist hat einen Redakteur und jeder Redakteur einen Herausgeber und der Herausgeber einen Besitzer,“ sagt er, „ das bedeutet dann, dass keiner mehr eine Geschichte veröffentlichen will, an der es den leichtesten Zweifel gibt. Bitte, denken Sie nicht, ich hätte etwas gegen Diffamierungsgesetze. Wirklich, die Presse kann rücksichtslos sein, genau wie jede andere Körperschaft. Demokratische Diffamierungsgesetze sind nicht unanständig – im Gegenteil,“ fügt er hinzu. „Doch andrerseits, je geschätzter und auf je höherer Ebene man ist, um so schwächer sollten die Diffamierungsgesetze sein. Jeder der diese Gesetzgebung verändern will, behauptet, er tue es für den kleinen Mann. Aber seine wahren Absichten zielen immer auf die Großen. Keiner kümmert sich um den keinen Mann.“

Avnery sagt, das neue Gesetz ist ein Teil dessen, was er eine „neo-faschistisch anti-demokratische“ Welle der Rechtssprechung nennt, die die andere Meinung unterdrückt.
Woher kommt Ihrer Meinung nach diese Welle der Gesetzgebung ?

„Heute soll es vor den Likudvorwahlen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn was ist das Ziel eines jeden Knessetmitglieds? Ich weiß es aus eigener Erfahrung: in dem Augenblick, in dem man zum Knessetmitglied gewählt wurde, hat man nur ein Lebensziel – wiedergewählt zu werden – und man widmet die nächsten vier Jahre diesem Ziel. Deshalb ist es wichtig, in die Medien zu kommen, und deshalb ist man zu diesem Zwecke bereit, alles und jedes zu tun – außer seine Mutter umzubringen“.

„Da kommt eine Person und versucht, eine total unvernünftige Gesetzesvorlage vorzulegen, während es sein einziges Ziel ist, am nächsten Tag mit einer Schlagzeile und einem großen Foto von sich zu bekommen. Haaretz kommt am nächsten Tag heraus und widmet ihm eine Viertelseite mit einem strahlend schönen Foto von ihm – und so ermutigt man ihn, dies zu tun. Ein anderer MK sieht dies und denkt: Ich werde noch etwas Monströseres vorschlagen …

So läuft die Art Wettbewerb von Unvernunft.

Aber wenn eine Zeitung über so eine Gesetzesvorlage nicht berichtet, wird man ‚verdammt noch mal!’ schreiben, dass sie ihre Funktion nicht erfüllt hat.

Doch ist es auch möglich, eine Geschichte in anderer, nicht so grandioser Art zu bringen. Ohne ein schmeichelhafted Foto. Die Verpflichtung zu berichten besteht, aber ohne jemandem einen Preis zu verleihen. So handelt ein selbstmörderisches Medium.

„Unbewusst wird der normale Leser nicht nur von dem, was er liest, beeinflusst, sondern auch von der Intensität der Emotionalität, die in dem Artikel steckt. Ist dies gut oder nicht so nett oder ist es etwas Schreckliches und Tragisches, das denen dient, die Israel zerstören wollen. Was ich hier vermisse, ist eine moralische Emotionalität, die diese neuen Gesetze verurteilt.“

Was sollten Ihrer Meinung nach Journalisten tun. Sollte jeder Knessetmitglied werden, um die Immunität zu erlangen?

„Es hilft. Es ist genau das, was ich tat.“ Es ist ein ziemlich großer Schritt, den man nehmen muss.
„Ich nützte dies nicht häufig aus, aber wenn ich es tat, tat ich es richtig. Ich bin für persönliche Sanktionen gegen jeden, der diese Gesetze vorschlägt: kein Foto von ihnen, nichts Schmeichelhaftes in der Zeitung, keine Interviews in den Medien. Darüber sollte öfter nachgedacht werden. Es sollte nicht die freie Meinungsäußerung verletzen, aber es sollte möglich sein, Leute zu strafen.

Trotz allem sollte das erste, was gemacht werden sollte, der Aufruf zu einem Streik sein, damit die Öffentlichkeit zu begreifen anfängt … Die Öffentlichkeit weiß nur, dass es Argumente gibt über einige neue Gesetze. Sie begreift nicht, und sie ist gar nicht daran interessiert. Meistens denkt sie, das geht sie gar nichts an. Und wenn die Presse/Medien selbst keine Maßnahmen ergreifen, um dem Leser klar zu machen, dass dies wichtig und ernst ist, warum sollte jemand anders denken. Das erste, was getan werden sollte, ist ein Aufruf zu einem Streik, wie es damals (1965) geschah.

„ Wir müssten eine sehr breite Front organisieren, um die Demokratie zu retten. Und dieser Kampf sollte mit der Idee beginnen, dass die breite Öffentlichkeit nicht begreift, warum sie das angeht. Die Öffentlichkeit denkt: Also ist dieser Richter und nicht jener Richter ernannt worden, was macht das für einen Unterschied? Die Medien? Sie werden etwas vorsichtiger sein – das würde überhaupt gut sein. Die NGOs? Wer benötigt sie denn? Geld aus dem Ausland nehmen? Ein Skandal! Sozialer Protest? OK, der fand statt. Jetzt haben wir uns vorwärts bewegt. Die Leute verstehen nicht, dass es ihr Leben berührt, ihr Gehalt, ihren Lohn. Die heutige Generation Israels lebte nie unter einem undemokratischen Regime.

„Kann sich irgendjemand vorstellen, was es bedeutet, unter einem Regime zu leben, in dem man eine Erklärung zugunsten einer gewissen Partei unterschreiben muss, und wenn du eine Stellung hast z.B. Fachoberarzt einer Gehirn-OP-Abteilung – und wenn du nicht unterschreibst, bist du am nächsten Tag Fensterputzer? Kann sich jemand vorstellen, dass Journalisten auf der Straße erschossen werden, wie es kürzlich in Russland geschah … Die Leute begreifen es nicht und setzen diese Dinge nicht mit einander in Verbindung.

„Zuerst muss man der Öffentlichkeit erklären, dass es sie betrifft. Es ist nicht nur eine Sache der oberen Zehntausend, die unter einander streiten … Morgen kann die Polizei dich für ein Verbrechen verhaften, das du nicht begangen hast. Und da gibt es keine Zeitung, die das veröffentlicht, weil es den Zeitungen verboten ist, die Verhaftung von Individuen zu veröffentlichen, und Leute beginnen, von der Straße weg zu verschwinden und verschwinden ganz, wie es in Argentinien geschah …. Unter dem Vorwand ‚zum Schutz der Bürger’. Dies geht jeden im Lande an. Es ist nichts Abstraktes, keine theoretische Uneinigkeit zwischen den Parlamentariern und den „Richtern“.

In einer Kolumne, die Sie schrieben, zogen Sie eine Verbindung zwischen der gegenwärtigen Rechtssprechung und dem Kollaps der Weimarer Republik.

„Ich war neun, als die Nazis an die Macht kamen, und als Kind in einer politisch sehr wachen Familie wurde mir bald bewusst, was um uns geschah. Besonders wenn ein Kind sieht, was auf sehr visuelle Art geschieht: die Uniformen, die Paraden, die Musik. So sah ich wie die Republik zusammenbrach. Mir war dies Schritt um Schritt bewusst, ein kleiner Schritt folgte dem anderen kleinen Schritt – und dann brach alles zusammen. Brach zusammen, weil die Öffentlichkeit nicht verstand, warum dies wichtig war. Die deutsche Öffentlichkeit brachte keine innere emotionale Stärke hervor, um zu widerstehen.“

„Als ich hier das erste Zeichen sah, ging das erste rote Licht für mich an. Ich wachte ein bisschen früher auf als die anderen . Andere wachten auch auf, aber das brauchte Zeit. Am Anfang sagte man mir: wie kannst du nur einen Vergleich mit Nazi-Deutschland ziehen, das wirklich einzigartig in der Geschichte ist … es muss nicht ein Hitler sein – wie ist es mit einem Mussolini? Und wenn nicht Mussolini, wie ist es mit Franco? Oder Pinochet in Chile? Oder den Obersten in Griechenland? Und wenn keiner von diesen, wie ist es mit Ceausescu oder Putin jetzt?. Es gibt so viele Stufen – vom schlimmsten bis zum weniger schlimmen, doch jede von ihnen schafft die Hölle.“

Und wo sind wir jetzt in der Hierarchie, die Sie beschrieben haben?

„Wir haben den ersten Schritt hinter uns. Wir sind noch weit entfernt vom letzten Schritt, aber meiner Meinung nach ist es der erste Schritt, der die Richtung bestimmt. Die Barrikaden sind gefallen. Dinge, die unglaublich schienen, werden geglaubt. Dinge, die man sich unmöglich vorstellen konnte, sind vorstellbar, und das ist nur ein kleiner , aber sehr entscheidender Schritt. Unsere Nervenenden werden abgestumpft. Aber die Bürgerrechte sind nicht „links“.

Sie haben nichts mit der „Linken“ zu tun. Bürgerrechte gehen jeden einzelnen an.

„Wie übermitteln Sie dies dem gewöhnlichen Bürger, dass der Kampf sein Kampf ist? Dass die freie Meinungsäußerung auch seine Freiheit ist ? Dass der Oberste Gerichtshof auch der seinige ist? Dass die Demokratie auch die seinige ist.? Hier benötigen wir eine öffentliche Kampagne und zwar so eine, wie wir sie bis jetzt nie hatten. Letztlich sprechen wir von Israels Zukunft, von unserer Zukunft. Ein undemokratischer Staat ist nicht von Dauer – so einfach ist es.“

Avnery umschreibt ein berühmtes Zitat des deutschen Friedenskämpfers Martin Niemöller: „Zuerst kamen sie …“ über das öffentliche Schweigen angesichts des vordringenden Faschismus, um zu beschreiben, was sich heute in Israel abspielt.

„Dies ist eine der tiefgründigsten Aussagen,“ erklärt er, Und man kann sie in die Realität von heute und hier übersetzen: Zuerst kamen sie, das Gericht zu zerstören, dann kamen sie, um die Medien zu zerstören, dann kamen sie um die NGOs zu zerstören, ich schwieg – und am Ende, als ich protestieren wollte, war ich nicht mehr in der Lage, weil dann keiner mehr da war, vor dem ich dies hätte tun können. Das wird gefährlich werden. Die Leute verstehen das nicht.“

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Das Gespräch : Demenz

Erstellt von Redaktion am 8. Januar 2012

„Ich kämpfe wie ein Widder“

File:Demenz Verborgenes Ich.png

Beschäftigen wir uns heute einmal mit den wirklich wichtigen Dingen des täglichen Lebens und nehmen das Thema Demenz auf. Lassen wir es menscheln und lesen wir ein Interview zwischen der Journalistin Waltraud Schwab und der gegen die Demenz kämpfenden Helga Rohra. Ein faszinierendes und zugleich auch erschütterndes Gespräch.

Denken wir aber besonders an die vielen selbstlosen Pflegekräfte welchen es vielfach nur mit übergroßer Energie gelingt die verachtende Kälte des Staates wenigstens ein bischen auszugleichen. Dieses alles zu Löhnen welche man im englischen mit den schönen Ausdruck Chickenfeed (Hühnerfutter) bedacht hat. Das Geld für diese Menschen ist in unserer Gesellschaft nicht mehr vorhanden, da dieses von unserem politischen Gesindel für ihre privaten Nichtigkeiten benötigt wird.

„Ich kämpfe wie ein Widder“

Helga Rohra sitzt im Foyer eines Berliner Einkaufszentrums, trinkt Kaffee und redet über Demenz. Vor fünf Jahren wurde diese Krankheit bei ihr diagnostiziert. Da war sie 53 Jahre alt. Angefangen hatte es mit sprachlichen Ausfällen. „Alle, die mich lab haben“ sagte sie, wo „lieb haben“ gemeint war. Oder „wir sind gut in der Stadt“, wo sie doch „in der Zeit“ sagen wollte. Auch „Rucki, mein Luki tut mir weh“, wird wohl nur ihr Kater Luki verstanden haben, dem sie kund tat, dass ihr der Rücken weh tut.

Solche Ausfälle passierten so oft, dass sich die Dolmetscherin nicht mehr darüber amüsieren konnte. Dann stellte sie eines Tages fest, dass sie auch nicht mehr dolmetschen konnte. Die Sprachen waren weg. Ja, selbst ein Butterbrot zu streichen fiel ihr schwer.

Burn-Out diagnostizierte der Arzt und schickte sie spazieren. Es wurde nur schlimmer. Rohra fing an zu halluzinieren. Überall sah sich sich. Mal als Kind, mal als Jugendliche, mal als Erwachsene. Auch jetzt im Einkaufszentrum, wo sie Kaffee trinkt, sieht sie sich gleichzeitig mehrfach: „Ich sehe unseren Garten von früher. Mein Gott, da war ich zwei Jahre. Ich schiebe den Puppenwagen. Ich habe ein Kleidchen an, mit Karos in Grün und Weiß und habe so Flaschenlocken. Und da schiebe ich diesen Wagen und schiebe und schiebe. Daneben stehe ich jetzt mit meinem Sohn bei der Einschulung. Der hat eine Jeans an mit bunten Flecken drauf und eine Riesentüte in der Hand. Ich stehe auf einer Seite und rechts steht mein Mann in einem Trachtenjanker“, beschreibt sie ihre derzeitigen Visionen im sonntaz-Gespräch. Dass sie dabei Sachen sehe, die sie bewusst gar nicht erlebt habe, sei das Interessante daran. Halluzinationen sind ein typisches Merkmal der Demenzform, die sie hat.

Der Kampf um die Würde

Nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums leiden derzeit 1,2 Millionen Menschen an Demenz. Bis 2040 werden es, nach vorliegenden Prognosen, zwei Millionen sein.
Die Diagnose an sich ist schon schlimm, aber wie sie eine Karrierefrau wie Rohra aus der Mitte der Gesellschaft, mit Reputation und Anerkennung, innerhalb kürzester Zeit in die Ecke der Bedürftigen spülte, weckte in Rohra den Widerstandsgeist. Seither kämpft sie um ihre Würde.

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Um die Kaffeetheke im Erdgeschoss eines Einkaufszentrums in Berlin stehen Sessel und Tische. In dieser Lounge im zugigen Gang wartet Helga Rohra, die nach dem Interview im Buchladen eine Lesung haben wird. Nur eine Frage und eine halbe Antwort lang geht es im Gespräch um geplaudertes Nichts.

sonntaz: Frau Rohra, Sie sind vom Sternzeichen Widder?

Helga Rohra: Ja, ein sehr taffer Widder. Da bin ich sehr froh darüber, dass ich so taff bin. Das hilft mir durch die Demenz.

Wie?

Ich gebe nicht auf. Egal wie beschissen ich mich fühle, morgens stelle ich mich vor den Spiegel und sage: You are simply the best – du bist einfach die Beste. Sie müssen wissen, bevor ich Demenz bekam, war ich Konferenzdolmetscherin. Die Sprachkenntnis ist noch da. Ich habe viel im Medizinischen gedolmetscht. Sie haben ein ganz anderes Verhältnis zur Demenz, wenn Sie verstehen, was im Gehirn passiert.

Was passiert da?

Es baut ab. In schnellerem Tempo als bei Gesunden. Das Fachwort ist Atrophie. Die wird jährlich kontrolliert und mir ist wichtig, dass ich meine Atrophie sehe. Ich will die Aufnahme haben und erklärt bekommen: Schauen Sie mal, diese Farben, das ist die Atrophie, so viel hat sie zugenommen. Und dann vergleiche ich es mit den Ausfällen, die ich in meinem Ausfalltagebuch notiert habe. Wenn Sie das aufschreiben, erkennen Sie so eine Kurve, die geht ein bisschen nach unten, dann ist sie wieder gerade, dann geht sie ein bisschen nach unten, dann wieder gerade.

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Das verborgene ICH oder das späte Stadium: Leben in einer verselbständigten Bilder- und Erlebniswelt. Kohle auf weißem Papier, 70 x 100 cm
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Author Gelonida

Abgelegt unter Gesundheitspolitik, Sozialpolitik, Umwelt | Keine Kommentare »