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Ende der Demokratie

Erstellt von Redaktion am Montag 1. Mai 2017

Türkei oder: Das Ende der Demokratie

File:Recep Tayyip Erdogan2-WEF Davos 2009.jpg

Von Ismail Küpeli

Gerade einmal zweieinhalb Jahre liegen zwischen der Wahl Recep Tayyip Erdogans zum Staatspräsidenten und dem Umbau der Türkei zu einem autokratischen Präsidialstaat. Mit dem Plebiszit vom 16. April 2017 verabschiedet sich das Land von den Prinzipien jener parlamentarischen Republik, die einst ihr Staatsgründer Mustafa Kemal, genannt Atatürk, in der Verfassung verankert hatte. Um diese historische Zäsur herbeizuführen, zog die Staatsführung alle Register: Sie betrieb die Spaltung der Gesellschaft, schüchterte die kurdische Bevölkerung mittels eines Krieges ein und schwächte die Opposition durch Repression entscheidend.

Doch selbst unter diesen Umständen konnten Erdogan und die regierende konservativ-islamische AKP nur eine sehr knappe Mehrheit der türkischen Wählerinnen und Wähler für die Unterstützung des Präsidialsystems mobilisieren. Nach offiziellen Angaben stimmten lediglich rund 51 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für die Verfassungsänderung. Die Opposition bezweifelt selbst diese Zahl, auch weil die Wahlbehörde ungültige Stimmzettel zuließ. Die kemalistische CHP und die linke, pro-kurdische HDP erklärten daher umgehend, das Ergebnis vor Gericht anzufechten. Allerdings stehen ihre Chancen schlecht. Erdogan hat alle Kritik am Referendum kategorisch zurückgewiesen, und die Richter in der Türkei wissen nur zu genau um die Konsequenz unerwünschter Entscheidungen.

Denn der autoritäre Schwenk kam nicht über Nacht, im Gegenteil: Dem Volksentscheid ging in den vergangenen vier Jahren eine stetige Zunahme von Repressionen voraus.

Dabei wurde der autokratische Umbau des Landes durch einen Moment der Schwäche Erdogans ausgelöst: Der Ausbruch der Gezi-Proteste im Sommer 2013 führte der AKP vor Augen, dass es widerständige Akteure in der Gesellschaft gab, die sie nicht kontrollieren konnte und die ihren Machtanspruch grundsätzlich in Frage stellten. Während die parlamentarische Opposition seinerzeit weitgehend wirkungslos blieb, entwickelten die außerparlamentarischen Bewegungen eine unkalkulierbare Dynamik. Die Regierung unter dem damaligen Premierminister Erdogan scheiterte mit all ihren Versuchen, die Bewegungen auseinander zu dividieren oder wenigstens zu kanalisieren. Am Ende konnten die Proteste nur mit massiver staatlicher Gewalt niedergeschlagen werden.

Das Anziehen der Daumenschrauben

Daraus aber zog die AKP einen folgenschweren Schluss: Zum Machterhalt setzte sie fortan verstärkt auf Repression. Erdogans Regierung rüstete den Sicherheitsapparat auf und erweiterte dessen rechtliche Spielräume. So erhielt die Polizei mehr Befugnisse im Vorgehen gegen Protestierende, und eine Neufassung der Telekommunikationsgesetze erlaubte die verstärkte Zensur der sozialen Netzwerke sowie die Verfolgung ihrer Nutzer.

Als Erdogan im August 2014 zum Präsidenten gewählt wurde, stellte die Staatsführung sogar das parlamentarische System in Frage: Die Türkei befinde sich in einer schwierigen historischen Phase und sei von inneren wie äußeren Feinden bedroht. Eine solche Zeit verlange nach einer starken und einheitlichen politischen Führung, die im Rahmen des mangelhaften parlamentarischen Systems nicht zu verwirklichen sei. Dagegen setzte die AKP-Spitze ein Präsidialsystem, in dem sich die politische Macht auf ein Amt konzentriert.

Doch weder im Parlament noch in der Bevölkerung gab es dafür ausreichend Unterstützung. Alle Oppositionsparteien waren gegen das Präsidialsystem, und die AKP verfügte alleine nicht über die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit. Die Parlamentswahl im Juni 2015 verschlechterte die Aussichten Erdogans zusätzlich. Unter dem Motto „Wir werden dich nicht zum Präsidenten machen“ gelang der HDP der Sprung über die Zehnprozenthürde, wodurch die AKP zum ersten Mal seit 2002 die absolute Mehrheit verlor.

Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen

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Source originally posted to Flickr as Recep Tayyip Erdogan – World Economic Forum Annual Meeting Davos 2009
Author Copyright by World Economic Forum, swiss-image.ch/Photo by Andy Mettler

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