Zwischen Krieg und Frieden
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 26. Dezember 2018
Kein Frieden ohne Gewaltmonopol
von Herfried Münkler
Syrien, Chemnitz und die Aktualität des Dreißigjährigen Krieges
Historische Parallelen und Analogien werden ständig hergestellt. Sie dienen dazu, Orientierung in einem Feld des Ungewissen zu schaffen und Hinweise zum Umgang mit den bedrängenden Herausforderungen zu geben.[1] Das können wir auch zurzeit beobachten, wenn gefragt wird, ob in Anbetracht sich verschlechternder Beziehungen zwischen dem Westen und Russland mit einem neuen „Kalten Krieg“ zu rechnen sei oder ob angesichts einer wachsenden Spaltung der deutschen Gesellschaft erneut „Weimarer Verhältnisse“ vor der Tür stünden.
Solche intuitive Analogiebildung ist nicht methodisch kontrolliert, sondern folgt zumeist aktuellen Sorgen und einem diffusen Geschichtswissen. Es ist die Aufgabe der Sozial- wie Geschichtswissenschaft, solchen Analogien nachzugehen und sie im Hinblick auf ihre Plausibilität sowie die Wahrscheinlichkeit des damit Prognostizierten zu überprüfen. Mehr ist nicht möglich. Sie im strengen Sinn zu verifizieren oder zu falsifizieren, ist wegen der Art der Aussage ausgeschossen. Es geht also stets um den Grad von Plausibilität. Deswegen kann ein Blick auf mögliche Analogien des Dreißigjährigen Krieges zu unserer Gegenwart ausgesprochen sinnvoll sein – und zwar sowohl was das Ende als auch was den Anfang des Krieges anbelangt. Das zeigen nicht zuletzt die Ereignisse im Spätsommer in Chemnitz.
Die Enthegung des Krieges
Fast alle historischen Darstellungen lassen den Dreißigjährigen Krieg mit dem Prager Fenstersturz beginnen. Am Vormittag des 23. Mai 1618 stürzten böhmische Adlige zwei königliche Statthalter sowie deren Sekretär aus den Fenstern der Prager Burg. Das sollte zum Ausdruck bringen, dass die böhmischen Stände das Agieren des gerade erst zum König gewählten Ferdinand von Habsburg als Eingriff in ihre ständischen Rechte ansahen. Als entscheidende Weichenstellung auf dem Weg in den Krieg wird dagegen die Selbstblockade der Reichsinstitutionen herausgestellt. Die auf Ausgleich und Kompromissfindung angelegte Verfassungsstruktur des Reichs wurde durch die Entstehung protestantischer und katholischer Parteien, der Union und der Liga, paralysiert, so dass es, als sich die Konflikte immer weiter zuspitzten, keine Instanz des friedlich-schiedlichen Ausgleichs mehr gab.
Die Paralyse der Reichsinstitutionen ist zweifellos ein wesentliches Element in der Genese des Krieges – und zudem ohne Analogiefähigkeit, da es Vergleichbares zuvor und danach nicht gegeben hat. Fragt man allerdings erneut nach der Vorgeschichte, die ihrerseits erst zur Entstehung von Union und Liga geführt hat, stößt man auf erstaunliche Parallelen zur Gegenwart – etwa auf die Freie Reichsstadt Donauwörth, eine bikonfessionelle Stadt, in der Provokationen, Konflikteskalation und schließlich irreversible Verfeindungen eine zentrale Rolle gespielt haben. Beschäftigt man sich mit diesen Vorgängen, so drängen sich Analogien zur jüngeren Vergangenheit und Gegenwart geradezu auf – etwa zu den Vorfällen in Chemnitz.
Aussichten auf den Bürgerkrieg
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte die Stadt Donauwörth etwa 4000 Einwohner, von denen die überwiegende Mehrheit protestantisch war. Zuletzt gab es nur noch 16 katholische Haushalte, deren seelsorgerische Betreuung in einem an der Stadtmauer gelegenen Benediktinerkloster erfolgte. Die durch öffentliche Glaubenspraxen markierten „Eigenräume“ waren strikt voneinander getrennt.
Das änderte sich im Frühjahr 1605, als bei der Durchquerung der Stadt die der katholischen Prozession vorangetragenen Fahnen nicht mehr eingerollt blieben, sondern entfaltet wurden, so dass die Bilder und Schriftzeichen zu sehen waren. Der Rat der Stadt befürchtete gewalttätige Auseinandersetzungen und wirkte auf die Katholiken ein, es bei der früheren Praxis zu belassen und Provokationen zu vermeiden. Das wurde jedoch vom Wiener Reichshofrat, der in die Angelegenheit eingeschaltet worden war, als Bruch des Religionsfriedens gewertet.
Für die Protestanten in Donauwörth wiederum war diese Entscheidung der Beweis für die prokatholische Haltung der Reichsinstitutionen, während sie für die Katholiken einer Aufforderung zur symbolischen Raumnahme gleichkam. Als am 25. April 1606 die Prozession mit vollem Gepränge den Marktplatz der Stadt erreichte, wurde sie von einem protestantischen Mob angegriffen, die Fahnen wurden zerrissen, die Reliquien in den Straßendreck getreten und die Prozessionsteilnehmer verprügelt. Nach weiterer Eskalation kam es schließlich zur Reichsexekution durch Herzog Maximilian von Bayern, und die ehedem Freie Reichsstadt wurde zu einer bayerischen Landstadt degradiert.
Das wiederum war erst der Anstoß zur Bildung der protestantischen Union und in Reaktion darauf zur katholischen Liga, die beide eigene Heere aufstellten. Kurzum: Aus einem Zusammenleben in religiöser Indifferenz war binnen kürzester Zeit eine Freund-Feind-Konstellation geworden.
Vergleichbare „symbolische Raumnahmen“ haben sich Ende der 1960er Jahre in Nordirland zugetragen, und bis vor Kurzem noch haben die Umzüge des protestantischen Oranier-Ordens, sobald sie durch katholische Wohngebiete führten, zu Gewaltausbrüchen geführt. Es handelte sich um Provokationen der dort wohnenden Katholiken, die sich, indem sie an die militärischen Siege der Protestanten erinnert wurden, auf einen politisch wie gesellschaftlich inferioren Status in Nordirland verwiesen sahen. Die Gewaltausbrüche, mit denen sie darauf reagierten, waren letzten Endes ebenfalls Symboliken, mit denen die sozialstrukturell unterbaute politische Dominanz der Protestanten in Frage gestellt wurde. Letzten Endes sorgte nur die Präsenz britischen Militärs dafür, dass es in Nordirland nicht zu einem offen ausgetragenen Bürgerkrieg kam.
Wo aber kein „Dritter“ vorhanden ist, der als neutraler Schlichter die Gewalteskalation blockiert, bereiten solche symbolischen Raumnahmen den Weg in den Bürgerkrieg vor. Hätte es 1605/1606 in Donauwörth eine Polizeibehörde gegeben, von der diese symbolischen Raumnahmen unterbunden und beide Parteien voneinander getrennt worden wären, wäre dieser Schritt in Richtung Krieg unterblieben. Aber die Institutionen der Frühen Neuzeit verfügten nicht über solche Durchsetzungsinstrumente.
Symbolische Raumnahmen in Chemnitz
Die Aktualität dieser Vorkommnisse liegt auf der Hand: Eine symbolische Raumnahme waren auch die als Demonstration angemeldeten Umzüge rechtsradikaler Banden in Chemnitz Ende August/Anfang September dieses Jahres, die zu massiven Ausschreitungen gegen Menschen ausländischen Aussehens eskalierten. In dem martialischen Auftritt rechter Gruppierungen, ihren Sprechchören, mit denen sie Chemnitz als ihren Raum markierten, in dem „Fremde“ nichts zu suchen hätten, bewegte man sich auf einer Grenze, an der symbolische Raumnahme mit offener Gewalt verbunden war. Es wäre an der sächsischen Polizei gewesen, hier als der „neutrale Dritte“ aufzutreten, um die körperlich Angegriffenen zu schützen und die Symboliken zu desymbolisieren. Da sie dieser Aufgabe nicht gewachsen war, geriet die Lage außer Kontrolle. Es dauerte mehrere Tage, bis der Staat durch die Heranführung von Polizeikräften anderer Bundesländer wieder Herr der Lage war.
Die in jenen Tagen entstandenen Bilder werden jedoch in den Köpfen der Menschen bleiben; sie haben die Wahrnehmung des städtischen Raumes für viele grundlegend verändert. Indem sie die in Chemnitz lebenden Ausländer eingeschüchtert und verängstigt haben, waren sie ein Sieg der politischen Rechten. Derlei prägt die Wahrnehmungen und Empfindungen der Menschen: Die Gewalt, die bei solchen symbolischen Raumnahmen angewandt wird, hat selbst eine wesentliche symbolische Dimension, nämlich deutlich zu machen, dass die als anders Markierten hier nicht länger geduldet werden oder sich mit einem inferioren Status abzufinden haben. Wollen sie das nicht hinnehmen, müssen sie sich bewaffnen, wie das zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Bildung von Union und Liga der Fall war.
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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Title |
German: Szene aus dem dreißigjährigem Krieg.
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The author died in 1906, so this work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author’s life plus 100 years or less.
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Unten — Historikertag 2014 in Göttingen. Ute Frevert und Herfried Münkler…