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Erstellt von Redaktion am Dienstag 29. Dezember 2020

Wie die deutsche Klimaschmutzlobby den Politikwechsel verhindert

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Von Susanne Götze, Annika Joeres

Vor bald fünf Jahren, am 12. Dezember 2015, wurde in Paris der Weltklimavertrag verabschiedet – ein historisches Ereignis. Das erste Mal in der Geschichte hatten sich 197 Staaten auf ein Dokument zur Eindämmung der globalen Erwärmung geeinigt. Durchaus in diesem Geiste beschloss Anfang Oktober das Europaparlament, bis 2030 60 Prozent des CO2-Ausstoßes einsparen zu wollen, damit die EU das vereinbarte Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, überhaupt noch erreichen kann.

Das verlangt enorme Kraftanstrengungen. Allerdings hinken die einzelnen Nationalstaaten bei der Umsetzung des Vereinbarten weit hinterher. Dieses Versagen in der Klimapolitik hat eine lange Tradition. Bis heute werden von den einflussreichen Lobbys im Zusammenspiel mit reaktionären Politikern entscheidende Fortschritte für den Klimaschutz verhindert. Das gilt nicht zuletzt für Deutschland, das bevölkerungsreichste Land der EU, dessen Einwohner pro Kopf mehr Treibhausgase produzieren als die meisten anderen Europäer.

Jüngster Tiefpunkt dieser Blockade waren die am 20. September 2019 von der Bundeskanzlerin und den Mitgliedern des Klimakabinetts verabschiedeten Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030, die insbesondere den sogenannten Kohleausstieg „regeln“ sollten (und das in derart ungenügender Weise taten, dass die Ergebnisse unter dem Druck der Grünen wie der Ökoverbände, aber auch eines Teils der Bevölkerung, später nachgebessert werden mussten). Während die Große Koalition einen viel zu niedrigen CO2-Preis festlegte, wurde – so die Ironie der Geschichte – „im Ausgleich“ dafür die Pendlerpauschale für Autofahrer erhöht. Dabei standen damals die Zeichen der Zeit noch durchaus günstig für eine engagierte Klimapolitik: Greta Thunberg war gerade mit ihrem Segelboot in New York zum UN-Klimagipfel gefahren, der Klimawandel rangierte ganz oben auf den Titelseiten der Tagespresse, alles sah für einen kurzen Moment so aus, als würde sich endlich etwas bewegen – doch am 20. September 2019 wurden alle Hoffnungen auf eine weitergehende deutsche Klimapolitik vorerst beerdigt. Dabei war es, wie wir heute wissen, die vorerst letzte Chance auf einen großen Wurf. Denn bald danach kam die Coronakrise und damit verschwand das Klima-Thema bis auf weiteres von der Spitze der politischen Agenda.

Im selben Monat September, doch von der Öffentlichkeit nicht weiter bemerkt, veranstaltete das Bundeswirtschaftsministerium seine größte Feier des Jahres 2019: Urban Rid, der jahrzehntelang Abteilungsleiter war, wurde in den Ruhestand verabschiedet. 200 Personen versammelten sich aus diesem Anlass bei Häppchen und Getränken im Vestibül, dem mondänen Festraum im ersten Stock des Wirtschaftsministeriums. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hielt eine lange Lobesrede auf Rid und überreichte schließlich ein Bild: darauf ein gezeichnetes Schiff mit Rid im Matrosenanzug. „Der Lotse geht von Bord“, sagten die Festredner. Auf dem Bug gemalt die Reihe an Ministern als Kapitäne, deren wichtigster Gefolgsmann Rid war: Umweltminister Norbert Röttgen, Umwelt- und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU), die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Brigitte Zypries (beide SPD).

Tatsächlich ist Urban Rid eine Schlüsselfigur für die deutsche Klimapolitik: Unter Kanzler Helmut Kohl arbeitete der Parteilose im Kanzleramt, dann als Abteilungsleiter im Umweltministerium und schließlich im Wirtschaftsministerium. Alle loben ihn als Mann, der zeit seines Lebens für die erneuerbaren Energien gekämpft hat. Auch der Berliner „Tagesspiegel“ beschrieb Urban Rid anlässlich seines Abschieds als „Energiewendemann“.[1]

Kollegen und Mitstreiter sehen ihn dagegen in einem anderen Licht: als einen Verhinderer und Bremser von Wind- und Sonnenenergie. Aber es ist nicht Rid persönlich, der den Klimaschutz torpediert hat. Der Neurentner Rid steht exemplarisch für die Arbeit der Merkel-Regierungen, sei es mit SPD oder FDP als Partner: Sie proklamieren die Energiewende, aber deckeln den Ausbau von klimafreundlichen Energien und verzögern den Kohleausstieg um Jahrzehnte; sie sprechen sich für eine Agrarwende aus, aber fördern konventionelle Großbetriebe; sie bewerben die Verkehrswende, aber subventionieren fossile Kraftstoffe wie Diesel und Kerosin.

Das ist kein Zufall. Die Regierungen haben immer betont, wie wichtig die Klimawende ist, und haben zugleich auf industrienahe Lobbys gehört. Diese hatten immer wieder Argumente, warum ehrgeizige Klimapolitik Jobs kostet, mehr Zeit braucht, zu kostspielig ist oder nur weltweit Sinn ergibt. Und die Ministerien, so berichten es uns verschiedene Mitarbeiter, verstehen sich stets als Anwalt ihrer Branche, als Anwalt der Autobauer im Verkehrsministerium, als Anwalt der Energiekonzerne im Wirtschaftsministerium, als Anwalt der Großbauern im Agrarministerium. „Wir helfen unserer Branche, wo wir nur können – so ist die Haltung. Und nicht: Wir helfen dem Klima, wo wir nur können“, beschreiben Mitarbeiter die Grundeinstellung.

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„Wenn Sie wirksamen Klimaschutz machen wollen, machen Sie sich viele Gegner. Dann stehen da viele Vereinigungen und Organisationen auf der Matte, und Ihre Kabinettskollegen geben Ihnen den Rest. Wenn Sie Minister oder Kanzler sind, dann überlegen Sie sich genau, ob Sie sich mit weiteren ‚Baustellen‘ herumschlagen wollen und sich der Aufwand lohnt. Die meisten der verschiedenen betroffenen Ressorts haben sich immer dagegen entschieden.“ Das sagt der ehemalige Referatsleiter im Bundesumweltministerium, Wolfhart Dürrschmidt, der 20 Jahre lang Klimaschutzpolitik gemacht hat.[2] Ab Mitte der 2000er Jahre sei der Widerstand gegen den Klimaschutz gewachsen und die Regierung vor Lobbyinteressen zunehmend eingeknickt. Viele Politiker und ihre Zuarbeiter seien verantwortungslos und kurzsichtig. Und sie hätten den Klimaschutz in ihren Ministerien stets anderen, scheinbar drängenderen Themen geopfert – meist solchen, die mehr Wählerstimmen versprächen.

Die Ministerien als Bremser, der Bundestag als Umweltpionier

Die ersten besorgten Berichte über den Klimawandel kamen denn auch nicht von den Ministerien, sondern vom Deutschen Bundestag. Den Vorsitz in der ersten Enquetekommission zur „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ in den Jahren 1988 bis 1990 hatte der CDU-Politiker Bernd Schmidbauer, für die SPD war der spätere Staatssekretär im BMU, Michael Müller, der führende Kopf. Auch in den Reihen von SPD und CDU habe es damals noch richtig überzeugte Klimaschützer gegeben, erinnert sich Wolfhart Dürrschmidt, der damals im Umweltministerium im Referat „Klima und Energie“ arbeitete. Nicht die Bundesregierung, sondern der Bundestag hat die Klimaschutzpolitik aus der Taufe gehoben. Auch die Aktivitäten zu erneuerbaren Energien, etwa das Stromeinspeisungsgesetz 1990 und das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000, kamen aus dem Bundestag – gegen den Widerstand des innerhalb der Bundesregierung eigentlich dafür zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums. Das Resümee des allerersten Berichts über den Klimawandel in der Geschichte des bundesdeutschen Parlaments liest sich, als käme es aus einem aktuellen Polit-Papier: „Es zeichnet sich ab, dass die zu erwartenden Änderungen der Erdatmosphäre und des Klimas gravierende Folgen für die menschlichen Lebensbedingungen und für die Biosphäre insgesamt nach sich ziehen werden, die durch Vorsorgemaßnahmen nur noch teilweise verhindert werden können. Dramatische Entwicklungen können nicht ausgeschlossen werden.“[3] Die Tragweite des Klimawandels hatten Spitzenpolitiker und auch der Deutsche Bundestag also schon vor dem Fall der Mauer realisiert. Es folgen Empfehlungen, wie Deutschland seinen Treibhausgasausstoß verringern könnte: Zuallererst nennt die Kommission die Energieeffizienz, ein bis heute stark vernachlässigter Bereich. Schon hier heißt es: „Wirksame Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Schadstoffrückhaltung bei der Verbrennung fossiler Energieträger im Verkehrsbereich verdienen große Aufmerksamkeit.“[4] Energiesparen und Verkehr sollten dann in den folgenden 30 Jahren zu den Stiefkindern des Klimaschutzes werden. Die Empfehlungen der vorrangig von CDU- und SPD-Politikern gestellten Kommission fielen unter den Tisch.

1992 gründete sich dann die Enquetekommission „Schutz der Erdatmosphäre“ im vereinten Deutschland. Ihr erster Bericht trug schon den, wie vermutlich viele heutige Wirtschaftsvertreter und konservative Politiker sagen würden, „alarmistischen“ Titel „Klimaänderung gefährdet globale Entwicklung. Zukunft sichern – Jetzt handeln“. Der Bericht ist ein mahnender Appell von Politikern aller Couleur – unter Leitung eines CDU-Politikers –, endlich zu handeln. Sogar von einer CO2-Steuer und ordnungspolitischen Einzelmaßnahmen war schon die Rede. Und eine „mengenmäßige Begrenzung für CO2-Emissionen“ und „handelbare Zertifikate“, sprich einen Emissionshandel, solle es nur geben, wenn das nicht ausreiche.[5] Ein Emissionshandel wurde dann erst im Jahr 2005, ganze 13 Jahre später, auf europäischer Ebene eingeführt.

Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer brachte zu jener Zeit bei mehreren Gelegenheiten die Einführung einer CO2-Steuer ins Spiel. Er sollte aber auch einer der wenigen CDU-Politiker bleiben. Bis ins Jahr 2019 hinein wehren sich Unionspolitiker gegen gesetzliche Umweltsteuern und Abgaben, und sie haben sie auch im Klimapaket 2019 verhindert. Manche Stimmen behaupten sogar, dass Töpfer vielen CDU-Mitgliedern viel zu progressiv gewesen sei und deshalb absichtlich durch die damals eher unbekannte Angela Merkel ersetzt worden sei.

1990 aber antwortete die schwarz-gelbe Bundesregierung auf eine Anfrage der SPD zur CO2-Steuer: „Nach Auffassung der Bundesregierung muss […] entsprechend dem Verursacherprinzip die gesamte energetische Nutzung fossiler Energieträger einbezogen werden.“[6] Dazu zählte sie damals: Autofahrer, Kleingewerbetreibende, Mieter und Hausbesitzer, auch Kraftwerke und Industriefeuerungsanlagen.

Rio 1992 – die globale Zäsur

Die deutsche Delegation galt damals als besonders progressiv und wird noch heute für ihre Vorreiterrolle bei der berühmten „UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung“ in Rio de Janeiro im Jahr 1992 gelobt. Dort wurde die Klimarahmenkonvention beschlossen – das Dach für die seit 1995 jährlich tagenden Klimakonferenzen (COP, Conference of the Parties). Aufgrund des deutschen Engagements fand die erste Klimakonferenz 1995 in Berlin statt, und das UN-Klimasekretariat ist seit 1996 in Bonn angesiedelt. „Am Anfang gab es durch alle Parteien hinweg einen Konsens, dass wir konsequent und mit einem breiten Maßnahmenbündel gegen die Erderwärmung handeln müssen – ebenso wie es beim Ozonloch der Fall war“, sagt Ministerialrat a. D. Wolfhart Dürrschmidt. Der Konsens wäre damals möglich gewesen, weil die Abgeordneten ihre Verantwortung gesehen hätten. Und die Lobbyisten waren weitaus weniger aktiv als heute.

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Wer die Berichte der ersten Klima-Enquetekommissionen von 1988 bis 1990 liest, versteht schnell, dass hier von einem fundamentalen Umbau der auf fossilen Brennstoffen basierenden Gesellschaft gesprochen wurde. Die Folgen dieser Berichte hätten viele Lobbyisten erst viel später realisiert, erzählt der parteilose Dürrschmidt. Am Anfang sei es noch sehr ruhig gewesen, weil niemand daran geglaubt habe, dass die erneuerbaren Energien wirklich ein nennenswertes Niveau erreichen würden. „Man hat Wind- und Solarkraft in den 1990er Jahren einfach nicht ernst genommen und gedacht, dass diese bei ein bis zwei Prozent stehen bleiben“, so Dürrschmidt.

Für die Energiewende wurde Deutschland weltweit berühmt. Doch vor allem der Lobby in der Energiebranche gelang es, das Ruder rumzureißen – zu Lasten des Klima- und Umweltschutzes. Andere Politikbereiche haben natürlich ebenso versagt, ihre Emissionen ausreichend zu senken, etwa das Agrarministerium oder das Verkehrsministerium. Gerade in diesem CSU-Ministerium hat die Klimaschmutzlobby erheblichen Einfluss: Diesel-Desaster, SUV-Boom, neue Autobahnen, Steuergeschenke für Diesel und über hundert Treffen von Autolobbyisten mit Spitzenpolitikern sind als mögliche Gründe zu nennen, warum die Emissionen im Verkehr unter Schwarz-Rot weiter gestiegen sind.

Aber immer noch ist die kohleschwere Energie der größte Emittent in Deutschland. Im Klimapaket steht dazu: „Die installierte Erzeugungskapazität aus Kohlekraftwerken im Markt soll bis 2030 auf insgesamt 17 Gigawatt reduziert werden und bis spätestens 2038 vollständig beendet werden.“[7] Ende 2017 lieferten die Kraftwerke noch 42 Gigawatt.[8]

Das bedeutet: Deutschland wird noch fast zwanzig Jahre den klimaschädlichsten aller Rohstoffe verbrennen. Braun- und Steinkohle sind laut Umweltbundesamt für rund 70 Prozent aller CO2-Emissionen in der Stromproduktion Deutschlands verantwortlich.[9] Trotzdem hat die Bundesregierung erst einen Ausstieg in knapp zwei Jahrzehnten geplant.

Wie die Lobby ab 2005 den Aufbruch stoppte

Quelle      :         Blätter            >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen :

Oben      —   Búrka v Dortmunde

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2.)   von Oben         —    Hamlet Börnste, Kirchspiel, DülmenNorth Rhine-Westphalia, Germany

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Unten     —  Houseboat Row on South Roosevelt Boulevard after Hurricane Georges September 1998. From the Dale McDonald Collection. Hurricane Georges in Key West, Florida, September 1998.

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