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RENTENANGST

Josephinismus von unten

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 4. Februar 2015

Zur realitätsnahen Reformpolitik von Syriza.

Kaiser Joseph II. (1741-1790) mit der Statue des Mars

Josephinismus von unten

Verfasst von: Aug und Ohr. Verfasst am: 03.02.2015 – 14:05.

Zu Beginn des Jahres wandte sich Tsipras an das progressive Lager im weitesten Sinn, um eine Sammlung der Kräfte gegen die Memorandenpolitik anzusteuern, programmatischer Bezugspunkt war dabei das Programm von Saloniki.

In dem Aufruf heißt es: „Wir wenden und zuallererst an die Kräfte der Linken, von den linken Sozialisten bis zur außerparlamentarischen Linken, wir wenden uns an die KKE und an Antarsya und rufen sie auf, sich darüber klar zu werden, daß der Kampf, den wir zu führen haben, über die bestehenden Unterschiede innerhalb der Linken hinausgeht. … Unser Aufruf gilt einem breiten organisierten Zusammenwirken auf den Listen von Syriza und richtet sich an gesellschaftliche und politische Kräfte, die grundsätzlich mit dem Programm von Saloniki übereinstimmen und dies durch ihre jeweiligen Prioritäten ergänzen wollen. An Kräfte und an Personen aus dem weiten sozialen und politischen Bereich der Linken, des Umweltschutzes, der Memorandengegner. … Wir wenden uns im besonderen an die Kräfte der radikalen Umweltschützer, an die Ökologen/Grünen (Name einer Partei, mit der später tatsächlich ein Wahlbündnis getroffen wurde, Anm. AuO), denn wir meinen, daß die Positionen der Linken und der radikalen Umweltschützer von entscheidender Bedeutung sind.“ (1)

Antarsya lehnte in der Folge eine Zusammenarbeit nach wie vor kategorisch ab, allerdings ist eine Gruppe von schätzungsweise 20 Maoisten der KOE (Kommunistischen Organisation Griechenlands) aus dem Lager von Syriza in das der Antarsya, bzw. eines erweiterten Bündnisses, das sich Antarsya-MARS nennt, übergewechselt. Die Adresse an die KKE war, in der derzeitigen Situation, eine reine Fleißaufgabe.

Niemand aber wird in Abrede stellen können, daß der praktische Aufruf möglicherweise für eine nähere oder fernere Zukunft doch Bedeutung haben könnte. Einige kleinere linke Gruppen vertreten übrigens seit langem das Konzept einer breiten Zusammenarbeit, das von Kräften der Syriza über Antarsya bis hin zur KKE gehen soll. De facto aber zeigen sich bereits heute Synergien.

Eine breite Protestbewegung etwa stellte sich gegen die Privatisierung, den Ausverkauf eines riesigen Geländes im Süden von Athen an einen der Oligarchen Griechenlands, eines Areals, auf dem früher unter anderem ein Flughafen und ein US-Stützpunkt zu finden waren, und die Privatisierung dieses Geländes, das nach dem ehemaligen Flughafen Ellinikó benannt wird, wurde jetzt von der Regierung gestoppt.

Dem kann eine Reihe vergleichbarer Beispiele an die Seite gestellt werden, etwa die Rücknahme der Privatisierung eines weiteren Teils des Hafens von Piräus, gegen die die dortigen Arbeiter bereits in der Vergangenheit jahrelang, aber erfolglos gekämpft hatten. Versprochen, eingehalten, umgesetzt. So spielen Bewegungen und Reformen von oben einander in die Hände, es sind Reformen von unten, die von oben gestützt werden.

Aber worin besteht dieses Programm von Saloniki, für das Tsipras im weiteren Umfeld „werben“ wollte? Es steht im Mittelpunkt der Politik von Syriza, es ist gewissermaßen deren programmatisch-praktisches Rückgrat.

Der in Frankreich lebende Syriza-Aktivist Manolis  Kosadinos charakterisiert auf der Homepage von Syriza France das am 13. September vergangenen Jahres anlässlich der Wirtschaftsmesse in Saloniki präsentierte Programm folgendermaßen:

„Nachdem Syriza zumindest in der ersten Etappe der Regierung mit ihrer gegen die Austerität gerichteten Politik damit rechnen muß, daß die Beziehungen zu den Kreditgebern auf eine starke Belastung zugehen werden, wurden die Einzelposten des Budgets so berechnet, daß sie im Rahmen eines ausgeglichenen Haushalts realisiert werden können und ohne daß weitere Anleihen in Anspruch genommen werden müssen.

Der Maßnahmenkatalog teilt sich in 27 Programmpunkte, wobei der Gesamttext etwa 600 Seiten umfaßt. In diesem Dokument wird die „Neustrukturierung der Produktivität“ anschaulich entwickelt – ein Terminus, der von Syriza für den Ausstieg aus der Krisensituation im Interesse der unteren Volksschichten verwendet wird.

Derzeit werden (der Text Kosadinos´ wurde am 29. 12. verfasst, AuO) in regionalen Konferenzen der Partei 13 regionale Programme ausgearbeitet, jeweils eines für eine jede Region. In zwei Regionen (darunter Attika-Athen, wo 37% der Bevölkerung leben) sind von Syriza geführte Listen an der Regierung, in allen anderen Regionen hat die Linke eine starke Präsenz.

Wenn diese Maßnahmen auch noch weit entfernt sind von den Zielen, die sich Syriza auf dem ersten Gründungskongreß gesteckt hat, … etwa dem einer Gesellschaft, „in der die Arbeiter in der Lage sind, mit ihren demokratisch gewählten Organen die Produktion im Interesse der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu leiten und zu schützen“, so ist es doch abzusehen, daß die Umsetzung des Programms von Saloniki darauf zielt, dem griechischen Volk, besonders den am stärksten betroffenen Schichten, die Möglichkeit zu verschaffen zu leben, zu arbeiten, zu hoffen, zu erneuern, einen  umfassende Beteiligung des Citoyens an den Entscheidungen in Gang zu setzen und schließlich die Grundlagen dafür zu schaffen, daß diese Volksschichten zu einem mächtigen Hebel werden, mit dem eine tiefgehende gesellschaftliche und politische Transformation erkämpft werden kann. … Das Programm von Saloniki geht gegen die Einschnitte vor, von denen die griechische Gesellschaft und Wirtschaft am allerstärksten verwüstet und zerstört worden sind. Die Gesamtkosten des Programms werden auf etwa 11,3 Milliarden Euro geschätzt. Damit ist gesichert, daß es durch das Budget gedeckt werden kann, unabhängig davon, wie die Verhandlungen mit den Kreditgebern und übernationalen Instanzen ausgehen werden, wobei für Syriza die Schuldenproblematik bei diesen Verhandlungen an allererster Stelle steht.

Das Programm umfaßt 4 Maßnahmenbündel, besteht aus 4 Pfeilern: Maßnahmen gegen die humanitäre Krise, Neustart der Realwirtschaft, Neuschaffung von Arbeitsplätzen, Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden sowie auch die Neukonstitutierung des Status des Bürgers gegenüber der staatlichen Verwaltung.“ (2)

Das Programm von Saloniki ist an anderer Stelle in Gänze übersetzt worden (3), wir fassen einige Punkte zusammen. Unter umfassende europaweite Maßnahmen fällt die Streichung eines Großteils der Schulden, hierzu dient eine  europäische Schuldenkonferenz, weiters ein europäischer New Deal für öffentliche Investitionen.

Zu den genannten 4 Pfeilern zitieren wir jeweils eine charakteristische Maßnahme. Unter Bekämpfung der humanitären Krise fällt, daß bisher unversicherte Arbeitslose eine kostenlose medizinische Behandlung und kostenlose Medikamente erhalten. Zum 2. Pfeiler gehört unter vielen anderen Maßnahmen etwa das Verbot von Zwangsräumungen. Pfeiler 3: Wiederinkraftsetzung der abgeschafften Tarifverträge, in deutscher Terminologie: Wiedereinsetzung der von „Europa“ zerschlagenen Tarifautonomie, Pfeiler 4: Wiedereinrichtung des von Samaras überfallsartig geschlossenen Rundfunk- und Fernsehsenders ERT. Etliches von diesen Maßnahmen wird eben umgesetzt, oder ist bereits umgesetzt. Dies als kurzer Einblick für LeserInnem die mit dieser Problematik noch nicht vertraut sind.

Dem vorangegangen war allerdings ein wegweisendes Wirtschafts- und Sozial-Rahmenprogramm, das bereits vor mehr als zwei Jahren von Tsipras bekanntgegeben wurde. Es enthält in einer Nußschale die wesentlichen sozialpolitischen Forderungen (4), die in der Folge weiterentwickelt wurden. Man hätte schon damals große Plakate in ganz Europa aufhängen sollen, um die humane Grundtendenz dieser Politik allen anschaulich zu machen.

Aber ein großer Wurf gelang Syriza mit der Ausarbeitung einer großen Verwaltungsreform, die sich genau in der Logik der bisherigen Entwürfe befindet und gleichsam die logistisch-organisatorische Grundlage für die angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen bereitstellt (5). Am Anfang des Monats wurde sie auf einer mehr als zweitägigen Konferenz, die in Piräus stattfand, finalisiert und vom Parteivorsitzenden vorgetragen.

Sie betrifft wiederum 4 Bereiche: Verwaltung und Personal, öffentliche Verwaltung, Bekämpfung der Großkorruption und des Filzes, Stärkung der Kontrollmechanismen.

Zur Funktion der Verwaltung und zum Personal.

Angestrebt wird, so heißt es zu Beginn, „eine radikale Reform der öffentlichen Verwaltung“. Die Verwaltung soll umstrukturiert werden, die einzelnen Aufgabenbereiche werden neu definiert und darunter fallen folgende Maßnahmen:

Die Anzahl der Ministerien wird auf 10 reduziert, das sind um 7 weniger als zuvor, dies wurde damals angekündigt, ist inzwischen realisiert. Prägnant heißt es: „Die zahlreichen Regierungsorganisationen, die als bloße Brutstätten der Korruption dienen und in denen politische Verantwortung und Kompetenzen untergehen, werden abgeschafft. … Der öffentliche Bereich soll von den Beraterheeren und von den auf Planstellen wartenden Stellenanwärtern entlastet werden, stattdessen wird für den Bedarf der Ministerialbüros, Staatssekretariate und Generaldirektionen eine aktive Rekrutierung aus den Reihen der Angestellten des öffentlichen Dienstes vorgenommen. Das auf Druck der Memoranden entstandene, die Angestellten im öffentlichen Dienst betreffende Disziplinarrecht wird wieder abgeschafft.“

Die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung des sogenannten Mobilitätspools (Warteschlange für Entlassene des öffentlichen Dienstes, die an andere Stellen und in andere Funktionen verschoben wurden, AuO) wird abgeschafft: eine Maßnahme, die zwischenzeitlich bereits eingeleitet wurde, darüber hinaus wurden Entschädigungen in Aussicht gestellt nach Maßgabe allerdings eines zu erwartenden konjunkturellen Aufschwungs. Wiedereinstellung aller, die verfassungswidrig entlassen wurden. Objektivierung der Evaluierungskriterien.

Punkt 2 „Öffentliche Verwaltung“ beginnt mit einer politisch-rechtlichen Erläuterung:

„Das größte Problem für die Bürger ist die Bürokratie, sind die Verzögerungen und Wartezeiten, ist die widersprüchliche und inkohärente Gesetzgebung, was in der Praxis auf nichts anderes als auf ein System der Machterhaltung und fortgesetzten Korruption hinausläuft“. Die Reformvorhaben von Syriza zielen auf eine „Normierung der Verwaltungsvorgänge, auf Transparenz und Reduzierung der Belastung des Bürgers im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung.“

Unter die ersten Maßnahmen, die die Regierung durchführen wird, fallen folgende:

„Einschränkung des persönlichen Verkehrs der Klienten mit der Behörde mit dem Ziel der Bekämpfung der verbreiteten Kleinkorruption“, dies soll auch mit Hilfe des Ausbaus der bisherigen Servicezentren für Bürger und Unternehmen (ΚΕΠ) geschehen, die in „Kompetenzenübergreifende Servicezentren“ erweitert werden sollen. Es werden Anlaufschalter im gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung geschaffen.

„Die bisherige Verpflichtung zur Vorlage der zahlreichen Unterlagen, die für eine Baugenehmigung oder Einrichtung eines Geschäfts notwendig waren, wird abgeschafft. An Stelle der präventiven Kontrolle tritt eine sanktionierende, die besonders für den Fall falscher Angaben verschärfte Bußen vorsieht.“

Errichtung einer Agentur zur Informierung der Bürger über die jeweilige neuere Gesetzeslage.

Schließlich soll eine elektronische Bürgerkarte eingeführt werden.

Zu Punkt 3 „ Bekämpfung der Großkorruption und des Filzes“ heißt es unmißverständlich:

„Zerschlagen wir die Dreierbeziehung zwischen den politischen Parteien, den Oligarchen der Wirtschaft und den Eigentümern der Massenmedien und Banken!“

Maßnahmen, die die Parteien betreffen: Der Rahmen für die Kreditvergabe durch die Banken an die Parteien wird geändert, es wird eine Obergrenze eingerichtet, Kredite mit langer Laufdauer werden verboten, Bankenkredite dürfen staatliche Kredite nicht  wesentlich übersteigen, volle Transparenz über das Wirtschaftsgebaren der Parteien.

Was die Massenmedien betrifft, so wird die Bank von Griechenland ermächtigt, die Herkunft der Finanzen der Medien zu kontrollieren, dazu kommen Regelungen, die für gewisse Fälle zwingend Rekapitalisierung vorsehen. Und schließlich wird der Betrieb der Massenmedien genehmigungs- resp. ausschreibungspflichtig (Anm.: Die großen Sender und Fernsehkanäle liefen in all diesen Jahren ohne jegliche Genehmigung, nur in Form einer provisorischen, der Macht der Oligarchen Rechnung tragenden Pseudo-Zulassung).

Desweiteren geht es um Maßnahmen zur Einschränkung von Intransparenz, Protektion, Wettbewerbsverzerrung – hier wird man sich, so wird explizit betont, besonders nach der europäischen Gesetzgebung auszurichten haben! – und auch um Verstärkung der Kontrolle durch die Öffentlichkeit, weiters um die Objektivierung der öffentlichen Ausschreibungen. Dazu kommen einschneidende Maßnahmen zur Abschaffung der Immunität von Funktionsträgern wichtiger Behörden und Agenturen – was noch viel böses Blut machen wird.

Punkt 4 „Stärkung der Kontrollmechanismen“. Wir kürzen ab. Es geht um den Kampf gegen Korruption und den allgemeinen moralischen Rückschritt und Verfall. Hier heißt es eindringlich: „Einhaltung des Gesetzes überall!“ „Rechtsstaat überall!“

Zu diesem Zweck sollen alle Kontrollorgane in einer einheitlichen Organisation zusammengefaßt werden, die dem Ministerpräsidenten unterstellt wird. Zu den dringlichsten Maßnahmen gehören solche gegen die Wirtschaftskriminalität sowie die Verstärkung des Arbeitsinspektorats. Die Ausbeutung in der Arbeitswelt schließlich und nichtversicherte Arbeit müssen ein Ende finden. Die Legalisierung der Einkünfte aus der Organisierten Kriminalität muß bekämpft werden. Stärkung und Reaktivierung der Behörde, deren Aufgabe die Kontrolle der Herkunft der Vermögen sowie  die Bewertung bisher steuerbefreiter Vermögen umfaßt.

Es gibt keine vergleichbare Reformregierung in Europa! Nun ist zu hoffen, daß Spanien nachziehen wird. Aber Schäuble, Dijsselbloem und dergleichen wollen all dies nicht.

Denn es ist ein Reformwerk, das Europa zum Vorbild dienen könnte.

(1) Α. Τσίπρας: «Ανοιχτό, προοδευτικό προσκλητήριο σε όλες τις κοινωνικές δυνάμεις που παλεύουν για την πολιτική αλλαγή στον τόπο μας», ERT Open, 3. 1. 2015

http://www.ertopen.com/news/ellada/politikh/item/29038-a-tsipras-%C2%ABanoichto,-proodeytiko-prosklhthrio-se-oles-tis-koinwnikes-dynameis-poy-paleyoyn-gia-thn-politikh-allagh-ston-topo-mas%C2%BB

(2) Manolis Kosadinos: Ce qui a été dit à Thessalonique, l’engagement de SYRIZA auprès du peuple grec, Syriza France, 29. 12. 2014

http://syriza-fr.org/2014/12/29/ce-qui-a-ete-dit-a-thessalonique-lengagement-de-syriza-aupres-du-peuple-grec/

(3) Was die Syriza-Regierung tun wird, Transform!

http://www.transform-network.net/de/fokus/griechenland-entscheidet/news/detail/Programm/what-the-syriza-government-will-do.html

(4) Stavros Panagiotidis: Das Wirtschaftsprogramm der SYRIZA – Für eine Regierung der Linken in Griechenland, Transform! 14. 6. 2012

http://www.transform-network.net/de/blog/blog-2012/news/detail/Blog/the-economic-program-of-syriza-for-a-government-of-the-left-in-greece.html

(5) Σαρωτικές αλλαγές προβλέπει το πρόγραμμα του ΣΥΡΙΖΑ για τον μετασχηματισμό του κράτους και τον εξορθολογισμό της δημόσιας διοίκησης , Left, 4. 2. 2015

https://left.gr/news/sarotikes-allages-provlepei-programma-toy-syriza-gia-ton-metashimatismo-toy-kratoys-kai-ton

Quelle: linksunten.indymedia.org

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2 Kommentare zu “Josephinismus von unten”

  1. Karl-Heinz Reinelt sagt:

    In der Tat kann exemplarisch die im Artikel thematisierte, von „unten“ eingeforderte Reform der Hafenarbeiter, sprich die Rücknahme der Privatisierung der europaweit größten griechischen Häfen, die von „oben“ durch die Regierungsfraktion Syriza gestützt und befördert wird, als ein realitätsnahes, einander in die Hände spielendes Reformwerk bezeichnet werden, das nicht nur in Griechenland die Chance eines sozialen, ökologischen und vor allem der Grundidee entsprechenden realdemokratischen Umbruchs eröffnet, sondern über Griechenland hinausweisend Europa zum Vorbild dient.

    Die Verfasser „Aug und Ohr“ leiten in ihrem ganzheitlichen Beitrag zur Programmatik des SYRIZA-Bündnisses hervorragend detailliert ab, dass Josephinismus von unten, im weitesten Sinne als gesamtgesellschaftliches Phänomen begreifbar ist, unter dem Leitspruch: „Alles für das Volk, alles durch das Volk.“

    Leidenschaftlich ergeht der Aufruf für eine Sammlung der Kräfte, für ein breites organisiertes Zusammenwirken gegen das Austeritätsdiktat der Troika und den Ausverkauf an die Finanzmärkte, bzw. gegen die Memorandenpolitik, wie es im Programm von Saloniki heißt.

    Der Zusammenschluss-Apell richtet sich nicht nur an die linken Sozialisten und außerparlamentarischen Linken, sondern auch an die, sich akzentuiert sperrenden, KKE und ANTARSYA, mit dem unwiderlegbaren Argument, dass der Kampf, der zu führen ist, allemal über die aushaltbaren, bestehenden Unterschiede innerhalb der Linken hinausgeht.

    Mögliche Synergien ergeben aus SYRIZAs Fernzielen, die eine Gesellschaft antizipieren, in der die Arbeiter in die Lage versetzt sind, mit ihren originär demokratisch gewählten Organen die Produktion vorrangig im Interesse der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu leiten und zu schützen.

    In der Vorstufe zielt das umzusetzende Programm von Saloniki darauf ab, insbesondere den am stärksten vom neoliberalen Austeritätsprogramm Betroffenen, dem zu 50 Prozent unwürdig unter der Armutsgrenze lebenden griechischen Volk, erstmals wieder die Möglichkeit zu eröffnen, zu leben, zu arbeiten, zu hoffen, zu erneuern, den Citoyen in ihm wieder zu beleben, den eigenverantwortlich mitgestaltenden Staatsbürger, und damit die Grundlagen zu schaffen, dass diese von den Vorgängerregierungen sträflich niedergehaltenen Volksschichten zu einem mächtigen Hebel werden, mit dem eine tiefgreifende gesellschaftliche und politische Transformation erkämpft werden kann.

    Das ANTARSYA Programm sieht als Zukunftsperspektive den Kommunismus, den sie über den Sozialismus erreichen möchte. Die durch die Totsparpolitik verstärkte Wirtschaftskrise in Griechenland bewertet sie als grundlegende Krise des Kapitalismus. Das antikapitalistische Bündnis lehnt alle Sparmaßnahmen der griechischen Vorgängerregierungen ab und fordert die komplette Streichung der griechischen Schulden.

    ANTARSYA positioniert sich zudem radikal gegen die europäische Union und fordert deren Ende, ist aber erstaunlicherweise gegen einen alleinigen Austritt Griechenlands aus dem Euro.

    Die tagespolitischen Forderungen der „Antikapitalistischen Linken Zusammenarbeit für den Umsturz“ sind das Verbot aller Entlassungen, ein Mindestlohn von 1400 €, drastische Kürzung der Arbeitszeit, Verstaatlichung von Banken und Großunternehmen und Arbeitslosengeld in Höhe des Mindestlohns.

    Abgesehen vom radikalverbalen Sprachduktus von ANTARSYA fällt im Vergleich zu SYRIZA der in großen Teilen nahezu deckungsgleiche programmatische Tenor ins Auge und es verwundert, dass sich die gemeinsamen Schnittmengen nicht brückenbildend auswirken, angesichts der beiderseits als notwendig erkannten Konfrontation mit der EU, die von SYRIZA allerdings als veränderbar, von ANTARSYA aber als aufzulösen angesehen wird.

    Der abscheuliche und zu tiefst völkerfeindliche, arbeitnehmerfeindliche, antidemokratische und militaristische Charakter der EU wurde durch den Euro und die Wirtschaftskrise zum Vorschein gebracht, so ANTARSYA.

    Die EU ist kein Haus der Völker, sagt ANTARSYA. Die EU ist ein Schlachthaus der multinationalen Konzerne. Sie leitet den Angriff gegen die Rechte der Arbeitenden und der Jugend. Die EU ist Komplize der NATO und der USA bei ihren imperialistischen Invasionen, aber sie führt auch ihre eigenen durch. Sie kann nicht in ein Europa der Völker reformiert werden.

    ANTARSYA führt dabei nicht den schlüssigen Nachweis, inwiefern sich die EU nicht zum Haus der Völker entwickeln kann. Es wird lediglich die Behauptung ins Feld geführt, auch eine linke Regierung könne keine „volksfreundlichen“ Eigenschaften annehmen, da sie sich innerhalb des kapitalistischen Systems bewege. Das antikapitalistische Bündnis stellt kategorisch in Abrede, dass sich systemimmanente Reformen volksdienlich gerieren können. Nach ANTARSYA ist ein „Josephinismus von unten“ unter kapitalistischen Randbedingungen schlicht nicht umsetzbar.

    Der Sozialismus mit Marktwirtschaft, die Reformen der Syriza, die Unterwerfung unter die Syriza, die Zusammenarbeit mit ihr, Syrizas isolierte, parteiliche Denkweise seien allesamt ausweglos und führten zur Niederlage, postuliert ANTARSYA monologisch.

    Statt der Illusion eines „Kapitalismus mit menschlichem Gesicht“ gibt es im Kapitalismus keine strategische Alternative zur gesellschaftlichen Revolution und zur Macht der Beschäftigten, beteuert ANTARSYA.

    Der Ausweg aus der Krise und der neoliberalen Barbarei zugunsten der Arbeit führt nur über die Revolution der KP, die einheitlichen dynamischen Kämpfe, den Massenwiderstand, die Konfrontation gegen den Angriff des Kapitals, ein Weg der nicht gerade und nicht „friedlich“ sein kann, so ANTARSYA.

    Spätestens beim nicht Ausschließen von physischer Gewalt, welcher Art auch immer, und dem dazu völlig im Gegensatz stehenden Appell „Gegen den Krieg“, muss sich derjenige, der die Maxime akklamiert „Frieden schaffen ohne Waffen“ fragen, ob ANTARSYA wirklich als Bündnispartner geworben werden soll.

    Schließlich macht ANTARSYA geltend, dass der von SYRIZA anvisierte, ausgezeichnet sichtbare politische Vermessungspunkt, der wegen seiner ethischen Höhe eine gute Sichtverbindung zulässt, sprich der verstetigte historische Umbruch, bzw. die gesellschaftliche und politische Transformation, die nicht allein eine griechische sein kann, sondern sich in ganz Europa entwickeln muss, nur per brudervölkische Waffengewalt implizierendem Bürgerkrieg realisierbar ist.

  2. [bremer] sagt:

    … ANTARSYA ist im Griechischen Parlament NICHT vertreten …

    http://en.wikipedia.org/wiki/Front_of_the_Greek_Anticapitalist_Left

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