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Wolfhagen Istha – Hessen

Erstellt von Redaktion am Samstag 8. Juni 2019

Die Stille nach dem Schuss

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Von Christoph Schmidt-Lunau und Konrad Litschko

Im kleinen Istha in Hessen wird der CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen. In dem Dorf herrschen Trauer und Ratlosigkeit über das Motiv. Und auch die Politik weiß nicht so recht, wie sie mit dem Fall umgehen soll.

in halbes Dutzend Kegelberge erhebt sich aus den Wiesen rund um das kleine Istha, 850 Einwohner, viele Bauernhöfe, viel Fachwerk. Istha, 20 Kilometer westlich von Kassel, ist ein Ortsteil von Wolfhagen, das sich als „Fachwerkstadt im Märchenland der Gebrüder Grimm“ präsentiert.

Ein Idyll, und mittendrin ein weißes Wohnhaus mit runtergelassenen Rollläden und rot-weißem Flatterband davor. Am Donnerstag ist es von Polizeibeamten bewacht, Kamerateams stehen davor. Seit Tagen schon gehen Ermittler der Spurensicherung in dem Haus ein und aus. Hier wurde ein Mensch erschossen: Walter Lübcke, 65 Jahre, der beliebte Kasseler Regierungspräsident, ein CDU-Mann.

In der Nacht auf den Sonntag fiel der tödliche Schuss. Ein Unbekannter drückte mit einer Pistole oder einem Revolver ab, ein Kopfschuss aus nächster Nähe. Zur gleichen Zeit feierten auf dem nahegelegenen Dorfplatz Hunderte ausgelassen auf der „Weizenkirmes“, einem Fest mit Partybands in einem Großzelt. Womöglich übertönten die wummernden Bässe den Schuss. Um 0.30 Uhr fand ein Sohn Lübcke auf der Terrasse, holte einen befreundeten Sanitäter herbei. Es half nichts mehr: Laut Polizei starb Lübcke um 2.35 Uhr im Krankenhaus. Der Täter entkam unerkannt.

Ein Politiker wurde ermordet, der Schock sitzt nun tief. Als „wichtigsten Tatort in Hessen seit Jahren“ bezeichnet das Landeskriminalamt den Fall Lübcke. Und gesteht: Eine „heiße Spur“ habe man nicht. Aber galt der Schuss überhaupt dem Politiker Lübcke? Oder war das Motiv ein ganz anderes? Ein persönlicher Streit? Eine versuchte Raubtat?

Auf einer Pressekonferenz Anfang der Woche bat LKA-Präsidentin Sabine Thurau, „nicht zu spekulieren“. Es gebe bisher keine Hinweise auf ein Motiv. Ein Suizid könne ausgeschlossen werden. Denn eine Waffe neben Lübcke fanden die Ermittler nicht. Nun werde mit Hochdruck „in alle Richtungen ermittelt“, so Thurau. Dies tut eine 50-köpfige Sonderkommission „Liemecke“, benannt nach einem Fluss bei Istha, auch das BKA unterstützt.

Aber in Istha wird spekuliert.

Wolfgang Hensel führt viele Gespräche dieser Tage. Der 72-Jährige ist Ortsvorsteher von Istha, ein SPD-Genosse seit 36 Jahren. „Alle wünschen sich, dass die Tat bald aufgeklärt wird und die Ungewissheit ein Ende hat“, sagt Hensel. „Ich bin auch persönlich betroffen, weil ich ihn sehr geschätzt habe.“ Lübcke sei im Dorf „nicht der Herr Regierungspräsident, sondern Mitbewohner, Nachbar oder Freund“ gewesen. „Für die Tat hat hier keiner eine Erklärung.“

Auch der Pressesprecher des Landeskriminalamts, Dirk Hintermeier, ist vor Ort. Er antwortet den Kamerateams geduldig, obwohl es nichts Neues gibt. Zunächst muss er allerdings Hand anlegen. Die Bauzäune, die am Sonntag auf Bitte der Polizei die Feuerwehr aufgestellt hatte, um den Tatort abzuriegeln, sollen auf einen Lkw geladen werden. Dabei braucht Feuerwehrmann Dominik Bachmann Unterstützung. Er sei noch immer erschüttert von der Tat, sagt auch er. „Man will wissen, wer das getan hat.“ Dann fährt er die Absperrgitter ins Depot.

Walter Lübcke war der bekannteste Bewohner Isthas. Zehn Jahre gehörte er als CDU-Abgeordneter dem hessischen Landtag an. Dann leitete er zehn Jahre lang, bis zuletzt, in Kassel als Präsident die nordhessische Bezirksregierung. Gleichzeitig bewirtschaftete er mit seiner Frau und den zwei Söhnen bis zuletzt einen landwirtschaftlichen Betrieb, einen der wenigen, die den Strukturwandel überstanden haben.

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Früh hatte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Selfmademan erkannt, welche neue Chancen erneuerbare Energien für den ländlichen Raum bieten könnten. Er brachte Investoren, Grundstückseigner und Landwirte für erste Windparkprojekte zusammen, als seine Partei, die hessische CDU, noch vehement gegen die „Verspargelung der Landschaft“ zu Felde zog. Mit Rücksicht auf sein Amt als Regierungspräsident übergab er vor zehn Jahren sein Unternehmen an seine beiden Söhne und einen Neffen. Die machten die Firma zu einer ersten Adresse für die Projektierung, den Bau und die Wartung von Solarenergieanlagen. „Wir sind stolz, dass ein so junges Team eine so tolle Firma aufgebaut hat“, sagt Ortsvorsteher Hensel.

Quelle      :        TAZ       >>>>>       weiterlesen

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