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Wo Trump Recht hat:

Erstellt von Redaktion am Montag 11. Juni 2018

Freihandel als Ideologie

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von Guido Speckmann

Auge um Auge, Zahn um Zahn: Nach diesem alttestamentarischen Grundsatz geht es derzeit im Handelskonflikt zwischen den USA und China zu. Als US-Präsident Donald Trump Anfang April 25prozentige Strafzölle auf chinesische Hightechgüter in Höhe von 50 Mrd. US-Dollar ankündigte, kam aus Peking umgehend die Retourkutsche. Auf Waren aus den USA, vornehmlich Agrarprodukte, würden dann ebenfalls Abgaben in dieser Höhe fällig werden. Daraufhin beklagte sich Trump über „unfaire Vergeltungsmaßnahmen Chinas“ und wies seinen US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer an, neue Sonderabgaben auf Einfuhren aus der Volksrepublik im Wert von gar 100 Mrd. Dollar zu prüfen. Die Reaktion aus Peking fiel dieses Mal zwar etwas vager, aber nicht weniger scharf aus: Man werde „um jeden Preis bis zum Ende gehen“.

Derartigen Tagen der Eskalation folgen jedoch zumeist Tage mit besänftigenden Worten. An einem soll „am Ende des Regenbogens“ gar ein „Topf voller Gold“ stehen, so die blumige Formulierung des obersten Wirtschaftsberaters Trumps, Larry Kudlow. Er versicherte, es werde keinen Handelskrieg geben und vielleicht würden die Zölle gar nicht in Kraft treten. Und selbst von Trump ist Versöhnliches zu hören: „Präsident Xi und ich werden immer Freunde sein, egal was mit dem Disput über den Handel passiert.“

Zeit also für Verhandlungen, Zeit für den selbst ernannten Dealmaker Trump. Somit scheint sich hier ein Muster zu wiederholen, das wenige Wochen zuvor bereits im Konflikt mit der EU zu beobachten war: Die US-Führung drohte Zölle auf Stahl und Aluminium an, im letzten Moment wurden europäische Produkte aber verschont. Allerdings nur vorläufig, denn bis Ende April soll auf dem Verhandlungsweg eine Lösung für den Handelskonflikt gefunden werden. Gut möglich, dass Trump die EU auf diese Weise zwingen will, ihre Rüstungsausgaben zu erhöhen. Dass Trump durchaus Erfolge mit seinem Vorgehen hat, zeigt sein Deal mit Südkorea. Ende März knickte die Führung des Landes ein und sicherte zu, dass Stahlexporte in die Vereinigten Staaten reduziert würden. Dafür werde südkoreanischer Stahl von den neuen US-Zöllen ausgenommen.

In Berlin, Brüssel und Paris zeigt man sich jedenfalls entsetzt über den US-Präsidenten, der seit seinem Amtsantritt lauthals die unfairen Handelspraktiken der Chinesen und Europäer anprangert und nun mit neuen Handelsbeschränkungen den liberalen Konsens über freie Märkte, Handel und Deregulierung aufkündigt. Denn eines scheint bei den europäischen Politikern unumstößlich festzustehen: Freihandel ist gut und sorgt für Wachstum (und Frieden), Protektionismus ist schlecht, weil es diesen bremst. Schlimmer noch: Protektionismus führt zu Nationalismus und kann – siehe die Weltwirtschaftskrise ab 1929 – die Welt in den Abgrund stürzen. Daher wird immer wieder das Loblied auf den Freihandel angestimmt und der Protektionismus verdammt. So auch von Kanzlerin Angela Merkel auf dem EU-Gipfel im März, der ganz im Zeichen der Trumpschen Zolldrohungen stand: „Europa hat sich hier gemeinsam und einheitlich präsentiert und ein Bekenntnis zum Freihandel und gegen den Protektionismus abgegeben.“

Dabei fällt es selbst dem US-Präsidenten nicht schwer, mit wenigen Hinweisen dieses Selbstbild von Merkel, Juncker oder Macron in Frage zu stellen. Mehrfach verwies er darauf, dass die EU höhere Zölle auf US-Autos erhebt als umgekehrt. Und tatsächlich sind das keine Fake News, sondern das ist Realität. Mit 10 zu 2,5 Prozent fällt bei den Autos der Unterschied im Zollniveau sogar recht groß aus. Insgesamt ist die Differenz zwar geringer, aber durchaus vorhanden. In der EU werden im Schnitt 5,2 Prozent, in den USA 3,5 Prozent auf Importe fällig. Auch ein Blick auf die Liste von Antidumping- sowie Antisubventionszöllen der EU beweist: Zimperlich ist die EU bei Handelsbeschränkungen nicht. Insgesamt hatte sie Ende des vergangenen Jahres 99 vorläufige und endgültige Antidumpingzölle verhängt. Allein bei Stahl- und Eisenprodukten gibt es momentan 53 Antidumpingzölle. Dagegen erheben die USA derzeit 48 verschiedene Schutzzölle für die Importe unterschiedlicher Stahlprodukte.

Man kann die Vergleiche noch weiter fortführen. Doch egal, ob man etwa die zollfrei ins Land kommenden Nicht-Agrar-Importe oder Agrar-Importe betrachtet, stets entpuppt sich die EU als protektionistischer als die USA – ein eklatanter Widerspruch zur Selbstinszenierung als angeblich letztem Mohikaner des Freihandels.

Wie aber ist zu erklären, dass die im Glashaus sitzende EU mit so dicken Steinen wirft, sprich Protektionismus verdammt, während sie ihn selbst praktiziert? Beziehungsweise ihn nur verurteilt, wenn er sich gegen sie selbst richtet, ihn aber gutheißt, wenn es gegen China geht? Die Antwort ist in den globalen wirtschaftlichen Machtverhältnissen zu suchen.

Der Widerspruch zwischen Rhetorik und Praxis

Für Freihandel treten dominierende Kapitalfraktionen und ihre Staaten immer dann ein, wenn bestimmte Leitbranchen der Konkurrenz auf dem Weltmarkt überlegen sind. Vor potentiellen Konkurrenten werden diese durch Einfuhrzölle geschützt. Historisch lässt sich das an den früh industrialisierten Staaten wie Großbritannien, den USA oder Deutschland gut zeigen. England beispielsweise hat 150 Jahre lang Protektionismus betrieben, erst dann vollzog es den Übergang zum Freihandel. Für das Deutsche Reich und die USA waren protektionistische Maßnahmen die Voraussetzung für Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung. Und Gleiches gilt für später industrialisierte Staaten wie Japan oder Südkorea. Diese Mittel will die EU indes heutzutage den weniger „entwickelten“ Staaten in Afrika oder Südamerika vorenthalten, um für ihre Konzerne die ganze Welt als frei zugänglichen Absatzmarkt zu nutzen. Man predigt ihnen Freihandel, obwohl man mit dem Gegenteil die heutige wirtschaftliche Stärke erlangt hat. „Diese historische Inkohärenz und Unredlichkeit ist ein starker Hinweis darauf, dass die Freihandelsideologie […] nur rhetorisch vorgeschoben ist, um den Merkantilismus mit anderen Mitteln fortzusetzen“, stellt der Autor Christian Felber fest. Und auf die prägnante Formel „Freihandel ist nicht Antiprotektionismus. Es ist der Protektionismus der Mächtigen“, brachte es Vandana Shiva, Trägerin des Alternativen Nobelpreises und indische Ökofeministin.

Dass die USA unter Trump offensiv und die EU verschämt zum Werkzeugkasten des Protektionismus greifen, hat mit den Umbrüchen im Weltsystem zu tun, vor allem mit dem Aufstieg Chinas. Dessen Konzerne setzen immer stärker europäische und amerikanische Unternehmen unter Druck. Sie drohen, im Konkurrenzkampf um Marktanteile zu unterliegen. Noch scheinen die meisten EU-Konzerne jedoch der Konkurrenz standhalten zu können und so wird die Freihandels-Fahne weiter geschwenkt.

Dies geschieht auch deshalb, weil die Mainstream-Ökonomie hauptsächlich aus neoklassischen Vertretern besteht, in der Wirtschaftsgeschichte keine Rolle spielt und von weltfremden mathematischen Modellen ausgegangen wird. Stattdessen aber hat es die Mainstream-Ökonomie vorzüglich verstanden, mit dem Begriff „Freihandel“ einen Begriff zu prägen, gegen den sich schwer Einwände vorbringen lassen. Mit der Vorsilbe „frei“ wird jegliche Kritik am Frei-Handel unmittelbar mit Unfreiheit, Zwang und Repression assoziiert. So setzt sich bis in die liberale Linke hinein ein positives Bild vom Freihandel fest.

Dass dieses Bild indes fraglich ist, haben nicht nur kritische Ökonomen, sondern selbst Studien der Weltbank oder der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) gezeigt. Der australische Ökonom Graham Dunkley resümiert in seinem Buch über den Freihandel: „Die inzwischen allseits bekannte, weltweit dominierende Behauptung, wonach Freihandel und Globalisierung verglichen mit dem Protektionismus zu höheren Einkommen, Wachstum, Wohlstand und Gerechtigkeit führen, [ist] ein Mythos.“

Die Linke und der Freihandel

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Grafikquelle   :

Die Plastik zeigt Donald Trump als schreiendes Baby mit vollen Windeln auf einem Globus sitzend. In den Händen hält er das zerrissene Pariser Klimaabkommen. Unter der Figur steht „Time for a Change“. Die sieben Meter hohe Skulptur ist vom Düsseldorfer Karnevalswagenbauer Jacques Tilly. Sie wurde von Greenpeace während eines Konzerts in der Elbphilharmonie für die Teilnehmer des G20-Gipfels in Hamburg auf einem Ponton vor das Konzerthaus gezogen.
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Author Jacques Tilly
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Ein Kommentar zu “Wo Trump Recht hat:”

  1. Carsten Will sagt:

    Ein Vergleich der absoluten Werte der einzelnen Zölle liefert kein konkretes, dem Sachverhalt dienliches Bild. Gewichtet die Zölle der einzelnen Warengruppen mit den Handelsvolumina dieser Warengruppen. Ein Unterschied ist dann kaum noch zu erkennen. Zu sehen im Vergleich der Zölle zwischen den USE und der EU der Weltbank. Zusammen mit der Entstehungsgeschichte dieses Zoll-Systems sehen die Schlussfolgerungen etwas anders aus.

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