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„Wie im Gefängnis“

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 10. Mai 2018

Insiderin über NRW-Flüchtlingszentrum

von Birgit Morgenrath

Keine Hilfe für Traumatisierte und Durchsuchungen in der Nacht. Eine ehemalige Asylverfahrensberaterin spricht über die Zustände in einem Flüchtlingszentrum.

Svenja Haberecht arbeitete gut zwei Jahre lang als Asylverfahrensberaterin für geflüchtete Menschen in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) in Oerlinghausen, einem der fünf „Ausreisezentren“ in Nordrhein-Westfalen. Anfang März waren dort 348 Geflüchtete aus dem Westbalkan sowie aus Georgien, Somalia, Indien und Pakistan untergebracht, davon 200 mit „geringer Bleibeperspektive“ sowie 120 Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre. Haberecht war bei der „Flüchtlingshilfe Lippe e. V.“ im Rahmen einer landesgeförderten Stelle beschäftigt. Anfang Januar wurde der 35-Jährigen die weitere Mitarbeit untersagt, weil sie Missstände in der ZUE öffentlich kritisiert hatte. Einer weiteren Mitarbeiterin wurde ebenfalls die Fortführung der Arbeit untersagt. Der Verein entschied sich daraufhin, die Arbeit in der ZUE zu beenden.

taz: Frau Haberecht, warum wurde Ihnen die Weiterarbeit untersagt?

Svenja Haberecht: Ich durfte in der ZUE Oerlinghausen sowie in allen Landeseinrichtungen nicht weiterarbeiten aufgrund des Vorwurfs der „Illoyalität“ gegenüber der Landesregierung. Dabei bin ich nicht beim Land angestellt; vielmehr habe ich den Auftrag, meine KlientInnen zu beraten und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Über Monate hatten meine KollegInnen und ich Beschwerden über Missstände weitergeleitet. Anstelle von Lösungen wurde die Unterbringungssituation jedoch immer restriktiver. Daher meine Kritik, die Einrichtung würde mehr und mehr einen Gefängnischarakter annehmen.

Worüber haben sich die Geflüchteten beschwert?

Über die medizinische Versorgung, die Versorgung mit Essen und Kleidung, die hygienischen Verhältnisse. Als die BewohnerInnen erfuhren, dass wir aufhören werden, dort zu arbeiten, stellten sie eine Petition an das Land, in der sie die vielen ungelösten Beschwerden in 11 Forderungen formulierten: Die Flüchtlingshilfe Lippe soll bleiben, die Ärzte sollen gehen, keine Abschiebungen aus der Einrichtung, keine ständige Polizeipräsenz, Zugang zu Schulen für Kinder, Arbeitserlaubnis nach drei Monaten, psychologische Versorgung, besseren Zugang zu Ärzten, Zuweisungen nach maximal sechs Monaten, gesundes Essen und saubere Räume, maximal vier Personen auf einem Zimmer.

Besucher sind zum Beispiel in der ZUE nicht erlaubt. Die Bewohner können sie nur draußen, außerhalb der ZUE treffen. Sie fühlten sich „wie im Gefängnis“ sagten sie uns. Nachts leuchte Flutlicht auf dem Terrain und es gebe Videoüberwachung. Tagsüber patrouillierten Polizeiwagen über das Gelände. Dazu kämen Kontrollen. „Sicherheitskräfte“ und ZUE-Mitarbeiter untersuchten zwei Mal täglich die Zimmer.

Wie sind die Asylbewerber untergebracht?

Die ZUE war früher eine Suchtklinik für 120 PatientInnen, die Menschen leben zu bis zu zehn Personen in den ehemaligen Krankenzimmern. Viele sagten, es sei zu eng, sie hätten keinerlei Privatsphäre. Sie haben auch über „extrem dreckige“ Sanitärräume berichtet. Kranke und Eltern mit kleinen Kindern hätten Angst vor einer Infizierung, wenn sie die Räume benutzen. Einige haben mir Fotos von den Toiletten gezeigt: wirklich sehr schmutzig.

Alle klagten, es gebe zu wenige Angebote für die langen „Freizeiten“. Die sind für sie ja eigentlich zermürbende Wartezeit. Viele haben sich darüber aufgeregt, dass es in der ganzen Einrichtung nur einen einzigen Fernsehapparat gebe. Mit dem immer selben Programm. Sie könnten kein Programm auswählen. Im Winter fehlten auch manchen warme Kleidung. Die muss der Träger der ZUE, das Deutsche Rote Kreuz, beschaffen. In den ZUEs gilt ja das „Sachleistungsprinzip“.

Haben Sie die Beschwerden der BewohnerInnen überprüft?

Nein, das konnte ich nicht. Ich durfte mich in der Einrichtung nicht frei bewegen, nicht herumlaufen. Das habe ich sogar schriftlich. Laut einer Anweisung der Bezirksregierung Arnsberg darf ich nicht „aufsuchend“ beraten. Arnsberg ist für die Aufsicht sämtlicher ZUE in NRW zuständig.

Der Träger, das DRK, hat in vielen Fällen entweder verzögert oder gar nicht auf unsere Meldungen reagiert. Auch die ausführende Behörde, die Bezirksregierung Detmold, ließ viele Beschwerden über lange Zeit ungelöst. Viele Beschwerden zogen sich so lange hin, bis die Personen verlegt oder abgeschoben wurden.

Wie ergeht es den Kindern in der ZUE Oerlinghausen?

Sie leiden unter zu wenig Beschäftigung und unter der Grundstimmung im Lager. Die ist von Angst und Frustration geprägt. Besonders stressig sind für die Kinder, aber auch für psychisch labile Personen, die nächtlichen Abschiebungen. Dann suchen Polizisten die Zimmer nach verstecken Personen ab. Das beschreiben vor allem psychisch Kranke und Eltern kleiner Kinder als unerträglich. Davon waren sehr, sehr viele extrem belastet.

Sie waren Verfahrensberaterin. Konnten Sie den Asylbewerbern helfen?

Quelle    :        TAZ      >>>>>      weiterlesen

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Grafikquelle     :      Asylbewerberheim in Berlin-Siemensstadt (2013)

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