„Wer unten ist, bleibt unten“
Erstellt von Redaktion am Samstag 19. März 2016
„Wer unten ist, bleibt unten“
Interview: Marc Brost
Der Ökonom Marcel Fratzscher über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und das Versagen des Sozialstaats.
Marcel Fratzscher: Ihr Eindruck trügt. Die große Koalition hat die Bürger lediglich ruhiggestellt. Sie hat Geschenke verteilt, etwa die Mütterrente oder die Rente mit 63. Trotzdem ist die gesellschaftliche Ungleichheit enorm. Die Bürger spüren das.
ZEIT: Eine andere Erklärung wäre: Die Löhne und Renten steigen, und die Leute sind einfach mit ihrer Lage zufrieden.
Fratzscher: Das trifft, wenn überhaupt, nur auf einen Teil der Bevölkerung zu. Wir vergessen die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft. Unser momentaner wirtschaftlicher Erfolg hat uns blind gemacht für deren Probleme. Dabei geht die Schere immer weiter auseinander.
ZEIT: Tut sie das? Sie interpretieren viele Zahlen ganz anders als die meisten deutschen Ökonomen. Woran liegt das: An den Zahlen oder an den Ökonomen?
Fratzscher: An den Ökonomen. Meine Vermutung ist: Sie glauben, dass die Ungleichheit zu einer gut funktionierenden Marktwirtschaft dazugehöre, weil sich niemand mehr anstrengen würde, wenn alle dasselbe verdienten.
ZEIT: Was ja auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Fratzscher: Natürlich nicht. Tatsache ist jedoch: Die Ungleichheit ist in Deutschland nicht deswegen so hoch, weil die Marktwirtschaft so gut funktioniert, sondern weil sie eben nicht funktioniert. Ich habe kein Problem mit den oberen zehn Prozent. Ich habe aber ein Problem damit, dass die unteren 40 Prozent abgehängt werden. Ich will nicht die Reichen ärmer machen, sondern die Armen reicher.
ZEIT: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin – dessen Präsident Sie sind – hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, wonach die Ungleichheit der Einkommen bis 2005 gestiegen sei, danach aber nicht mehr. Wie passt das zu Ihrer These, dass Deutschland immer ungleicher wird?
Fotoquelle: Privat / DL
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