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Wer Parks vermüllt,

Erstellt von Redaktion am Samstag 22. Mai 2021

– macht die Gesellschaft zum Knecht

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Von Waltraud Schwab

Es muss Gründe geben, warum Leute sich in Parks legen, mitunter mitten hinein in ein Meer von Müll: Flaschen, Büchsen, Plastikbecher. Pappteller, auf denen der Ketchup klebt, Grillreste in Alu, Krähen stochern darin herum. Plastikdosen mit Kartoffelsalat, angebissenes Brot, Zigarettenschachteln, Hundekottüten. Schon die Aufzählung ist eine Zumutung.

Straßen und Parks, vor allem in deutschen Städten, sind vermüllt. Auch Picknickplätze im Wald. Menschen verbringen ihre Zeit dort, bringen Essen und Getränke mit, spielen, rauchen, reden – und wenn sie gehen, lassen viele ihren Müll zurück. Auch Sperrmüll wird wild abgeladen. Auf Plätzen, am Straßenrand. Sofas, Kühlschränke. Kanister mit irgendwas. Niemand sieht’s. Wenn doch, scheint es zwecklos zu intervenieren. Der Selbstgerechtigkeitspegel derer, die Müll abladen, ist hoch. Jetzt in der Pandemie sei es mehr geworden, klagen viele Kommunen.

Kürzlich postete der Pianist Igor Levit auf Twitter eine Filmsequenz: Auf und entlang einer halbhohen Mauer, die eine Skateanlage umgibt, liegt Müll, abgestellt als wäre es urbane Deko. Im Hintergrund Spatzengezwitscher und Glockengeläut. Die Sequenz, vermutlich aus Berlin, („Paris“? fragt auch jemand), ist nur einer von vielen Posts in sozialen Medien, die Abfall in der (Stadt-)Natur zeigen.

Unter den fast 400 Kommentaren zu Levits Post sind etliche, die das Video, wie Knightly_Chris, als „Outdoor-Shaming 2.0“ deklarieren und so zu verstehen geben: Nicht der zurückgelassene Müll ist das Problem, sondern Levit, weil er es postete. Viele Kommentierende entschuldigen die Vermüllung, weil im Filmausschnitt kein Mülleimer zu sehen ist. Und wären doch welche da, die aber voll sind, sei es okay, den Müll daneben zu stellen, schreiben manche. Einige schimpfen auf die Kommunen, die nicht adäquat sauber machen. Dass diese bereits 800 Millionen Euro für die Beseitigung jährlich zahlen, steht nicht da.

Wenige stellen die Frage, warum der anfallende Müll nicht wieder mitgenommen wird. Einer verweist auf ganz große Widersprüche: Atommüll in die Landschaft kippen sei okay, sich dann aber über abgestellte Flaschen aufregen. Diese Überlegung ist opportun – und eine Rechtfertigung fürs Vermüllen, die nicht weiterbringt. Als wäre die Vermüllung die Rache der Machtlosen.

In vielen Kommentaren jedenfalls klingt es so: Es gibt ein Recht auf Vermüllung des öffentlichen Raums, wenn auch unterschiedlich begründet. Die Frage, warum, – warum verdrecken Menschen ihre Stadt, ihre Parks, ihre Natur? – wird nicht gestellt. Und auch die Forschung dazu scheint mager.

Laut Studien der Humboldt-Universität, sind es vor allem junge Erwachsene bis 30 Jahre, die Müll in die Gegend werfen. „Littering“ heißt das im Fachjargon. Bei Menschen über 50 sei die Tendenz, dies zu tun, aber auch wieder steigend.

Manche Vertreter der kommunalen Verwaltungen sagen, mehr Müll lande im öffentlichen Raum, weil der Verpackungswahn zugenommen habe. Das erklärt aber nicht, warum die Leute in der Lage sind, ihr Zeug in die Parks zu tragen, nur die Reste eben nicht zurück. Allein der Gedanke, es sei normal, den Abfall mitzunehmen, wirkt schon wie eine Anmaßung. Als würde erwartet, dass die Gemeinschaft, der der Müll vor die Füße gekippt wird, dazu da ist, ihn wegzuräumen.

Immerhin die Theorie des „broken window“, des Mitmacheffekts im Negativen, wurde wissenschaftlich untersucht. Wo ein Fenster zerbrochen ist, ziehe dies weitere Verwüstung nach sich. Als wäre das zerbrochene Fenster eine Einladung, sich unsozial zu verhalten. Dieser Effekt komme auch zum Tragen, wenn Menschen ihren Unrat neben schon herumliegenden Müll legen. Wo eine Tüte Abfall steht, kann auch eine zweite stehen. So wird das Tun gerechtfertigt. Und immerhin, das ist schon mal eine Antwort auf die Frage, warum die Stadt so vermüllt ist.

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Aber wieso wird, was allen gemeinschaftlich gehört, derart gering geschätzt? Wieso ist es den Leuten egal, wie die, die nach ihnen kommen, den Ort vorfinden? Auf der Suche nach Erklärungen schreibt Andrea Seibel einen bemerkenswerten Satz dazu in der Welt: „Der Müll, das Wegwerfen, ist ein Sinnbild des instrumentellen Verständnisses vieler zum Leben, unter Inkaufnahme der Hässlichkeit.“

Die gesellschaftliche Entwicklung hin zum Individualismus, mit gepredigter Selbstoptimierung und Selbstverantwortung fördert jene Form des Egoismus, des „instrumentellen Verhältnisses zum Leben“, die es möglich macht, das andere und die anderen auszublenden, sie nicht als Gegenüber, bestenfalls als Funktionsträger, wahrzunehmen. Wer den anderen Müll vor die Füße wirft, wirft ihnen im übertragen Sinne den Fehdehandschuh zu. Der Stärkere siegt. Hierarchische Muster spiegeln sich in dieser Haltung: Die Gemeinschaft ist der Knecht. Ein Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein, für die Verantwortung übernommen werden muss, fehlt.

Quelle       :       TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Junkyard near Khuzhir

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