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Warum nicht Roosevelt

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 30. August 2012

Wie die Marxistin Sahra Wagenknecht
auf den Ordoliberalen Ludwig Erhard hereinfällt

Datei:Sahra-wagenknecht.jpg

Einen Interessanten Artikel von Ulrike Herrman finden wir heute auf der Webseite des KV Herne.

Wie schrieb einer unserer Informanten:

„Gesagt ist nicht gehört
gelesen ist nicht verstanden …“
(Auszüge aus einem chines. Sprichwort)

Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der »tageszeitung« (taz). Sie ist ausgebildete Bankkauffrau und hat Wirtschaftsgeschichte und Philosophie an der FU Berlin studiert. Von ihr stammt das Buch »Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht« (Westend 2010)

Warum nicht Roosevelt?

Sahra Wagenknecht hat Ludwig Erhard gelesen. Und sie macht kein Geheimnis daraus. Seit geraumer Zeit lässt sie kaum einen Anlass aus, den christdemokratischen Wirtschaftsminister und Bundeskanzler zu zitieren. Diese Strategie hat sich für sie gelohnt. »Der Spiegel« nennt sie »erzliberal«, in Talkshows ist sie Dauergast, und Gregor Gysi kann sich vorstellen, dass sie seine Nachfolgerin wird. Ironisch kommentierte er, Wagenknecht habe ja »nicht nur Karl Marx, sondern auch Ludwig Erhard gelesen – und verstanden.«

Bleibt die Frage: Was hat Wagenknecht da eigentlich gelesen – und verstanden? Sie bezieht sich auf Erhard wie auf eine Autorität, was bei den meisten Zeitgenossen den durchaus gewollten Eindruck hinterlassen dürfte, dass dieser Ordoliberale ein hochkomplexes theoretisches Werk hinterlassen habe. Das ist falsch. Erhards Buch »Wohlstand für alle« ist vielmehr eine ausufernde Wahlkampfschrift, die pünktlich zur Wahl 1957 erschien. Das Werk stammt auch gar nicht von ihm allein, sondern ist »unter der Mitarbeit« des Handelsblattjournalisten Wolfram Langer entstanden. Der theoretische Gehalt ist gering, denn wie für eine Wahlkampfschrift zu erwarten, besteht sie in großen Teilen aus Selbstlob – und aus Kritik am politischen Gegner SPD.

Um die zentralen Botschaften kurz zusammenzufassen: Von Umverteilung hält Erhard gar nichts. Der »Wohlstand für alle« soll stattdessen durch rasches Wachstum gewährleistet werden. Dieses Wachstum entsteht für ihn gleichsam naturwüchsig, sobald die Freiheit der Unternehmer garantiert ist. Zu dieser Freiheit gehört, Kartelle und Monopole entschieden zu bekämpfen, so dass sich jede Firma im Wettbewerb bewähren kann – und muss. Denn Freiheit ist auch Verantwortung. Wer sich am Markt nicht behaupten kann, wird mit dem Untergang bestraft.

Gegen manche dieser Thesen ist nichts zu sagen. Wer will schon ein Monopol? Auch hat Erhard richtig erkannt, dass die Löhne entsprechend der Produktivität steigen müssen, wenn es nicht zu einer Nachfragelücke kommen soll. Damit war er weiter als die heutige CDU oder SPD, die beide begeistert Lohndumping betreiben und ernsthaft glauben, schlecht bezahlte Leiharbeit sei ein ökonomischer Fortschritt. Trotzdem tut man Erhard nicht unrecht, wenn man seine Theorie als äußerst beschränkt bezeichnet. Denn sie befasst sich nur mit den Märkten der Realwirtschaft. Das Wort »Bank« kommt in dem ganzen Buch – und es hat immerhin 429 Seiten – kein einziges Mal vor. Auch Geld spielt keine Rolle, genauso wenig wie die Kreditvergabe. Von Finanzmärkten ist sowieso nicht die Rede. Auch nicht von Spekulation, Immobilienblasen oder Crashs.

Es ist daher eher absonderlich, dass Sahra Wagenknecht ausgerechnet Ludwig Erhard zitiert, um Wege aus der Eurokrise aufzuzeigen und die Banken als »Zockerbuden« zu attackieren. Denn, wie gesagt, derartige Themen kommen bei dem Ordoliberalen gar nicht vor. Offensichtlich ist nur der taktische Gewinn. Es macht natürlich Spaß, als Linke der CDU vorzuhalten, dass sie nicht jenen »Wohlstand für alle« generiert, den einer ihrer Gründungsväter versprochen hat. Allerdings ist diese Strategie nicht neu. Erhard verfiel auf den Titel »Wohlstand für alle«, weil er sich als den echten Sozialdemokraten positionieren und die SPD enterben wollte. Wie seinem Buch zu entnehmen ist, verstand sich Erhard – nicht nur scherzhaft – als der wahre Vollstrecker von Marx.

Mehr als fünfzig Jahre später stellt sich die Schlachtordnung also wie folgt dar: Die bekennende Marxistin Sahra Wagenknecht ist ganz stolz darauf, Erhard zu beerben, dessen ganzer Stolz es war, die Marxisten zu beerben. So kann man sich im Kreis drehen, bis zwischen Linken und Konservativen vollste verbale Konvergenz erreicht ist.

Manche fragen sich, warum »FAZ«-Herausgeber Frank Schirrmacher oder CSU-Querulant Peter Gauweiler so begeistert von Wagenknecht sind. Doch dieses Rätsel löst sich, wenn man wahrnimmt, wie eigenwillig Wagenknecht Erhard rezipiert. Nun wäre es noch zu verkraften, wenn sie sich nur aus taktischen Motiven auf Erhard beriefe. Doch dahinter verbirgt sich auch eine theoretische Übereinstimmung. So wenig wie Erhard kann oder will auch Wagenknecht etwas mit der Kategorie Geld anfangen.

Quelle:   Neues Deutschland >>>>> weiterlesen

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