Erstellt von Redaktion am Donnerstag 22. Juli 2021
Die bürokratische Verhöhnung des 21. Jahrhunderts
Das genau ust die arrogante, dumme Überheblichkeit der Politik.
Warum gibt es in Deutschland das zuverlässige Katastrophen-Warnsystem Cell Broadcast nicht? Das hat drei niederschmetternde Gründe: lächerlichen Geiz, peinliche Parteipolitik der CDU und tödliche Besserwisserei.
Lassen Sie uns ein kleines Ratespiel zur digitalen Infrastruktur machen. Welches Land unter den zehn reichsten Nationen der Welt hat im Jahr 2021 als einziges weder ein Cell-Broadcast-Warnsystem für Katastrophen, noch plant es konkret die Einführung? Sie haben so viele Rateversuche, wie es Bundeskanzlerinnen in den letzten sechzehn Jahren gab.
Ja, das ist – meine Güte, wieder einmal! – die bittere, deutsche, antidigitale Realität, die in den vergangenen Tagen viele, viele Menschenleben gekostet haben dürfte. Die USA, China, Japan und Kanada haben längst solche handybasierten Warnsysteme, und Indien, Brasilien, Italien, Frankreich und Großbritannien sind dabei, sie umzusetzen.
Cell Broadcast ist nicht gleichbedeutend mit einer Massen-SMS, auch wenn das immer wieder dahingesagt wird. Stattdessen schickt der Netzbetreiber eine bis zu 1395 Zeichen lange Push-Nachricht an alle Geräte, die sich in einer bestimmten Funkzelle befinden. Sie erscheint automatisch auf dem Display und kann sogar Links ins Internet enthalten. Cell Broadcasts werden weltweit im Katastrophenfall eingesetzt, weil sie oft auch dann noch funktionieren, wenn die Netze eigentlich überlastet sind, und weil jede Person, die ein angeschaltetes Handy besitzt (es muss kein Smartphone sein), gewarnt wird.
In Deutschland liest sich der Stand zum Thema Cell Broadcast wie eine bürokratische Verhöhnung des 21. Jahrhunderts. Anfang des Jahrtausends wurde die Technologie hierzulande erst mal abgeschaltet. Weil sie zum Standardinstrumentarium des Mobilfunks weltweit gehört, wären die Funkmasten auch in Deutschland Cell-Broadcast-fähig. Aber hier setzte man statt auf Cell Broadcasts für Katastrophenfälle lieber auf Smartphone-Apps wie »Nina« – obwohl die erstens ein Smartphone, zweitens die Installation und drittens durchaus eine gewisse Sachkunde voraussetzen. Wie wenig wirksam die App-Strategie für flächendeckende Katastrophenwarnungen ist, erkennt man schon an der Zahl der Installationen. Von 2015 bis Mitte 2020 wurde die App
rund sieben Millionen Mal installiert. Das sind selbst im Maximalfall weniger als zehn Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: 2019 nutzten
58 Millionen Menschen in Deutschland täglich WhatsApp.
Die AG Kritis, eine Arbeitsgemeinschaft engagierter, digital äußerst sachkundiger Bürgerinnen und Bürger, muss man sich als eine Art Chaos Computer Club für sogenannte kritische Infrastrukturen vorstellen, die gebraucht werden, um eine Gesellschaft funktionsfähig zu halten. Nach dem katastrophalen Katastrophen-Warntag schrieb die AG Kritis über Cell Broadcasts: »Es funktioniert technisch in vielen anderen Ländern der Welt einwandfrei, die EU hat entsprechende Weichen mit einer Verordnung gestellt. Gerade dann, wenn die Mobilfunknetze völlig überlastet sind und Daten an Apps wie Nina nicht mehr durchkommen, funktionieren Cell Broadcasts aufgrund der sehr geringen Datenlast noch am wahrscheinlichsten.«
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Cell Broadcast Samsung Galaxy 8 Android 8.0
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Unten — Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.…
Erstellt am Donnerstag 22. Juli 2021 um 11:53 und abgelegt unter Bildung, Medien, P.CDU / CSU, Regierung.
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