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RENTENANGST

Wahlkampf der Grauzone

Erstellt von Redaktion am Freitag 1. September 2017

Die Parteien, das Microtargeting und die Transparenz

Martin Schulz und Angela Merkel beim EU-Gipfel im Oktober 2012 in Brüssel

„Wir wollen keine Republik, in der linke Kräfte und der Multikulturalismus die Vorherrschaft haben.“ Mit diesen markigen Worten neben dem Konterfei ihres Spitzenpolitikers warb im Frühjahr 2017 eine deutsche Partei – in russischer Sprache. Na klar, der logische nächste Schritt der AfD beim Umwerben einer nicht unbedeutenden WählerInnengruppe, könnte man denken. Doch es war nicht die selbsternannte Alternative für Deutschland, die diese Anzeige auf Facebook schaltete, sondern die bayerische Regierungspartei CSU. Mitbekommen haben das allerdings die wenigsten Menschen in Deutschland. Kein Wunder: Zu sehen bekam die autoritär anmutende Botschaft offenbar nur, wer den Wunschvorstellungen der Unionspartei entsprach – in diesem Fall Deutschrussen.

Möglich macht das Microtargeting. Schon seit Jahren werden kommerzielle und politische Botschaften im Netz auf immer kleinteiligere Gruppen bis hin zum Individuum zugeschnitten. Spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps wird viel darüber spekuliert, welchen Einfluss diese Technik auf Wahlen haben könnte. Ist sie ein demokratiegefährdendes Manipulationswerkzeug oder bloß die Fortsetzung der politischen Werbung mit modernen Mitteln? Nach unseren Recherchen nutzen im Bundestagswahlkampf alle etablierten deutschen Parteien Microtargeting – wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Die Grünen etwa wollen mit zwei Millionen Euro ein gutes Drittel ihres Wahlkampfbudgets für Online-Werbung ausgeben. Die CDU setzt vor allem auf einen datengetriebenen Haustürwahlkampf. Eines aber haben fast alle Parteien gemeinsam: Darüber, wie sie Informationen über BürgerInnen nutzen, um deren Wahlverhalten zu beeinflussen, wollen sie lieber nicht zu ausführlich informieren. Lediglich Linkspartei und Grüne haben sich Transparenz auf die Fahnen geschrieben.

Wahlkampf powered by Facebook

Nach welchen Kriterien etwa die Zielgruppe für die russischsprachige CSU-Anzeige ausgewählt wurde, kann nur gemutmaßt werden. Zwar können sich betroffene NutzerInnen anzeigen lassen, warum sie selbst einen bestimmten Werbebeitrag auf Facebook zu sehen bekommen. Öffentliche Transparenz aber gibt es nicht, weder von der Plattform noch von der Partei selbst. „Ich bitte um Verständnis, dass wir zu Budget-Fragen wie auch zu Fragen der strategischen Ausrichtung unseres Online-Wahlkampfes keine näheren Angaben machen“, teilt CSU-Sprecher Jürgen Fischer auf unsere Anfrage nach detaillierteren Auskünften über die Nutzung von Microtargeting im Wahlkampf mit.

Mit dem Aufstieg der Sozialen Netzwerke zu Massenmedien zieht die Personalisierung von Kommunikationsflüssen zunehmend auch in die politische Kommunikation ein. Grundlage dafür sind die umfassenden Datenspuren, die wir in der digital vernetzten Gesellschaft täglich hinterlassen: Informationen über Einkommen und Einkaufsverhalten, Alter und Interessen, Geschlecht und sexuelle Orientierung, Herkunft und Lebenssituation, politische und religiöse Überzeugungen.

Vor allem in den USA werden Analysen dieser umfassenden Informationen seit Jahren eingesetzt, um politische Botschaften maßzuschneidern – schon lange bevor der Sieg Donald Trumps breite Aufmerksamkeit für das Thema schaffte. Berichten zufolge sollen seiner Kampagne Persönlichkeitsprofile von über 220 Millionen Menschen zur Verfügung gestanden haben. Für den in den USA bedeutenden Haustürwahlkampf hätten die Freiwilligen des Multimillionärs über eine App möglichst genaue Informationen über die von ihnen besuchten potenziellen WählerInnen und auf 32 Persönlichkeitstypen zugeschnittene Gesprächsleitfäden bekommen. Doch auch Barack Obamas Wahlerfolge werden einer Kombination aus Big-Data-Analysen und Microtargeting zugeschrieben. Trotz der verlorenen Wahl schwärmte selbst Hillary Clintons Wahlkampfmanager Robby Mook bei einem Deutschlandbesuch von dem großen Potenzial der Technik für die Politik, neue Verbindungen zu den Menschen aufzubauen.

Und auch die Parteien in Deutschland setzen zunehmend auf Microtargeting ein. Denn selbst, wenn sie aufgrund der hiesigen Datenschutzgesetze nur schwerlich eigene umfangreiche Datenbanken über ihre potenziellen WählerInnen aufbauen und Persönlichkeitsprofile von ihnen erstellen dürfen: Zugeschnittene Botschaften können sie dank der hauseigenen Werkzeuge von Facebook, Youtube oder Google auch hier sehr zielgenau an die WählerInnen bringen. Schließlich ist es seit Jahren die zentrale Einnahmequelle der Plattformen, die Aufmerksamkeit ihrer gläsernen NutzerInnen an alle zu verkaufen, die es sich leisten können.

Netflix-Fans bekommen Wahlwerbung mit Breaking-Bad-Anleihen

Der Targeting-Baukasten von Facebook beispielsweise, das intensiv um PolitikerInnen wirbt und im deutschen Online-Wahlkampf die größte Rolle spielt, ermöglicht ein bequemes Auswählen oder Ausschließen von Menschengruppen nach dutzenden Kriterien. Alter, Wohnort, Geschlecht, Bildung, Einkommen oder genutzte Hard- und Software gehören noch zu den harmloseren Kategorien, nach denen die NutzerInnen gerastert werden. Werbende können darüber hinaus auf Informationen über gelikte Seiten, das Surfverhalten außerhalb der Plattform, Konsumverhalten oder von Facebook aufgrund des Nutzungsverhaltens zugeschriebene Merkmale wie „Pendler“, „soziale Themen“, „Fernbeziehung“, „Feminismus“, „Homosexualität“ oder religiöse und politische Verortungen zurückgreifen.

Ob diese intensive Nutzung personenbezogener Daten zu Werbezwecken überhaupt legal ist, ist nach wie vor hochgradig umstritten und Gegenstand diverser Gerichtsverfahren – die Parteien machen davon jedoch gerne Gebrauch. So spricht beispielsweise die FDP derzeit mit Facebook-Wahlwerbung über die „Mobilität der Zukunft“ gezielt Fans der Elektroauto-Marke Tesla an. Eine Anzeige, die den Breitbandausbau thematisiert und mit einem stilisierten Bild des Breaking-Bad-Charakters Heisenberg bebildert ist, geht an Personen, „die sich für Netflix interessieren“. Wer sich wiederum für „Computersicherheit“ interessiert, bekommt eine bürgerrechtsfreundliche FDP präsentiert, die CDU und SPD für ihre Grundrechtseinschränkungen kritisiert und einen besseren Schutz der Privatsphäre verspricht.

Auch die Linkspartei setze – in Maßen – auf Online-Targeting bei Facebook, erzählt uns Mark Seibert, der mit der Berliner Agentur DIG die Linke im Wahlkampf berät. „Wir haben in der Vergangenheit gute Erfahrungen damit gemacht, in einem abgesteckten Rahmen zugeschnittene Botschaften an ausgewählte Zielgruppen zu senden“, erzählt der Kommunikationsprofi. So habe man beispielsweise im Nachgang der Landtagswahl in Sachsen angefangen, potenzielle AfD-WählerInnen mit Facebook-Anzeigen zu kontaktieren, die über das Abstimmungsverhalten der Partei im Landtag informieren. „Es gibt krasse Unterschiede zwischen dem, was die AfD im Wahlkampf versprochen hat und dem, wie sie im Parlament dann tatsächlich abstimmt. Das sollten die Menschen wissen“, erklärt Seibert die Motivation. So habe die Linkspartei eine Anzeige für AfD-SympathisantInnen in Sachsen geschaltet, die thematisierte, dass die Partei im Landtag gegen eine Initiative für mehr direkte Demokratie gestimmt hat – anders als zuvor versprochen.

Politische Kommunikation im Halbdunkel

Eine zunehmende Personalisierung der politischen Kommunikation durch Microtargeting bedeutet zwangsläufig auch eine weitere Fragmentierung der politischen Öffentlichkeit. Besonders drastisch ist dieser Effekt, wenn Menschen außerhalb der definierten Zielgruppe die Botschaften gar nicht mehr zu sehen bekommen. Die Targeting-Tools von Facebook und anderen Plattformen bieten hierfür eine Option, sogenannte Dark Posts. Die zugeschnittenen Botschaften werden dann nur den ausgewählten Zielpersonen ausgespielt – für andere NutzerInnen oder auf dem Profil der werbenden Partei sind sie nicht sichtbar. Gleichzeitig sehen die Anzeigen aus wie normale Posts – lediglich mit dem kleinen Hinweis „gesponsert“ versehen.

Quelle   :   Netzpolitik ORG >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle   :       Da sind sie sich einig: Darüber, wie sie im Wahlkampf datenbasiertes Microtrageting einsetzen, wollen Martin Schulz‘ SPD und Angela Merkels CDU lieber nicht zu genau informieren (Archivbild). CC-BY-NC-ND 2.0 European Parliament

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