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Wahlen in Ostdeutschland

Erstellt von Redaktion am Freitag 9. August 2019

Wer macht Musik wie Ringo? Ingo!

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Von Anja Maier

Der Spitzenkandidat der CDU in Brandenburg mag die Linke lieber als die AfD und hat ein Lied wie kein anderer. Auf Wanderschaft mit Ingo Senftleben.

An einem knallheißen Julisamstag rollt Ingo Senftlebens Dienstlimousine im Schritttempo eine Seitenstraße entlang zum Parkplatz hinter dem Oranienburger Schloss. Senftleben – weißes T-Shirt, blaue Jeans, weißer Strohhut, graue Trekkingschuhe – hat sich ein paar Meter vorher absetzen lassen und kommt nun zu Fuß auf das im Schatten wartende Grüppchen örtlicher CDUler zu. Das Bild muss stimmen – schließlich wandert der Landesvorsitzende der CDU seit Ende Juni durch Brandenburg. „Bock auf Brandenburg“ heißt seine Tour – es geht da vordergründig um Heimat, Identität und Erdverbundenheit. Eigentlich aber um den politischen Wechsel bei der Landtagswahl am 1. September. Ingo Senftleben möchte der erste CDU-Ministerpräsident werden.

Er sei, sagt der Landesvorsitzende nun erst einmal zur Begrüßung, auch schon seit ein paar Wochen unterwegs und rechtschaffen müde. Laufen, paddeln, radeln, mit der Draisine über stillgelegte Bahngleise durch dünn besiedelte Waldgebiete kurven – es ist kraftraubend, den Brandenburger Wähler aufzuspüren, zumal in den Sommerferien. Gestern Bernau, heute Oranienburg, morgen die Uckermark. Zwischendurch muss er auch mal nach Hause nach Ortrand, ganz im Süden des Flächenlandes, seine Wäsche wechseln. Ingo Senftleben fragt also vorsichtig: „Was is’n jetzt hier geplant?“

Geplant haben seine Oberhaveler Parteifreunde um die Direktkandidatin Nicole Walter-Mundt einen Rundgang durch den tiptop gepflegten Schlosspark. Schade, dass man dafür Eintritt bezahlen muss, was die Zahl der im Park anzutreffenden BürgerInnen erheblich begrenzen dürfte. Noch mehr schade, dass auf dem gesamten Parkgelände politische Werbung verboten ist. Das, was normalerweise unter Wahlkampf verstanden wird – ein Flyer, ein Kuli, Luftballon für die Kinder, ein Gespräch –, fällt also schon mal aus.

Statt nun also seine Oranienburger Parteifreunde davon zu überzeugen, dass es vielleicht besser wäre, die mittags einkaufenden OranienburgerInnen im nahen Stadtzentrum abzupassen, ergibt sich Ingo Senftleben widerspruchslos in sein Schicksal. Auf in den Park, um dort genau niemanden von der CDU Brandenburg zu überzeugen.

Dass Ingo Senftleben aktuell erschöpft und wenig durchsetzungsfähig wirkt, kann man verstehen. Der 44 Jahre alte Lausitzer ist vor vier Jahren als große politische Hoffnung gestartet. Er hat seinen notorisch streitsüchtigen Landesverband eingenordet und in den zurückliegenden Jahren der rot-roten Koalition ordentliche Oppositionsarbeit geleistet. Er hat sich umgeben mit jungen CDUlern und die Altvorderen dabei kräftig vergrätzt. Hat dafür gesorgt, dass im Brandenburgischen Boys Club endlich auch Frauen zum Zuge kommen, und ist in der Geflüchtetenkrise anständig geblieben. Senftleben hat die Bildungspolitik zu seinem Herzensthema gemacht und – unter nicht allzu großem Widerstand selbst der SPD – die bei den WählerInnen verhasste Kreisgebietsreform gestoppt.

Und jetzt? Liegt seine Partei einen Monat vor der Landtagswahl gerade mal auf dem vierten Platz. Und Ingo Senftleben hat – dies ist möglicherweise sein weitaus größeres Problem – weite Teile der eigenen Partei gegen sich.

Bei der Landesvertreterversammlung Mitte Juni in Potsdam haben ihm seine Abgeordneten mal gezeigt, wo der Hammer hängt. In völliger Verkennung der Stimmung in Fraktion und Partei und ohne vorher die nötigen Absprachen mit den Kreisvorsitzenden zu treffen, hatte Senftleben in Potsdam seine Landesliste für den 1. September präsentiert. Altvordere oder Abgeordnete mit mäßiger Bilanz hatte er auf hintere Plätze gesetzt, um vorn Platz für Frauen und neue Gesichter zu machen. Platz 2, 4 und 6 hatte Senftleben für moderne Politikerinnen reserviert, selbst die Rechtsauslegerin Saskia Ludwig hatte Senftleben mit Platz 8 einzubinden versucht.

Die Alten schrotten seine Pläne

Den alten Kämpen reichten 24 Stunden und ein paar Telefonate, um Senftlebens Liste zu schrotten. Von den Frauen überlebten nur die liberalkonservative Landtagsabgeordnete Kristy Augustin auf Platz 2 und Saskia Ludwig. Alle anderen wurden nach hinten durchgestimmt, damit jene Männer keine Angst vor dem Mandatsverlust haben müssen, die seit Jahrzehnten dafür sorgen, dass alles so lauwarm bleibt, wie es immer war bei der Brandenburger CDU. Die von Platz 18 auf den eher aussichtslosen Platz 26 durchgereichte Landtagsabgeordnete Anja Schmollack schrieb hernach auf Facebook von einer „Brandenburger Schlachteplatte“. Und: „Wir sind weder fähig noch willig, Regierungsverantwortung zu tragen. Das ist mein Fazit des Tages.“

Bad Saarow - Park am Scharmützelsee - panoramio.jpg

Als sei es damit nicht genug, bescherten die LandesvertreterInnen ihrem Vorsitzenden ein Ergebnis, das einem Misstrauensvotum sehr nahe kommt. Für Senftleben votierten 82 Delegierte, 30 stimmten mit Nein, es gab sechs Enthaltungen. Das sind 69,5 Prozent, ohne Gegenkandidaten. Ein historisch schlechtes Ergebnis.

Dies also ist die Hypothek, die der Kandidat in seinem Wanderrucksack durch Brandenburg trägt. Seine eigene Partei unterstützt ihn nicht. Und die Umfragen sind auch bescheiden. Aktuell liegt die CDU auf Platz 4 in den Umfragen, hinter AfD, SPD und Linken. Das ist weit entfernt von Senftlebens Ankündigung, mit ihm werde die Partei „dieses Land übernehmen als Regierungspartei Nummer eins“. Aktuell sieht es in Potsdam verdammt nach Rot-Rot-Grün aus.

Über all diese Trübsal kann auch nicht der knalllustige Countrysong hinwegtäuschen, den ein Prignitzer Parteifreund für den Spitzenkandidaten komponiert hat und der an die Öffentlichkeit lanciert worden war:

„Wer macht auch die Bauern froh? Ingo! Ingo!“

„Haut Verbrechern auf den Po? Ingo! Ingo!“

„Wer schickt die Wölfe in den Zoo? Ingo! Ingo!“

Die Häme, die anschließend über Senftleben hereinbrach, war episch. In Zeiten, da die völkische Rechte sich anschickt, stärkste Partei zu werden und Senftlebens ChristdemokratInnen vorsorglich über Koalitionen selbst mit der Linken nachzudenken beginnen, wirkt der Schunkelhit unangemessen. Selbst für jemanden wie Ingo Senftleben, den nur jedeR dritte BrandenburgerIn überhaupt kennt und der deshalb mit allen Mitteln kämpfen muss.

Er redet über eine Koalition mit der Linken

Senftleben hat gleich zu Beginn seines Wahlkampfs öffentlich über eine pragmatische Koalition mit der Brandenburger Linken nachgedacht und sich dafür viel Empörung und Einzelgespräche mit dem Konrad-Adenauer-Haus eingefangen. Er ist das Risiko eingegangen, für die politische Macht als Kommunistenstreichler dazustehen. „Wenn mich jemand aus den alten Ländern belehren möchte, sage ich, dass ich keine Nachhilfe brauche“, sagt er, darauf angesprochen. „Die Frage bleibt trotzdem, wie viele Generationen nach dem Mauerfall wir uns noch feindlich gegenüberstehen sollen.“

Bereits mehrfach hat er zudem öffentlich erklärt:„Für mich ist eine Koalition mit der AfD nicht denkbar, nicht heute, nicht morgen und auch nicht übermorgen.“ Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch: mit ihm nicht – aber vielleicht mit einem anderen CDU-Landeschef?

Dass seine eigenen Leute diesen politischen Pragmatismus gegen ihn verwenden würden, hat er nicht kommen sehen. Selbst Beobachter, die bis vor Kurzem noch dem jungenhaften Spitzenkandidaten zugetraut haben, den leutseligen, aber blassen SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke abzulösen, sind mittlerweile ernüchtert. Der Maurer aus der Launitz, der begabte Jungpolitiker mit den drei Kindern und der Herkunft aus der tiefsten Provinz, bräuchte in den nächsten Wochen etwas wie ein Wunder.

Quelle      :        TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

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