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Wahlen in Indien

Erstellt von Redaktion am Samstag 13. Juli 2019

Indien im Griff der ­­Hindu-Nationalisten

File:Taj Mahal N-UP-A28-a.jpg

von Christophe Jaffrelot

Trotz fehlender Konzepte gegen die wirtschaftliche Misere konnte die hindu-nationalistische BJP bei den Wahlen im April ihre Mehrheit ausbauen. Nun regiert allein – und den Minderheiten der Christen und Muslime stehen schwere Zeiten bevor.

Es schien nicht viel für Narendra Modi zu sprechen: Gegen die muslimische und christliche Minderheit betreibt er eine offen diskriminierende Politik und seine Bilanz in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist mehr als unbefriedigend. Trotzdem wurde der Hindu-Nationalist mit einer komfortablen Mehrheit als Premierminister bestätigt.

Bei den indischen Parlamentswahlen zwischen dem 11. und dem 17. April, bei denen 900 Millionen Wahlberechtigte (etwa ein Zehntel der Weltbevölkerung) zur Stimmabgabe aufgerufen waren, errangen Modi und seine Bharatiya Janata Party (Partei des indischen Volkes, BJP) 303 von 545 Sitzen. Modi kann nun allein regieren und ist nicht mehr auf die Unterstützung seiner Bündnispartner in der National Democratic Alliance (NDA) angewiesen (siehe Kasten auf Seite 16).

Im Wahlkampf umschiffte der Premier gekonnt die brisanten Themen. Seine Kampagne lenkte die Aufmerksamkeit gezielt von der wirtschaftlichen Misere ab: Bei der Arbeitslosigkeit verzeichnet Indien den höchsten Stand seit 40 Jahren, die Landwirtschaft steckt in der Krise, die Exporte sinken – trotz des Wertverlusts der Rupie –, die Investitionen gehen zurück, die ausländischen Direktinvestitionen ebenfalls und der Konsum schwächelt.

Hatte Modi 2014 die wirtschaftliche Entwicklung noch ins Zentrum seines Wahlprogramms gestellt, konzentrierte er sich 2019 voll auf das Thema Sicherheit. So ließ er beispielsweise Migranten aus Bangladesch abschieben, die keinen regulären Aufenthaltsstatus in Indien besaßen.

Außerdem nutzte er das Bombenattentat von Pulwama in der Konfliktregion Kaschmir, um sich als wagemutiger Beschützer des Landes zu inszenieren. 40 indische Soldaten und der Selbstmordattentäter waren bei dem Anschlag am 14. Februar ums Leben gekommen, zu dem sich die pakistanische Dschihadistengruppe Jaish-e-Mohammed bekannte. Als Antwort befahl Modi Luftschläge auf Ziele in Pakistan, auf die Islamabad wiederum mit dem Abschuss eines indischen Militärflugzeugs reagierte.

Die teuersten Wahlen der ­Weltgeschichte

Niemals zuvor war in Indien ein Wahlkampf so stark von patriotisch-kriegerischer Rhetorik geprägt wie der von 2019. Das ging so weit, dass 150 Veteranen, darunter Generäle und Admirale, den Premier darum baten, die Institution der Armee nicht politisch zu in­strumentalisieren.

Modis Kontrahent Rahul Gandhi von der Kongresspartei musste sich nach seiner Wahlniederlage 2014 ein weiteres Mal geschlagen geben. Und das, obwohl sein Wahlprogramm einiges zu bieten hatte: von einem jährlichen Grundeinkommen für die Ärmsten über Maßnahmen gegen Umweltverschmutzung – ein Problem, dessen Existenz die Regierung Modi einfach leugnet1 – bis zum Vorschlag, ein Sonderermächtigungsgesetz für das indische Militär zu überprüfen, nachdem es unter dessen Schutz im Bundesstaat Kaschmir und Jammu wiederholt zu außergerichtlichen Tötungen, Vergewaltigungen und Folter durch Angehörige der Sicherheitskräfte gekommen war. Außerdem setzte Gandhi auf ein Thema, das Modi bereits im Wahlkampf 2014 für sich in Anschlag gebracht hatte: der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft.

Um nicht für seine innenpolitischen Misserfolge geradestehen zu müssen, schürte Modi derweil die Angst vor einer ausländischen Bedro­hung. Dass es ihm gelang, dieses Thema während des gesamten Wahlkampfs ins Zentrum zu stellen, lag auch daran, dass er sich jeder öffentlichen Debatte oder Pressekonferenz verweigerte. Er begnügte sich damit, vorbereitete Interviews zu geben, vorzugsweise in Medien, deren Besitzer um gute Beziehungen zur Macht bemüht sind.

Der andere große Faktor im Wahlkampf 2019 war das Geld. Die Parlamentswahlen in Indien waren die teuersten Wahlen, die je in der Geschichte der Demokratie abgehalten wurden: Nach einer glaubwürdigen Schätzung gaben die Parteien für den Wahlkampf alles in allem fast 9 Milliarden Dollar aus.2 Die Polizei stellte im Auftrag der Wahlkommission eine nie dagewesene

Masse an kleinen Scheinen in Privathäusern von Kandidaten und Parteibüros sicher. Modis BJP brach auf diesem Feld alle Rekorde.3

2016 hatte die Modi-Regierung über ein Gesetz abstimmen lassen, das anonyme Parteispenden von Unternehmen und Privatpersonen erlaubt. Shahabuddin Yaqoob Quraishi, der frühere Vorsitzende der Wahlkommission, bezeichnete das Gesetz als „Legalisierung der Vetternwirtschaft“.4 Mit den enormen Summen, die dadurch zusammenkamen, wurden Stimmen gekauft: Am Vorabend der Wahl Geschenke zu verteilen, ist in Indien gängige Praxis, manchmal reicht es sogar aus, um Wahlen zu gewinnen. Vor allem aber wurde das Geld in die Kampagne gesteckt.

Wie anderswo auf der Welt ist dabei auch in Indien zu beobachten, dass die sozialen Netzwerke schrittweise zum wichtigsten Kanal der politischen Kommunikation werden: Zwar treten die Kandidaten weiterhin öffentlich auf, aber noch wichtiger ist die Präsenz auf Twitter und Co.

Davon zeugt ein ganzes Heer mehrsprachiger Mitarbeiter, die Falschinformationen streuen und „Trolling“ betreiben. So wurde beispielsweise Rahul Gandhi von seinem Rivalen beschuldigt, Moslem zu sein. Der angebliche Beweis: ein Foto aus Kindertagen, das ihn beim Gebet in einer Moschee zeigt. In Wahrheit entstand dieses Foto 1988 in Peschawar bei der Beerdigung des Paschtunenführers Khan Abdul Ghaffar Khan, zu der Rahul seinen Vater Rajiv Gandhi begleitete.

Nicht zuletzt instrumentalisierten Modi und seine Partei geradezu exzessiv die hinduistische Religion. Der BJP-Vorsitzende Amit Shah verhöhnte Rahul Gandhi, weil dieser in einem mehrheitlich muslimischen Wahlkreis angetreten sei – auch dies eine Lüge. Weiterhin erklärte Shah, dass er beim Anblick der Versammlungen von Gandhi-Anhängern nicht ausmachen könne, ob man sich „in Indien oder in Pakistan“ befinde.

Narendra Modi und Barack Obama im Gespräch

Die BJP schreckte auch nicht davor zurück, Pragya Singh Thakur als Kandidatin aufzustellen. Ihr wird vorgeworfen, sich als Mitglied der Bewegung Abhinav Bharat (Junges Indien) an vier antimuslimischen Terrorakten beteiligt zu haben, bei denen 2008 dutzende Menschen starben. Aus gesundheitlichen Gründen wurde Thakur gegen Kaution aus der Haft entlassen. Im Wahlkampf sang sie ein Loblied auf den Mörder Mahatma Gandhis. Der legendäre Unabhängigkeitskämpfer ist bei den Hindu-Nationalisten wegen seiner Philosophie der Gewaltfreiheit und religiösen Toleranz verhasst.

Tatsächlich sind aber viele Inder, die für Modi gestimmt haben, keine überzeugten Hindu-Nationalisten. Sie wollten einen starken Mann an der Macht oder sahen keine Alternative, weil sie der Opposition misstrauen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Modis hindu-nationalistische Ideologie sie auch nicht abgeschreckt hat, obwohl von ihr in den letzten fünf Jahren eine massive Welle der Gewalt gegen die muslimische und christliche Minderheit ausging – darunter Lynchmorde an etwa 40 Personen, die verdächtigt wurden, Rindfleisch gegessen oder Kühe geschlachtet zu haben. Auch in der Lok Sabha, dem Unterhaus des indischen Parlaments, werden sich diese Minderheiten nur schwer Gehör verschaffen können. Nur eine kleine Zahl christlicher und muslimischer Abgeordneter hat es in das von der BJP dominierte Parlament geschafft.

Brahmanen und Kriminelle im Parlament

Quelle        :      Le Monde diplomatique          >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —        Taj MahalThis is a photo of ASI monument number  N-UP-A28-a.

Author Asitjain
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© Asitjain / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

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Unten        —       Heinrich-Böll-Stiftung

»Narendra Modi und Barack Obama«

Narendra Modi

Lizenz: CC-BY-SA 2.0

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