Wahl Koma statt Wahlkampf
Erstellt von Redaktion am Sonntag 11. Juli 2021
Laschet, der Klimawandel des kleinen Mannes
Die politische Null und sein politischer Influencer im Hintergrund ?
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
Armin Laschet setzt wie Merkel auf asymmetrische Demobilisierung. Die Folge: Viele Menschen wollen eine Veränderung, glauben aber nicht, dass ihre Stimme entscheidend ist – und gehen dann einfach nicht zur Wahl.
Stellen Sie sich vor, Angela Merkel würde dieses Jahr zum ersten Mal als Kanzlerkandidatin antreten; sie würde erstmalig Wahlkampf machen. Was würde sie in Interviews sagen? Wie würde sie ihre Fernsehauftritte bei Anne Will und Markus Lanz, bei Linda Zervakis und Louis Klamroth oder bei »Brigitte Live« bestreiten? Imaginieren Sie, wie sie immer wieder darüber sprechen würde, was die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wollen und was sie, Merkel, leisten würde, um das zu erreichen, wofür sie stünde.
Haben Sie das vor Augen? Gut, und jetzt nehmen Sie mal an, Merkel hätte keine Ahnung von Wissenschaft und würde, wenn’s drauf ankommt – bei Fragen zur Klimakrise oder Pandemie – statt Expertise und Fakten nur anekdotische Evidenzen, heitere persönliche Geschichtchen und Kalendersprüche aufrufen. Können Sie sich das vorstellen? Sehr schön. Dann tauschen Sie Merkels lakonische, manchmal etwas betuliche Art gegen eine gutbürgerliche, kumpelhafte Stehtischhaltung aus, dazu ab und zu impulsive Ausbrüche und eine krawattige Ungehaltenheit. Konnten Sie mir bis hierher folgen? Sehr gut! Damit wären wir beim Wahlkampf von Armin Laschet angekommen.
Asymmetrische Demobilisierung
Was habe ich auch anderes erwartet? Die Union führt aktuell einfach genau den gleichen kollektiv sedierenden Wahlkampf auf wie schon die letzten drei Bundestagswahlen zuvor. Dem Kandidaten Laschet gelingt es jedoch auf eine neuartige Weise, das derzeit an Trivialität kaum zu übertreffende Wahlkampfgeschehen mit strategisch eingesetzter Ignoranz noch weiter zu verdumpfen. Vor allem in der thematischen Zurückhaltung hat sich Laschet offensichtlich sehr erfolgreich von der asymmetrischen Demobilisierung inspirieren lassen, für die Merkel so berühmt wurde.
Die sogenannte asymmetrische Demobilisierung ist eine Taktik, die Wahlforscher Mathias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen und verantwortlich für das ZDF-»Politbarometer«, im letzten Jahrzehnt erfolgreich für Merkel umgesetzt hat. Ihr Ziel ist es, durch Nivellierung parteilicher Unterschiede und durch Vermeidung öffentlicher, parteipolitischer Kontroversen zu verhindern, dass Wähler sich aufgrund der Debatten und ihrer Emotionalisierung provoziert genug fühlen, zur Urne zu gehen. Das heißt, SPD-, Grünen- oder FDP-Wähler sollten durch die allgemeine Wattigkeit entmutigt, also demobilisiert werden, der Unionswähler jedoch gleichzeitig natürlich weiterhin motiviert – deswegen: asymmetrisch.
Merkels Wahlkämpfe zeichneten sich stets durch eine derart exemplarische asymmetrische Demobilisierung aus, dass es aus demokratietheoretischer Sicht fast schon bedenklich wurde: Die Kanzlerin erlaubte keinerlei Streitthemen, die einer anderen Partei eine Selbstprofilierung ermöglicht hätten, denn durch Reibung würde der politische Kern des anderen sichtbar – und die Kanzlerin müsste schlimmstenfalls selbst Stellung beziehen.
Merkel arbeitete in Wahlkämpfen nur mit Themen, die keine Angriffsfläche und Abgrenzungsmöglichkeit boten, und näherte sich zugleich der SPD und den Grünen in entscheidenden politischen Fragen an, wie beispielsweise bei der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, beim Mindestlohn, beim Ausstieg aus der Wehrpflicht oder der Atomenergie. Deshalb gab es für viele Wählerinnen und Wähler kaum Gründe, nicht einfach weiterhin die eine Partei zu wählen, die sowieso schon an der Macht war. Mit dieser Strategie (beziehungsweise Nichtstrategie) lähmte Merkel die politische Diskussion in die Stagnation eines demokratischen Nullsummenspiels. Es handelte sich weniger um Wahlkämpfe, sondern vielmehr um Wahlkoma.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
Grafikquellen :
Oben — Armin Laschet beim Programmausschuss der CDU Rheinland-Pfalz am 23. Januar 2021.