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Von Erfurt nach Berlin:

Erstellt von Redaktion am Freitag 28. Februar 2020

Nützliche Idioten für die AfD

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Von Albrecht von Lucke

Der 5. Februar 2020, die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD, hat weit über das östliche Bundesland hinausreichende und heute noch kaum in Gänze absehbare Konsequenzen. Diese liegen erstens in der Wahl selbst sowie in ihrer Annahme durch Kemmerich begründet, und zweitens in den politischen Reaktionen und Debatten im Anschluss daran.

Bei der Wahl handelt es sich zweifellos um einen Präzedenzfall und zugleich um einen Tabubruch in der Geschichte der Bundesrepublik: Zum ersten Mal wurde ein Ministerpräsident mit den Stimmen einer rechtsradikal geführten Partei gewählt. Björn Höckes Handschlag (mit angedeuteter Verbeugung) für Kemmerich gehört schon jetzt zur Ikonographie der neuen Berliner, oder sollte man besser sagen: der Erfurter Republik? Fest steht: In vor Kurzem kaum für möglich gehaltener Geschwindigkeit hat die AfD-Strategie der bloß simulierten Verbürgerlichung bei gleichzeitiger Selbstradikalisierung Früchte getragen.[1] Dabei handelt es sich um den bislang größten anzunehmenden Unfall des bürgerlichen Lagers aus CDU und FDP – oder genauer, um dessen Sündenfall. Denn ganz offensichtlich gab es dezidierte strategisch-taktische Vorüberlegungen. So spielte der bestens auch ins rechtsradikale Spektrum vernetzte Ex-Sprecher der thüringischen CDU-Fraktion (und Mike Mohring-Vertraute) Karl-Eckard Hahn am 2. Februar, also nur drei Tage vor der Wahl, in einem Text auf dem Debattenportal „The European“ das Kommende genau durch: „Die Stimmabgabe zugunsten eines FDP-Kandidaten, der ohne einen Koalitionsvertrag oder sonstige politische Zusicherungen an den Start ginge, verpflichtete diesen politisch zu absolut nichts“, so Hahn, „weder gegenüber der AfD noch irgendjemandem sonst.“[2]

Damit war das Plazet für die Kooperation mit den Rechtsradikalen erteilt; und wie die unmittelbaren Reaktionen nach der Wahl zeigten, stand Hahn mit dieser Zustimmung keineswegs allein. Sowohl die Annahme der Wahl durch Kemmerich selbst als auch die freundliche Gratulation durch CDU-Chef Mike Mohring sprechen für ein Einverständnis mit der strategischen Vorentscheidung. Auch der Vorsitzende der ominösen „Werteunion“, Alexander Mitsch, der als CDU-Mitglied wiederholt für die AfD gespendet hatte, gratulierte umgehend und befand: „Thüringen und Deutschland, die Vernunft und das bürgerliche Lager haben gesiegt“. Ebenso positiv war die Reaktion in Teilen der FDP, insbesondere seitens des stellvertretenden Parteichefs: „Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich. Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt“, so Wolfgang Kubicki auf Twitter.

Erst „über Nacht“ – und nach spontanen Protesten aus den Parteien, aber vor allem aus der Zivilgesellschaft[3] – kamen die Spitzen der bürgerlichen Parteien zur Besinnung. „Herr Kemmerich“, der nach drei langen Tagen dann doch von seinem eben erst erlangten Amt wieder zurücktrat, „war offensichtlich übermannt und hat spontan eine Entscheidung getroffen, die Wahl anzunehmen“, so ein kleinlauter FDP-Chef, der Kemmerich noch unmittelbar nach der Wahl eine carte blanche erteilt hatte und nun gegenüber dem eigenen Parteivorstand die Vertrauensfrage stellte. Doch während Christian Lindner mit dem Rücktritt Kemmerichs „Vollzug“ melden konnte, erlebte seine Amtskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer den finalen Tiefpunkt ihrer kurzen Parteivorsitzendenkarriere: Schwer gedemütigt wurde sie von einer uneinsichtigen Thüringer CDU-Fraktion unverrichteter Dinge zurück nach Berlin geschickt.

Bürgerliche Halt- und Hilflosigkeit

All das zeigt die strategische Halt- und Hilflosigkeit des bürgerlichen Lagers, die vor allem im Osten vorherrscht, aber längst auch die beiden Parteizentralen in Berlin ergriffen hat. CDU und FDP haben von Anfang an verkannt, dass hier kein Regionalproblem vorlag, sondern ein ganz grundsätzliches – nämlich die Gretchenfrage für bürgerliche Parteien: Wie hältst Du‘s mit Höcke und Co.?

Vor allem im Konrad-Adenauer-Haus hat man die Dimension der Thüringen-Wahl, wie die kritische Lage der Union im Osten insgesamt, völlig unterschätzt. Dabei hatte der Thüringer Vize-Fraktionschef Michael Heym bereits unmittelbar nach der Landtagswahl im Oktober 2019 vehement für eine „bürgerliche Mehrheit rechts“, aus CDU, AfD und FDP, geworben. Und sein sachsen-anhaltinischer Amtskollege Lars-Jörn Zimmer hält schon lange eine von der AfD unterstützte Minderheitsregierung seiner Partei für „absolut denkbar“. AKK hätte also gewarnt sein müssen; statt dessen sah sie der Eskalation viel zu lange tatenlos zu. Dahinter verbirgt sich eine fatale Zäsur: Wie schon früher in der deutschen Geschichte hat die bürgerlichen Parteien der demokratische Instinkt verlassen. In Erfurt war exemplarisch zu erleben, woran die Weimarer Republik gescheitert ist, nämlich am politischen Opportunismus des Bürgertums und an seinem Verrat der demokratischen Ideale. Zugrunde liegt all dem die Lebenslüge der Union: die behauptete Äquidistanz zu „linkem und rechtem Rand“, die gerade in Thüringen angesichts einer Regierung Ramelow eine maximale Verharmlosung der Höcke-Partei bedeutet. Eben diese Verharmlosung ermöglichte es der AfD, ihre verführerische „Leimrute“, so Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU), für eine angeblich bürgerliche Koalition auszulegen.

Triumphieren konnte so am Ende nur die AfD. Parteichef Jörg Meuthen erklärte die Wahl von Kemmerich zum „ersten Mosaikstein der politischen Wende in Deutschland“ und Beatrix von Storch sprach gar von einer „politischen Revolution“. Der „Bürgerblock“ habe die „Linksfront“ geschlagen.[4] Spätestens mit dem Rücktritt Kramp-Karrenbauers am 10. Februar war der Triumph der AfD komplett, und ihr rechtsradikaler Vordenker Götz Kubitschek jubilierte: „So konstruktiv-destruktiv wie Höcke hat aus dieser Partei heraus noch keiner agiert. In Thüringen jemanden so auf einen Stuhl setzen, dass es in Berlin einem anderen Stuhl die Beine abschlägt: Das taktische Arsenal der AfD ist um eine feine Variante reicher.“[5]

Tatsächlich ist es der AfD gelungen, ihre politischen Gegner in beispielloser Weise vorzuführen und gegeneinander auszuspielen. Denn zum Desaster der Wahl gesellten sich danach weitere Fehler der „Altparteien.“Das begann bereits mit der Einstufung des Ereignisses. Weder handelt es sich dabei um den behaupteten „Dammbruch“ für den Faschismus (der damit gar nicht mehr zu stoppen wäre) noch und schon gar nicht um einen „Zivilisationsbruch“, von dem der Comedian Jan Böhmermann schwadronierte. Mit diesem bisher dem Holocaust vorbehaltenen Begriff wird nicht nur der industrialisierte NS-Völkermord relativiert, ja sogar minimiert, sondern man verleiht der AfD eine überirdische, fast diabolische Größe. Doch selbst wenn Geschichtslehrer Höcke mit seiner Verbeugung vor Kemmerich auf die Verneigung Hitlers vor dem greisen Paul von Hindenburg anspielen wollte, sollte man Höcke nicht vorauseilend zum kommenden Kanzler stilisieren.

Quelle     :        Blätter          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben       — Election night Thuringia 2019: Bodo Ramelow (Die Linke), Mike Mohring (CDU), Björn Höcke (AfD), Thomas L. Kemmerich (FDP)

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Unten         —       Ein bunter Scherbenhaufen von rot  bis braun – ein Scherbenhaufen

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