Vom Antifaschismus
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 20. November 2019
Das Märchen vom linken Mob
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Was ist gemeint, wenn von „Angriffen von links oder von rechts“ die Rede ist? Oft ist das, was als „linke Hetze“ gilt, bloß ein Benennen der Zustände. Zu denen zählen Morddrohungen gegen AktivistInnen.
Die Leute sagen, ein Gespenst gehe um in Europa, das Gespenst des linken Mobs. Allein, dieser vermeintliche linke Mob scheint hauptsächlich in den Köpfen derer zu existieren, die Antifaschismus für „genauso schlimm“ wie Faschismus halten. Während JournalistInnen, KünstlerInnen, AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und Privatpersonen heute einer Vielzahl Angriffen von Rechten und Rechtsextremen ausgesetzt sind, gibt es immer noch und immer wieder Leute, die davon reden, dass Gewalt von Linken oder Linksextremen im Moment das eigentliche Problem sei. Obwohl sie wissen könnten, dass Gewalttaten von links deutlich zurückgegangen sind.
Deutsche lieben Traditionen, aber manchmal wissen sie gar nicht, in welch althergebrachter Tradition sie stehen. Die Verharmlosung rechter Gewalt bei gleichzeitiger Behauptung angeblich mindestens genauso brutaler linker Gewalt ist so eine Tradition in Deutschland. (Sie ist nicht nur deutsch, natürlich; VertreterInnen der sogenannten Hufeisen-Theorie, nach der Rechts- und Linksextreme gleichermaßen bedrohlich für Demokratien sind, findet man überall.)
Die Philosophin und Autorin Dania Alasti schreibt in ihrem Buch „Frauen der Novemberrevolution“ darüber, wie „viele Krawalle, Demonstrationen und Streiks von 1915 bis 1918 maßgeblich von Frauen getragen“ wurden und wie viele der damals protestierenden Frauen heute vergessen sind. Interessant für die Frage nach linker und rechter Gewalt ist ihre Beobachtung der juristischen Verfolgung politischer Gewalt, zu der sie eine Untersuchung von 1922 zitiert:
„In seiner ausführlichen Recherchearbeit ‚Vier Jahre politischer Mord‘ fasste der Mathematiker Emil Gumbel 1922 alle bekannt gewordenen Fälle politischen Mordes (…) von linken und von rechten Gruppierungen zusammen und verglich die Strafverfolgung und Aufarbeitung. Der Vergleich war erschreckend. Die bayerischen Räterepublikaner*innen wurden insgesamt zu 616 Jahren Einsperrung verurteilt, während die Kapp-Putschisten für insgesamt fünf Jahre eingesperrt wurden. Seine Arbeit kann als akribische Ideologiekritik verstanden werden. Er stellte ausführlich dar, wie ausschreitend Gewalttaten von rechten Verbänden waren und wie wenig sie strafverfolgt wurden, während es sehr viel weniger Gewalttaten seitens der linken Räte oder Aufständischen gab, die aber sehr stark strafverfolgt wurden. Gleichzeitig (…) war das öffentliche Bewusstsein verkehrt. Gewalt von linker Seite wurde direkt verurteilt, während Gewalt von rechter Seite mit ausweichenden Sätzen begegnet wurde, wie: ‚Wir mißbilligen politischen Mord von jeder Seite.'“
Diese Art der Verschiebung von Diskursen, weg von rechter Gewalt, sehen wir auch heute. Menschen, die etwa in sozialen Netzwerken darauf hinweisen, von welchen rechten Journalisten oder anonymen Accounts sie belästigt oder bedroht werden, wird vorgeworfen, sie würden nun ihrerseits gegen diese Leute „hetzen“, den „linken Mob anstacheln“, Leute ihren Followern „zum Fraß vorwerfen“ – obwohl sie einfach nur TäterInnen benennen oder Angriffe sichtbar machen. Im Großen und Ganzen heißt das: Wehr dich nicht und halt dein Maul, wenn Nazis dich angreifen, sonst bist du genauso schlimm wie sie. Oder, wie FDP-Politiker Sebastian Czaja es mal formulierte: „Antifaschisten sind auch Faschisten“. Täter-Opfer-Umkehr wie aus dem Lehrbuch.
Dabei ist das, was für „linke Hetze“ gehalten wird, oft einfach ein Benennen der Zustände. Wenn man Leute, die Rechte oder Rechtsextreme verteidigen – ob aus Unwissenheit oder tatsächlicher politischer Motivation – darauf hinweist, was sie da tun, dann hört man sehr schnell Verteidigungen wie: „Hören Sie auf gegen mich zu hetzen!“ oder „Sie diskreditieren mich öffentlich!“ Es sind oft Leute, die keine Ahnung davon haben (oder haben wollen), was etwa JournalistInnen oder AktivistInnen, die über Rechtsextreme berichten, erleben, und was tatsächliche Hetze ist: Gewaltandrohungen, Morddrohungen, Veröffentlichung von Privatadressen oder anderen privaten Informationen, sogenannte Feindeslisten und Aufrufe, die Person zum Schweigen zu bringen.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Berlin, OdF-Demonstration
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Unten — Die Demonstration gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus am 26. Juli 2014 war eine Solidaritätsdemo mit Josef S., der ohne Beweise, lediglich aufgrund der Aussage eines zivilen Polizisten wegen Landfriedensbruchs in Rädelsführerschaft, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung zu zwölf Monaten Haft – davon acht bedingt – verurteilt wurde.
Author | Haeferl |
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