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Viele Fronten in Mali

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 26. Juli 2018

Viele Fronten in Mali

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von Rémi Carayol

Die militärische Intervention hat die Dschihadisten geschwächt, aber nicht geschlagen. Das wird sich bei den Präsidentenwahlen Ende Juli vor allem im notorisch vernachlässigten Zentralmali zeigen, wo mit dem Staat auch die Korruption zurückgekehrt ist.

Konna in Mali, kurz vor Einbruch der Nacht. Vor dem Jugendzentrum tauchen Dutzende Männer mit gelben Sicherheitswesten und Cargohosen auf. Sie verteilen Stöcke und Macheten und Walkie-Talkies. Dann teilen sie sich in kleine Gruppen auf und patrouillieren auf ihren Motorrädern durch die Sandstraßen, bis zum Morgengrauen.

Die „Brigade“ von Konna besteht aus knapp 500 überwiegend jungen Freiwilligen. Sie will für Sicherheit sorgen, denn die Gendarmerie hat die Stadt vor neun Monaten verlassen. Auch die 50 Kilometer entfernt stationierte Armee lässt sich nur selten blicken – aus Angst vor bewaffneten Banditen, die die Gegend unsicher machen.

Mit der Aufstellung der „Brigade“ reagierten die Bewohner der Stadt in Zentralmali auf den ständigen Anstieg der Diebstahls- und Mordraten; und auf die Untätigkeit der Sicherheitskräfte, die schon vor dem Abzug der Gendarmerie ein Problem darstellte. „Am 23. März 2016 wurde mitten im Stadtzentrum ein Marabut1 ermordet und nur einen Tag später ein Händler in seinem Geschäft“, berichtet Yaya Traoré, einer der Anführer der „Brigade“, der auch Vizebürgermeister ist. „Die Gendarmen haben nichts unternommen, und da haben wir uns entschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.“

Nach der Schlacht von Konna im Januar 2013, die den Beginn des französischen Mali-Einsatzes („Operation Serval“) markierte, sollte die 15 000-Einwohner-Stadt an der Verbindungsstraße zwischen Bamako und Gao eigentlich zum Symbol des Neubeginns in Mali werden. Stattdessen ist sie heute ein Sinnbild des Staatszerfalls. Noch immer sieht man in den Straßen unzählige ausgebrannte Autowracks. Auch die von französischen Bomben zerstörten Häuser sind noch nicht wieder aufgebaut.2

Nach der Rückeroberung des Nordens durch französische und malische Truppen samt Kontingenten einiger afrikanischer Armeen hatten die Bewohner geglaubt, fortan Ruhe zu haben vor den Dschihadisten. Auch der befürchtete Staatskollaps schien abgewendet. Ibrahim Boubacar Keïta („IBK“), im August 2013 mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt, hatte den Maliern die Wiederherstellung eines starken Staats versprochen. Fünf Jahre danach will Keïta bei den Präsidentschaftswahlen für eine zweite Amtszeit kandidieren. Doch es ist nicht mal sicher, ob am 29. Juli überhaupt im gesamten Staatsgebiet gewählt werden kann.

Der Präsident regiert ein Land, das einem Scherbenhaufen gleicht. Zwar sind die wichtigsten Städte im Norden (Gao, Timbuktu, Tessalit) nicht mehr in den Händen der bewaffneten Tuareg- und Dschihadistengruppen, die dort seit 2012 das Sagen hatten. Zwar gibt es die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (Minusma); zwar wurde im Juni 2015 ein Friedensabkommen unterzeichnet zwischen dem malischen Saat und der Koordination der Azawad-Bewegungen (Coordina­tion des mouvements de l’Azawad, CMA), einer Koalition von aufständischen arabischen Gruppen und Tuareg-Rebellen im Norden.3 Zwar hat man in den einzelnen Regionen Malis Gouverneure ernannt, und die malischen Streitkräfte sind wieder zu Kräften gekommen.

Doch all diese Fortschritte bedeuten noch keine Lösung des Konflikts, zumal der Friedensvertrag immer noch nicht umgesetzt ist. Auch haben sich die bewaffneten Islamistengruppen inzwischen neu formiert: Im März 2017 schlossen sich al-Qaida im Islamischen Magreb (AQMI), Ansar Dine, die Macina-Befreiungsfront und al-Murabitun zur „Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime“ (Dschamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin, JNIM) zusammen. Sie wird von dem malischen Tuareg Iyad Ag Ghali angeführt und attackiert täglich Zivilisten wie Militärs.

Die malische Armee unterhält zwar Stützpunkte in Timbuktu und Gao, aber nach Kidal ist sie noch immer nicht zurückgekehrt, und zahlreiche Gebiete im Norden des Landes liegen außerhalb ihres Machtbereichs. Für viele Malier ist der Staat immer noch eine Fata Morgana. Nach UN-Angaben waren im Dezember 2017 weniger als ein Drittel der Beamtenposten im Norden des Landes besetzt. Die Zahl der Staatsbediensteten war sogar rückläufig. UN-Generalsekretär António Guterres äußert sich besorgt: „Ein Zusammenbruch Zentralmalis muss verhindert und die Sicherheit und Normalität wiederhergestellt werden, koste es, was es wolle“, betonte er am 30. Mai bei einem Besuch in Bamako.

Unterdessen verschlechtert sich die Sicherheitslage weiter. Das Epizentrum der Gewalt liegt heute nicht mehr in Kidal oder in Timbuktu, sondern weiter südlich, in den entlegenen Gebieten der Regionen Mopti und Ségou. 2017 gab es laut UN-Statistik 63 Angriffe von als „terroristisch“ eingestuften Gruppen auf malische, französische und UN-Streitkräfte, mehrheitlich in der Region Mopti. In den ersten drei Monaten von 2018 registrierte die Minusma bereits 85 „schwere gewaltsame Zwischenfälle“ mit mindestens 180 toten Zivilisten.

Die riesige Region Zentralmali ist sich selbst überlassen. „Bei uns geht es noch, aber sobald man sich weiter raus begibt, wird es gefährlich“, berichtet Oumar Bathily, ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Sévaré, die 10 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Mopti liegt.

Die einst prachtvolle Stadt Mopti liegt am Zusammenfluss von Niger und Bani. Früher empfing das „malische Venedig“ jedes Jahr tausende Touristen. Heute liegt der Hafen, von dem aus die Kreuzfahrtschiffe in Richtung Timbuktu nach Norden aufbrachen, leer und verlassen. Im Hotel Kanaga unweit des Flusses wartet man vergeblich auf Kundschaft. „Achtzig Zimmer, sieben Suiten, aber kein einziger Gast. Die Lage ist katastrophal“, klagt Hoteldirektor Amassome Dolo.

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Drohnen Uschi welchelt ihr Lager. Unter den obersten Sack liegt sie mit einer MP, um das Hab und Gut unserer Bananenrepublik zu verteidigen.

Nach der Rückeroberung des Nordens 2013 hatte Dolo noch Hoffnungen. Aber seitdem ging es kontinuierlich bergab. „Niemand will mehr nach Timbuktu, ins Dogonland oder nach Djen­né. Zu gefährlich. Aber zumindest bis hierher könnten die Leute doch kommen. Mopti wird ganz bestimmt nicht angegriffen.“ Ob das stimmt, bleibt abzuwarten. Die Dschihadisten sind angeblich ganz in der Nähe, auf der anderen Seite des ausgetrockneten Flusses, der sich zu Fuß überqueren lässt.

Sévaré ist wegen seines strategischen Flughafens einer der am besten geschützten Orte in Mali: Das Militär hat seine Präsenz ausgebaut, auch die Minusma unterhält hier eine 400 Mann starke schnelle Eingreiftruppe. Das Hauptquartier der G5-Sahel-Gruppe (siehe nebenstehenden Artikel) befindet sich ebenfalls in Sévaré.

Die Hotels sind ausgebucht. Es wimmelt von Männern in Tarnanzügen, allen möglichen „Beratern“ mit kräftigen Oberarmen und Diplomaten auf der Durchreise. Als einzige Fluglinie ist Echo Flight mit einem Büro vertreten. Das Serviceunternehmen der EU ist für den Lufttransport in Krisengebiete zuständig ist. Weil die meisten Gebäude an Militärangehörige vermietet werden, hat man sie zu Bunkern umgebaut. „Die Händler und Hausbesitzer reiben sich die Hände. Die Stadt lebt von der Kriegswirtschaft. Aber die Leute auf dem Land lässt man im Stich“, bemerkt Oumar Bathily.

Aber trotz der starken Militärpräsenz ist auch Sévaré nicht vor Angriffen sicher. Am 29. Juni starben zwei Soldaten und ein Zivilist nach einem Selbstmordanschlag auf das G5-Hauptquartier, zu dem sich später die JNIM bekannte.

Der Krieg war allerdings schon dreieinhalb Jahre zuvor in die Zentral­re­gion des Landes gekommen. Am 5. Januar 2015 ritt eine Motorradbrigade mit aufgepflanztem schwarzen Banner einen Angriff auf den Militärstützpunkt in Nampala, etwa 100 Kilometer östlich von Mopti. Elf Soldaten wurden getötet. Danach besetzten die Dschihadisten mehrere Stunden die nahe der mauretanischen Grenze gelegene Stadt. Das Schicksal Nampalas illustriert die jahrelange Vernachlässigung der Region: „Als die Dschihadisten 2012 die Kontrolle über den Norden übernahmen, sind sie nicht hierhergekommen. Aber der Staat war auch nicht da, die Beamten sind abgehauen“, berichtet der Apotheker Seku Bah, seit 2016 Bürgermeister von Nampala. „Nach der Rückeroberung durch die Franzosen 2013 kam die malische Armee auch wieder zurück. Aber geholfen haben sie uns nicht. Als immer mehr Rinder gestohlen wurden, haben einige Züchter beschlossen, sich zu bewaffnen, um sich zu verteidigen.“ Daraufhin habe sich die Situation wieder beruhigt. Nach dem Angriff vom Januar 2015, erzählt Bah, seien die Armee und die Beamten dann erneut geflohen. Seither wird jeder noch so kleine Konflikt im Ort mit Waffengewalt „gelöst“.

Quelle     :      Le Monde Diplomatique        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben    —     Djenné street market and the Great Mosque of Djenné — Mali.

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