Viel Lärm um wenig
Erstellt von Redaktion am Dienstag 27. November 2018
Fünf vor acht / Migration
Eine Kolumne von Theo Sommer
Der Streit um das Asylrecht und der um den UN-Migrationspakt haben eines gemeinsam: Es geht dabei weniger um die Sache als um die politischen Ambitionen.
Das Thema Migration vergeht nicht. Es bereitet nach den jüngsten Umfragen fast der Hälfte der Deutschen große Sorgen. Und nicht nur die AfD hackt beständig darauf herum; es ist ja ihr einziges Thema. Auch die CDU hält es unverständlicherweise am Brodeln, ganz, als habe ihr der Flüchtlingsstreit mit Horst Seehofer nicht schon die letzten sechs Monate gründlich verdorben.
Worum geht es? Zum einen hat Friedrich Merz, der sich um den Vorsitz der CDU bewirbt, mit teils missverständlichen, teils irrigen Äußerungen zu dem im Grundgesetz verankerten Asylrecht eine völlig unnötige Auseinandersetzung heraufbeschworen. Er weckte den Eindruck, es müsse abgeschafft werden, um eine übergreifende europäische Lösung zu ermöglichen. Was nicht der Fall ist.
Zum anderen hat der von den 193 UN-Mitgliedern ausgehandelte „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, den die Bundesregierung nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch dem Bundestag unvermittelt und kommunikationslos vorgesetzt hat, allerhand Besorgnis ausgelöst. Mit seinem Vorstoß, den Pakt nächste Woche auf dem CDU-Parteitag zur Diskussion zu stellen, hat auch der Merz-Konkurrent Jens Spahn versucht, Unterstützung für seine Vorsitzambitionen zu gewinnen. Was ist daran?
Friedrich Merz, um es unverblümt zu sagen, hat sich blöde vertan. Er irrte sich gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens: Die Bundesrepublik ist nicht das einzige Land, „das ein Individualrecht auf Asyl in seiner Verfassung stehen hat“ – es steht auch in dem französischen, italienischen oder portugiesischen Grundgesetz.
Zweitens: Man habe das „uneingeschränkte Recht auf Asyl, so wie es 1949 in die Verfassung kam, bis heute weitgehend belassen“ – tatsächlich aber wurde es 1993 rigoros eingeschränkt, sodass es kaum noch eine Rolle spielt; denn wer aus einem EU-Land oder der Schweiz einreist, hätte bei uns – ginge es allein nach dem Grundgesetz und nicht auch nach europäischem Recht – keinen Anspruch mehr auf Asyl.
Drittens: Die Unterstellung, das deutsche Asylrecht böte mehr als die europäischen Regeln, verkennt die Tatsache, dass diese weit mehr gewähren, nämlich nicht nur Schutz vor Verfolgung durch Staaten, sondern auch durch nicht staatliche Akteure wie etwa die Taliban; zudem genießen auch Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz – unser Artikel 16 schließt nach der geltenden Auslegung derlei „allgemeine Unglücksfolgen“ als Asylgrund eindeutig aus.
Der Migrationspakt ist ein seltsames Dokument
Die Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sprechen eine klare Sprache. Im vergangenen Jahr entschied das Nürnberger Amt über 603.000 Asylanträge. Nur 4.359 Antragsteller und Antragstellerinnen erhielten Asyl nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik, ganze 1,7 Prozent; 123.909 Personen wurde Flüchtlingsschutz zuerkannt, so gut wie allen nach europäischem Recht; fast 100.000 weitere Menschen bekamen nach EU-Recht und Völkerrecht subsidiären Schutz, da ihnen in ihrer Heimat Schaden droht. Der Spiegel hat recht: Da hat Friedrich Merz „Krawall um nichts“ veranstaltet. Um seine Wahlchancen zu wahren, sollte er ohne weiteres Zagen einräumen, dass er sich vertan hat.
Quelle : Zeit-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle : Vista di Lampedusa (AG), l’unica isola italiana in Africa e il comune più a sud d’Italia.
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Author | Andre86 |
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