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Verlotterte Nato-Journalie

Erstellt von Redaktion am Dienstag 4. Juli 2017

Wenn hinten weit die Völker aufeinander schlagen

„Die Übergabe des Kaufpreises für die DDR in Bonn“ im Rahmen der BRDigungs-Aktion „Das letzte Geläut“

Autor: Olaf Cless

Olaf Cless ist Redakteur des Düsseldorfer Straßenmagazins fiftyfifty. 2015 erschien seine Glossensammlung „Botox für alle“ mit Zeichnungen von Dieter Süverkrüp.

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.

(Goethe, Faust – Eine Tragödie)

Die Informationen bzw. Versatzstücke für solch gemütliches Räsonieren, ob nun an Sonn- oder Werktagen, die liefert uns bequem die Tagesschau. Wer sie täglich auf sich wirken lässt in ihrer offiziösen Glätte und ritualisierten Routine, hat beste Aussichten, ein braver Bürger zu werden und zu bleiben. Sein Weltbild wird im Großen und Ganzen trefflich harmonieren mit der jeweiligen amtlichen Regierungslinie und dem, was sich noch immer als „westliche Wertegemeinschaft“ ausgibt.

Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten,
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

Als sich 2014 der Ukrainekonflikt zuspitzte, einseitige Schuldzuweisungen an Russland üblich wurden und sich ein Rückfall in den Kalten Krieg abzeichnete, wandten sich 60 Prominente mit dem Appell „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ an die Kanzlerin, die Regierung, den Bundestag und die Medien. Zu den Erstunterzeichnern gehörten ein Ex-Bundespräsident, ein Ex-Bundeskanzler, Minister, Staatssekretäre, bekannte Kulturschaffende und Wissenschaftler. Weder die Tagesschau noch das ZDF berichteten darüber. Der Aufruf passte einfach nicht in ihre reflexhaft „prowestliche“ Doktrin. Er störte nur. Nachrichtenunterschlagung als Nachrichtenpolitik.

Der Fall gehörte zu den ersten, die Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer, zwei ehemalige NDR-Mitarbeiter, veranlassten, die Berichterstattung der Tagesschau – und des Gesamtbereichs ARD-aktuell – kontinuierlich zu begleiten, symptomatische Schlagseiten und Schnitzer festzuhalten und sie dem Sender und seinen Gremien in Form von Programmbeschwerden ein ums andere Male auf den Tisch zu pfeffern. Als Schwerpunkte drängten sich wie von selbst die Ukraine- und die Syrien-Berichterstattung mit ihrer besonders flagranten Verlotterung des journalistischen Niveaus auf. Da wurden und werden ukrainische Nazis eskamotiert, immer wieder die trübe Quelle der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ bemüht, politisch genehme Terroristen zu „gemäßigten Rebellen“ veredelt, unbequeme Studien zum Maidan-Massaker oder zum Giftgas in Syrien ignoriert usw. usf.

Hunderte solcher Beschwerden reichten Bräutigam und Klinkhammer ein, wovon nun eine Auswahl von knapp 30 als Kernstück des gemeinsam mit Uli Gellermann (rationalgalerie.de) verfassten Buches „Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau“ erschienen ist. Zusätzlich bringt das Bändchen Erhellendes über die Geschichte der Tagesschau und über die marktbeherrschenden Nachrichtenagenturen. Wir erfahren auch, wie die Antworten der Zuständigen ausfielen, nämlich samt und sonders abschlägig: „Der Rundfunkrat konnte keinen Verstoß gegen die geltenden Grundsätze der Programmgestaltung gemäß NDR-Staatsvertrag feststellen“, lautet ein stereotyper Textbaustein. „Im Übrigen“, heißt es dann noch, „bittet Sie der Rundfunkrat, künftige Programmbeschwerden sachlich zu formulieren und auf Polemik zu verzichten.“
Ja, es stimmt, Klinkheimer und Bräutigam werden gern mal polemisch. Sie verspotten die Moskauer Korrespondentin Golineh Atai als „Barrikadenbraut“ und die ARD-aktuell-Redaktion als „Qualitätskompanie Gniffke“. Auch verbeißen sie sich im Eifer des Gefechts schon mal in Zweitrangigem. Würde wahrscheinlich jedem passieren, der sich mit dieser Meinungsmaschinerie anlegt und auf so viel geballte Selbstgefälligkeit stößt wie die Autoren.
Aber lieber die Wut bewahren als, wie bei Goethe so süffisant geschildert, falschen Spießerfrieden zu machen:

Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim alten.

Zu Hause, ja, da meldet sich dann um acht mit Fanfarenklang die Tagesschau, teilt die Welt nach ihrer Art und ihrem gesunden Nato-Volksempfinden ein in Hell und Dunkel, Gut und Böse, und alles bleibt, bis auf Weiteres, beim alten.

DIE DEBATTE
ZUR MACHT UM ACHT
Einige Freunde der Rationalgalerie haben das Buch „Die Macht um Acht“ gelesen und werden ihre Rezensionen Zug um Zug an dieser Stelle veröffentlichen. Sie alle beteiligen sich seit Jahren an der intellektuellen Diskussion in unserem Land. Ihre Beiträge können und sollten die Leserinnen und Leser anregen ihre Meinung zur Medien-Verfassung unseres Landes zu äußern. 

Viele Köpfe denken mehr.


Grafikquelle  :    Wikipedia – Author Kurt Jotter

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