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Unter Linken

Erstellt von Redaktion am Samstag 2. Juni 2018

Am kommenden Wochenende trifft sich die Linke zum Parteitag.

Die Linke Weltpremiere Der junge Karl Marx Berlinale 2017.jpg

Aus Köln und Berlin Martin Reeh

Seit Monaten streiten sich Kipping-Anhänger und Wagenknecht-Freunde – vor allem wegen der Flüchtlingspolitik. Eine Zeitreise hilft, diesen Konflikt zu verstehen.

Am Ende dieses grauen Apriltages wird Katja Kipping ein Foto twittern, auf dem sie scheinbar vor voll besetzten Reihen in der Kölner Universität spricht. Es geht um Flüchtlingspolitik. Der Bildausschnitt ist geschickt gewählt, tatsächlich war der 188 Plätze fassende Hörsaal mit der Nummer VIII vielleicht zu einem Drittel gefüllt. Aber das Foto ist ein Signal im innerparteilichen Machtkampf: „Was Kipping und Riexinger, deren Publikumsresonanz bei Veranstaltungen sich in der Regel in engen Grenzen hält – dazu berechtigt, den Versuch zu unternehmen, die Spitzenkandidaten zu demontieren, ist eine offene Frage“, hatte Frak­tions­chefin Sahra Wagenknecht in einem Brief an die Fraktion geschrieben. Seht her, sagt das Foto, auch ich, Katja Kipping, kann Säle füllen.

Wagenknecht gegen Kipping, Kipping gegen Wagenknecht, so geht das seit Monaten. Für offene Grenzen, gegen offene Grenzen, für eine Sammlungsbewegung oder dagegen. Rücktrittsdrohungen, Intrigen, Machtkämpfe. Der Hass aufeinander ist auch bei den Mitarbeitern zu spüren, von denen manche in vertraulichen Gesprächen kaum mal die eigenen Chefs loben, sondern stattdessen die jeweilige Gegenseite madigmachen.

Was ist das? Ein Streit zwischen zwei Frauen, die nicht miteinander können? Ein inhaltlicher Streit?

Kipping redet in diesen Wochen vor dem Parteitag beim Katholikentag in Münster, in Dresden über das bedingungslose Grundeinkommen, in Berlin beim Karl-Marx-Kongress der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie kann Small Talk, spricht gerne mit Genossen und Abgeordneten, gilt als begabte Netzwerkerin. Sie wirkt, als wäre sie in der Partei zu Hause.

Sahra Wagenknecht. Hannover 2017.jpg

Auftritte von Wagenknecht gibt es im Frühjahr nur wenige. Zweimal sagt sie erkrankt ab, eine Lesung in Erfurt ebenso wie die Fraktionsklausur im März. Auf dem Flur vor dem Fraktionssaal lästern ihre Gegner: Zeit für Interviews fände sie immer, die Sitzung lasse sie sausen. Auch zu den Parteivorstandssitzungen erscheine sie nicht. Das Geschäft einer Fraktionsvorsitzenden – Abgeordnete einbinden, Kompromisse aushandeln – ist nicht ihre Stärke. Persönlich wirkt sie immer etwas unnahbar. Dennoch ist ausgerechnet Wagenknecht zur populärsten Politikerin der Linken geworden. Im letzten Jahr sprach sie mit der Bunten über Privates („Geständnis: Sie hätte so gerne Kinder gehabt!“), im Mai trat sie in der Vox-Kochshow „Grill den Profi“ auf, dort bereitete sie Schnee-Eier zu.

Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine versucht den Konflikt als von Missgunst getrieben darzustellen, ausgehend von Kipping. Auf Facebook schreibt er vom „Neid auf andere, die ähnlich populär oder populärer als man selbst“ seien.

Wenn man den Streit in der Linken wirklich begreifen will, muss man zwei Zeitreisen machen. Die eine führt ins Jahr 1990, dazu später. Die andere führt ins Jahr 2012. Damals, am Ende des Göttinger Parteitags, stehen Delegierte in einer Ecke der Halle und skandieren: „Ihr habt den Krieg verloren, ihr habt den Krieg verloren!“ Damit verhöhnen Linke normalerweise Nazi­de­mons­tra­tio­nen. Hier ist mit „Krieg“ die Auseinandersetzung zwischen dem Lager der Reformer aus dem Osten um Dietmar Bartsch und der Parteilinken um Oskar Lafontaine gemeint.

Bartsch fällt in Göttingen bei der Wahl zum Parteichef durch, knapp gewählt wird der eher unbekannte Stuttgarter Gewerkschafter Bernd Riexinger, den das Lafontaine-Lager ins Rennen geschickt hat. Seine Ko-Vorsitzende wird Katja Kipping, deren Strömung Emanzipatorische Linke damals nur eine geringe Hausmacht hat. Aber von vielen wird sie zu den Reformern gerechnet, sie stammt wie Bartsch aus dem Osten. Deshalb hat der Ostler und Reformer Bartsch schlechte Karten, als Kipping den Frauenplatz in der Doppelspitze besetzt. Das begründet den Hass des Bartsch-­Lagers auf Kipping.

In Göttingen steht die Zukunft der Linkspartei auf der Kippe. 2005 hatte alles so gut angefangen: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine riefen zur Gründung der Linkspartei aus PDS und WASG auf. Eine neue, linkssozialdemokratische Partei sollte entstehen und dem Sozialabbau von Rot-Grün Einhalt gebieten. Aber die Wirklichkeit war komplizierter: Der Reformerflügel aus der PDS etwa war als Teil der rot-roten Berliner Landesregierung mit dabei, als dort Wohnungen privatisiert und Sozialhilfen gekürzt wurden. Viele Lafontainisten hielten die Bartsch-Anhänger für Wiedergänger des rechten SPD-Flügels.

Aus der SPD wechselten nur wenige in die Linke. Prominente wie Rudolf Dreßler und Ottmar Schreiner blieben Sozialdemokraten. So war Lafontaine im innerparteilichen Machtkampf auf ein Bündnis mit Linksradikalen angewiesen. Etwa mit der trotzkistischen Gruppe Linksruck.

2017-09-24 Katja Kipping und Bernd Riexinger by Jenny Paul - (01).jpg

Nach der Wahl von Kipping und Riexinger ist der Krieg vorbei, vorerst. Nun setzt die Guerillataktik ein. In die Medien sickern bald kleine, schmutzige Leaks aus dem alltäglichen Parteikampf. 2013 berichtet die Welt über ein „Liederbuch für fröhliche Bartschisten“, das Stücke wie „Auf, auf zum Bartsch“ enthält. Textprobe: „Die roten Haare werden wir ihr roden, der Hexe Kipping verweigern wir die Hand.“

Trotzdem geschieht 2015 ein kleines Wunder: Der Lafontaine-Flügel und die Bartschisten schließen Frieden, Bartsch und Wagenknecht beerben Gregor Gysi als Fraktionschef. Gemeinsam, als Doppelspitze. Beide haben Vertrauen in der gemeinsamen Arbeit als stellvertretende Fraktionschefs gewonnen. Das sogenannte Hufeisen ist geboren: das Bündnis von Parteilinken und Parteirechten, die Mitte um Kipping und Riexinger behält den Parteivorsitz. Es hätte Frieden in der Linken herrschen können, wenn nicht gerade zu diesem Zeitpunkt mehrere Hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland gekommen wären.

Damit beginnt die zweite Zeitreise, sie geht weiter zurück – bis 1990: Die Mauer ist gefallen, Oskar Lafontaine SPD-Kanzlerkandidat und Ministerpräsident im Saarland. Schon im Juli haben fast 100.000 Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl gestellt. In der saarländischen Kleinstadt Lebach sind rund 1.400 Romaflüchtlinge aus Rumänien untergebracht. Diebstähle sollen sich häufen. Bürger demonstrieren: „Lebach wird zur Geisterstadt/weil’s so viel Zigeuner hat“, heißt es auf einem Transparent. Ein Aufmarsch ins Flüchtlingslager kann gerade noch verhindert werden.

Bundesarchiv B 145 Bild-F079284-0010, Münster, SPD-Parteitag, Lafontaine.jpg

Lafontaine zieht daraus einen Schluss: „Das Asylrecht muss so gestaltet sein, dass die Be­völkerung es akzeptiert“, sagt er. Ohne die Änderung des Grundgesetzes sei das „leider“ nicht zu haben. Noch blockt die SPD. Doch zwei Jahre, ­Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-­Jugoslawien, rechtsradikale Brandanschläge auf Migranten und einige Wahlerfolge der Republikaner später ist es so weit: Die SPD beschließt die sogenannte Petersberger Wende und verstümmelt mit der Union des Asylrecht. Es bleibt im Grundgesetz verankert, gilt aber nur noch für jene, die nicht über einen sicheren Drittstaat kommen. Also für fast niemanden mehr. Das Problem wird auf die EU-Grenzstaaten verlagert: auf Italien, Spanien, Griechenland.

Die Asylbewerberzahlen gehen massiv zurück, die Anschläge und Wahlerfolge der Rechtspopulisten auch. 1998 gewinnen SPD und Grüne die Bundestagswahl. Asyl spielt keine Rolle im Wahlkampf, Themen der sozialen Gerechtigkeit dominieren. Lafontaine hat der SPD mit der Petersberger Wende den Wahlsieg 1998, das Ende von Kohl und damit die Hoffnung auf eine sozialere Politik in Deutschland ermöglicht – die aber ausbleibt, weil Lafontaine Schröder die Kanzlerkandidatur überlassen hat und nach einem halben Jahr als Finanzminister hinwirft.

Quelle     :     TAZ        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     .

Oben   —    Vertreter der Partei Die Linke bei der Weltpremiere von Der junge Karl Marx bei der Berlinale 2017: v.l.n.r. Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping, Petra Pau und Kristian Ronneburg

3.) von Oben    —    Katja Kipping und Bernd Riexinger auf der Wahlparty der LINKEN zur Bundestagswahl 2017 in der Arena Berlin

Unten    —    Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. 30.8.-2.9.1988 SPD-Parteitag in Münster, Halle Münsterland

 

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