Über Lindemann-Gedicht
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 8. April 2020
Auf Himmel reimt sich ja sonst nichts
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Ein Sänger veröffentlicht ein Gedicht, in dem er über eine Vergewaltigung fantasiert. Das Problem ist nicht mal mangelnde Qualität – sondern ein Geniekult, der selbst Bumsbanales zum ästhetischen Akt hochjazzt.
Mit Lyrik ist es immer so eine Sache. Ein Gedicht von Friedrich Nietzsche geht so: „Buatschaleli batscheli / bim bim / Buatscheli batscheleli / bim!“ Es entstand gegen Ende seines Lebens, und bekanntermaßen war Nietzsche die letzten Jahre schwer krank und hatte Wahnvorstellungen. Es gibt Leute, die finden, man sollte so etwas dann vielleicht besser nicht in Gedichtsammlungen aufnehmen, weil es ihn bloßstellt, und dann gibt es Leute, die finden es besonders genial und mysteriös. Oder sie finden: Ja, das ist verrückt, aber gehört einfach dazu.
Was zur Kunst gehört und was nicht, das ist aktuell wieder eine Frage, die gestellt wird, anlässlich des neuen Gedichtbands von Till Lindemann. Der Sänger der Boygroup Rammstein hat ein Buch veröffentlicht, in dem es in einem Gedicht um die Vergewaltigung einer wehrlosen, sedierten Person geht, aus Sicht des Täters. „Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen“.
Es wäre nicht unbedingt falsch, das Ganze als peinliches Produkt einer späten Midlife-Crisis zu ignorieren. Diejenigen, die sagen „Was will man denn von diesem Typen erwarten“ haben durchaus einen Punkt: Lindemann ist ein Autor, dessen Wikipedia-Artikel einen eigenen Absatz mit der Überschrift „Das lyrische Ich als Gewaltausübender“ hat. Aber wenn es schon eine Debatte über Lyrik gibt, die starke Gefühle auslöst – bei einigen: Ekel, Wut, Entsetzen, bei anderen: das starke Bedürfnis, die Kunst zu verteidigen –, dann kann man schon mal genauer hinsehen.
Wo Kunst ist, ist auch Kunstkritik
Die am einfachsten zu klärende Frage lautet: Ist das Kunst, und darf man so etwas drucken? Ja, natürlich. Kunst ist ein weites Feld, sie muss nicht gut sein, und drucken darf man ziemlich viel. Aber wo Kunst ist, ist auch Kunstkritik.
Die Kritik ist sich im Fall Lindemann erwartungsgemäß uneinig. In der „Berliner Zeitung“ schreibt Björn Hayer, die Lindemann-Texte seien „abscheuliche Gedichte“, die aber durchaus „klüger sind als ihr Autor“ und zeigen, „wie die Gewalt die soziale DNA in sämtlichen Bereichen des Zusammenlebens bestimmt.“ In derselben Zeitung kommentiert Julia Maria Grass: „Das ist sexistischer Dreck. Und der bleibt sexistischer Dreck, auch wenn er sich reimt.“
Im Hause Springer geht einiges durcheinander, wenn Jan Küveler in der „Welt“ schreibt, es stehe „der Vorwurf einer Vergewaltigung im Raum“, denn es gibt in dieser Debatte keinen Vergewaltigungsvorwurf, lediglich den Vorwurf, mit einem Gedicht, das unzweifelhaft eine Vergewaltigung beschreibt, diese Art von Gewalt zu verherrlichen. Der „Tagesspiegel“ nennt Lindemanns Gedichte „einfach nur dumme Provokation“ und fragt: „Ob sich dafür ein großer Verlag und ein SZ-Redakteur als Herausgeber gefunden hätten, wäre der Autor kein bekannter Rocksänger?“
Und der Verlag? Helge Malchow, Editor-at-Large bei Kiepenheuer & Witsch, äußerte sich zur Kritik, was als Vorgang bemerkenswert ist, dann aber doch ernüchternd ausfiel. „Die moralische Empörung über den Text dieses Gedichts basiert auf einer Verwechslung des fiktionalen Sprechers, dem sogenannten lyrischen Ich, mit dem Autor Till Lindemann“, ließ er verkünden. Was nicht viel mehr heißt als: Das ist ein Gedicht, ihr Heulsusen, der hat die gar nicht vergewaltigt. Nur: Das wusste man ja schon, dass es da um ein Gedicht geht.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Till Lindemann _ live LIFAD Tour 2010
Autor — Guido Karp
- CC BY-SA 3.0 deHinweise zur Weiternutzung
- File:Till Lindemann.jpg
- Erstellt: 1. Mai 2010
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Unter — Rammstein, playing „Engel“ in Mexico City, May/27/2011
Erikire – Own work
- CC BY-SA 3.0
- File:Till-ENGEL2.jpg
- Created: 1 June 2011
Erstellt am Mittwoch 8. April 2020 um 12:35 und abgelegt unter Feuilleton, International, Kultur, Religionen. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.