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Tag der politischen Einheit

Erstellt von Redaktion am Samstag 3. Oktober 2020

„Freie Presse können die ja gar nicht“

File:Druckerei Neue Zeit Zimmerstraße Berlin 1986.jpg

Das Interview mit Mandy Tröger führte Steffen Grimberg

Wie war die Haltung der Westverlage zum Osten? Warum entstand nach der Wende keine gesamtdeutsche Presselandschaft? Diese Fragen erforscht Mandy Tröger

taz am wochenende: Frau Tröger, nach der Maueröffnung wollte die DDR-Regierung eine freie Medienlandschaft. Also gleiche Bedingungen für alte und neue Titel aus dem Osten und Blätter aus dem Westen. In Ihrem Buch heißt es aber, die Entwürfe für diese neue DDR-Medienordnung „gründeten auf den Interessen und der Logik westdeutscher Verlage“. Was ist da schief gegangen? War es wirklich ein abgekartetes Spiel?

Mandy Tröger: Das zwar nicht, aber eine Art logische Konsequenz. Denn es gab ja den enormen Reformdruck von unten, von den Menschen, die 1989/90 auf die Straße gingen. Da war eine der zentralen Forderungen: freie Presse, Meinungsfreiheit. Dazu gehört natürlich auch, dass alle Westzeitungen haben wollten, an die man vorher kaum herankam. Parallel zu diesen Reforminitiativen im Osten haben früh die westdeutsche Politik und vor allem die westdeutsche Wirtschaft ihre Interessen ausgespielt. Und die DDR-Regierung musste darauf reagieren …

Als der entschieden schwächere Partner …

Es gab schon früh, im Dezember 1989, ein Abkommen zwischen dem neuen DDR-Regierungschef Hans Modrow und BRD-Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem ein deutsch-deutscher Presseaustausch beschlossen wurde. Dabei wurden die komplett unterschiedlichen Bedingungen in der DDR und der BRD aber außer Acht gelassen: Hochprofitable Verlage im Westen und eine komplett unterversorgte Presselandschaft im Osten. Mit der Öffnung der Mauer fand da natürlich ein einseitiger Import in den Osten statt, der den Westverlagen in die Hände spielte.

Weil diese die bestehenden Monopolstrukturen und die kriselnde Planwirtschaft zu ihrem Vorteil nutzen konnten: Die neuen Zeitungen im Osten bekamen ja nicht mal genügend Papier zugeteilt.

Das ganze war noch vielschichtiger. Da gab es mindestens drei Dimensionen: Einmal den simplen Import von westdeutschen Titeln in die DDR. Dann die ersten „Zeitungshochzeiten“ lange vor der offiziellen Privatisierung durch die Treuhand. Und die Vertriebsstrukturen: In der DDR hatte die Post das Monopol auf Zeitungszustellung, aber auch was den Verkauf am Kiosk anging. All das hat finanzstarken Verlagen aus der BRD geholfen.

Zumal von einem „Presseaustausch“ keine Rede sein kann. Es haben ja keine DDR-Titel die westdeutschen Zeitungsregale geflutet …

Das war schon Thema bei einer deutsch-deutschen Medientagung am 8. Februar 1990. Da wurde von ostdeutscher Seite klar gesagt, dass das so nicht funktionieren kann und dass man Unterstützung brauche bei Druck oder Werbung. Das Bundesinnenministerium hat auch Hilfe versprochen. Da ist aber nie etwas passiert. Insofern war das von Anfang an illusorisch.

Welche Rolle spielten hier die Großverlage Bauer, Burda, Springer und Gruner + Jahr?

Eine ganz entscheidende. Sie wollten zunächst ein Joint Venture mit der DDR-Post für den Zeitungsvertrieb aufbauen. Das ist ironischerweise am Widerstand mittelständischer Verleger aus dem Westen gescheitert, die für ihre Blätter Nachteile befürchteten. Daraufhin haben die vier Verlage ihr eigenes Ding gemacht und ihre Blätter ab Anfang März 1990 über Bäckereien und Geschäfte verkauft. Das war in der DDR eine rechtliche Grauzone, gemessen an der Gesetzeslage im Westen war es aber illegal. Denn es handelte sich vor allem um einen Exklusivvertrieb für westliche Titel, während die alten und neuen Titel aus der DDR bis zuletzt hauptsächlich am maroden Postzeitungsvertrieb hingen.

Welche Folgen hatte das?

Das Bundeskartellamt hat nach der Vereinigung geurteilt, dass das marktschädigend war und dieses Verlagskartell zerschlagen. Da war das Kind aber schon im Brunnen. Vor allem die neu gegründeten Blätter steckten in solchen finanziellen Schwierigkeiten, dass sie sich davon nicht mehr erholen konnten. Von den 1990 rund 120 neu gegründeten Titeln waren schon Ende 1992 keine 50 mehr übrig. Überlebt haben bis heute fast keine.

Welche Rolle spielte hier das Bundesinnenministerium? Der Bund ist und war ja gar nicht für Medien- oder Pressepolitik zuständig.

Das BMI hat sich nach außen immer rausgehalten und gesagt: „Was Westverlage in der DDR machen, da haben wir keinen Einfluss drauf.“ Aber natürlich gab es klare Interessen mit Blick auf die ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990. Das BMI hat schon im Februar 1990 Gespräche mit den BRD-Verlegerverbänden geführt, um früh Westpresse in den Osten zu kriegen. Das hatte natürlich mit parteipolitischen Interessen aus der BRD zu tun. Mit den Ostverlagen haben die nie gesprochen.

Das heißt: Alles, was der DDR-Medienminister Müller oder der „runde Tisch“ an Veränderungen wollte, war von vornherein illusorisch?

Medienminister Müller hat das damals schon sehr gut verstanden und in seinem Ministertagebuch festgehalten. Er hat zum Beispiel klar gesehen, was passiert, wenn die starken SED-Bezirkszeitungen mit großen Westverlagen zusammengehen. Schnell wurde auch klar, dass der Westen das geplante umfassende Mediengesetz nicht wollte. Da sollte es um Dinge wie „innere Pressefreiheit“ gehen, was für die Verleger ja bis heute ein rotes Tuch ist. Alles, was aus der Diktaturerfahrung der DDR absolut Sinn machte, wie man Medien und Journalismus neu denken muss, fiel durchs Raster. Ziel der BRD war es, die Westverhältnisse und -strukturen nicht durch neue Konzepte zu gefährden. Das Westsystem sollte vielmehr eins zu eins im Osten übernommen werden – so kam es dann ja auch, bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Was waren denn die absurdesten Auswüchse?

Quelle        :         TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquelle       :       Druckerei der „Neuen Zeit“ (Union-Verlag), gelegen an der Berliner Mauer in der Zimmerstraße in Berlin 1986.

Lizenz Beschreibung Creative Commons (CC BY-NC-SA 2.0)

Ein Kommentar zu “Tag der politischen Einheit”

  1. Ex-Mitglied sagt:

    3. Oktober: Kein Freudentag für die Linke Simone Barrientos
    Michael Czygan
    Aktualisiert am:
    03. Oktober 2020
    11:41 Uhr

    Als Jugendliche wurde sie von der Stasi bespitzelt. Warum die Abgeordnete aus Ochsenfurt zum Jahrestag der Einheit dennoch einen differenzierten Blick auf die DDR fordert.

    Seit 2017 sitzt Simone Barrientos für die Linke im Bundestag, sie ist kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die 56-jährige Politikerin ist in Neustrelitz in der DDR aufgewachsen. Ausgebildet als Elektrikerin und Gebrauchswerberin, kam Barrientos in der Wendezeit nach Berlin, wo sie unter anderem als Bauzeichnerin, Spanisch-Dolmetscherin und Verlegerin tätig war. 2014 zog sie nach Ochsenfurt (Lkr. Würzburg) und begann dort, sich bei der Linken parteipolitisch zu engagieren. Drei Jahre später wurde sie über die bayerische Landesliste in den Bundestag gewählt.

    Frage: Frau Barrientos, wo waren Sie am 3. Oktober 1990?

    Simone Barrientos: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich saß ich zuhause vor dem Fernseher und habe mich geärgert.

    Wie? War die Wiedervereinigung für Sie als Bürgerin der DDR kein Freudentag?

    Barrientos: Der Fall der Mauer am 9. November 1989, das war für mich und andere Oppositionelle in der DDR ein Tag zum Feiern. Aber diese Art der schnellen Vereinigung, die hat vielen, auch mir, nicht gefallen. Die Bundesrepublik wurde dem Osten einfach übergestülpt. Da wurde die Chance vertan, Errungenschaften der DDR für das gemeinsame Deutschland zu übernehmen.

    Die Mehrheit der DDR-Bürger sah das anders.

    Barrientos: Damals war das so. Aber im Rückblick fühlen sich doch viele Menschen im Osten über den Tisch gezogen. Ihre Lebensleistung zählte von einem Tag auf den anderen nichts mehr. Der Westen dominierte plötzlich alle Lebensbereiche. Eine bittere Erfahrung, die sich bis heute auswirkt. Löhne und Renten sind immer noch nicht überall gleich.

    „Vom gleichberechtigten Miteinander der Geschlechter in der DDR hätte der Westen einiges lernen können.“

    Simone Barrientos, Bundestagsabgeordnete der Linken
    Was hätten Sie von der DDR übernommen?

    Barrientos: Frauen zum Beispiel waren deutlich besser gestellt. Unter anderem waren Schwangerschaftsabbrüche legal. Gleichzeitig war die Kinderbetreuung gesichert. Es war selbstverständlich, dass Frauen arbeiten und wirtschaftlich unabhängig von ihren Männern sind. Vom gleichberechtigten Miteinander der Geschlechter in der DDR hätte der Westen einiges lernen können. Bis heute herrscht da Nachholbedarf.

    Als ehemalige Verlegerin und jetzt kulturpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag beklagen Sie den Kahlschlag der DDR-Kultur.

    Barrientos: Bücher aus dem Osten sind tonnenweise auf dem Müll gelandet. Das waren beileibe nicht nur marxistische und leninistische Schriften, großartige Literatur war darunter. Die Verlage aus dem Westen bestimmten von oben herab, welche Titel in die Regale der Buchhändler kamen. Uns hat keiner gefragt. Andere Branchen haben ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Es kommt nicht von ungefähr, dass es in den Spitzenpositionen der Wirtschaft und der Wissenschaft kaum Menschen gibt, die ostdeutsch sozialisiert sind.

    „Die DDR zu dämonisieren, wird der Lebensrealität vieler Menschen nicht gerecht.“

    Simone Barrientos, Bundestagsabgeordnete der Linken
    War denn die DDR für Sie ein Unrechtsstaat? Der Begriff ist in der Linkspartei bekanntlich umstritten.

    Barrientos: Keine Frage, in der DDR ist vielen Menschen ganz viel Unrecht geschehen. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auch ich durfte nicht studieren, weil mich die Stasi als „negativ dekadente Jugendliche“ charakterisierte. Stattdessen habe ich im Erstberuf Elektrikerin gelernt. Trotzdem wehre ich mich gegen Pauschalurteile, die so ein Etikett wie Unrechtsstaat mit sich bringt. Ich glorifiziere die DDR keinesfalls, es gab keine freien Wahlen, auch keine Meinungsfreiheit. Aber diesen Staat zu dämonisieren, wird der Lebensrealität der Menschen auch nicht gerecht. Ich plädiere für einen differenzierten Blick auf die ostdeutsche Gesellschaft. Trotz allem habe ich mir Freiräume erkämpft, ich war Teil einen lebendigen Subkultur. Vielen anderen ging es ähnlich.

    weiterlesen…

    https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/3-oktober-kein-freudentag-fuer-die-linke-simone-barrientos;art779,10507344

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