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Stern Reportage – Mossul

Erstellt von Redaktion am Freitag 14. April 2017

Die Geschichte einer Mutter,
die ihre Tochter rettete und ihren Sohn verlor

Al Barid, Mosul, Iraq - panoramio.jpg

Der Kampf um die IS-Hochburg Mossul nähert sich seinem Ende. Die mehrjährige Herrschaft der Islamisten hat eine vollkommen zerstörte Stadt hinterlassen und traumatisierte Menschen.

Von Raphael Geiger

Auf der staubigen Straße nach Bagdad steht eine Frau, die zu schnell alt geworden ist. Furchen ziehen sich durch ihr Gesicht, als hätte sich die Gewalt eingegraben, und ihre Augen sagen: Ich traue dir nicht.

Samira* ist von ihrem Haus in der Nähe gekommen, vorbei an der Stelle mit der Mine, die noch nicht entschärft ist, vorbei an all den Häusern, die ein amerikanischer Luftschlag in eine Schutthalde verwandelt hat, vorbei an der Leiche eines IS-Kämpfers, die sie liegen gelassen haben, damit jeder den Toten noch einmal treten kann, auf ihn spucken kann. Samira ist gekommen, weil sie Hunger hat. Sie ist jetzt 45 und eine Bettlerin.

Jeden Morgen kommt sie, steht eine Stunde lang an der Kreuzung oder zwei und hofft, dass die schiitischen Milizen mit ihren weißen Pick-ups kommen, mit Wasser und Olivenöl, Fladenbrot, Tomaten.

Was bleibt von dieser Stadt?

Hier, an der Kreuzung, begann einmal Mossul. Die Straße lag auf Samiras Nachhauseweg, früher, wenn sie vom Picknicken kam draußen im Grünen, am Tigris. Sie trug vielleicht ihre Sonnenbrille in den Locken, das Leben war leicht, sie würde am nächsten Morgen wieder in die Schule fahren und Englisch unterrichten.

Unwirklich weit weg hört sich das an, während sie im Staub steht in ihrem schwarzen Mantel und mehr schreit als spricht, sie klagt an, sie beschwert sich. Dann wird sie wieder leiser, als wäre ihr der Ton peinlich, als wollte sie die kultivierte Person in sich nicht vergessen. Sie will sich erinnern, wer sie war und wer sie noch immer gern wäre.

Und nicht diese Mutter, die ihren Sohn für ihre Tochter eintauschte, ein Leben gegen ein Leben – denn das war ihr Deal mit dem „Islamischen Staat“. Du willst deine Tochter zurück?, fragte der Richter, wie sich der IS-Mann nannte. Gut, wie viele Söhne hast du? Drei, antwortete Samira, einer ist noch klein. Gib uns einen der Söhne, sagte der Richter.

Der größte Teil von Mossul ist befreit, ist voller freier Menschen. Verstörter Menschen. Hungernder Menschen. Menschen, deren Leben wieder beginnen sollte, aber sie glauben an keinen Beginn. Wer kann, geht weg, es scheint absurd im Moment der Befreiung, aber viele sind skeptisch bis zur Hoffnungslosigkeit. Was soll hier noch werden?

Der Westen der Stadt, westlich vom Tigris, ist dichter besiedelt als der Osten. Den Osten befreiten die irakische Armee und die Anti-IS-Koalition noch im Januar, der IS zog sich zurück und machte den Westen zu einer Festung. Hier ist die Stadt gezeichnet vom Krieg. Man sieht, dass die Befreier schnell sein wollen. Es gibt Viertel, in denen steht kaum noch ein Haus. Es gibt Luftangriffe, bei denen Dutzende Menschen sterben, gerade in den letzten Tagen. Da war dieses Haus knapp hinter der Front, ein Fehler der US-Luftwaffe, eine Luft-Boden-Rakete. 130 Tote. Mindestens.

Samira trägt ein gelbes Kopftuch, als sie auf die Pick-ups mit Essen wartet, der IS ist vertrieben, sie muss nicht mehr ganz in Schwarz sein, sie darf auch ihr Gesicht zeigen. Schwarz, die Farbe, sagt Samira, sie mag sie nicht mehr sehen.

Freiheit ja – aber mit Schleier

Quelle : Der Stern >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle : Al Barid, Mosul, Iraq

 

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