Staatlicher Lebensschutz
Erstellt von Redaktion am Montag 25. Mai 2020
Was unterscheidet Corona-Opfer von Verkehrstoten?
Ein Gastbeitrag von Johannes Thumfart
In der Coronakrise hat der Staat den Schutz des Lebens über Wirtschaft und Freiheit gestellt. Konsequenterweise müsste er das auch in vielen anderen Bereichen tun.
Im Eiltempo kehrt der Alltag wieder ein in Coronadeutschland. Und mancher mag es scheinen, als erwache sie aus einem düsteren Traum. Hätte sich da nicht beinah unbemerkt unter den alltäglichen Quarantänesorgen ein politischer Paradigmenwechsel vollzogen.
Die Coronamaßnahmen haben einen Präzedenzfall für weitreichende staatliche Eingriffe im Namen der Gesundheit geschaffen. Nicht nur angesichts drohender weiterer Überwachung muss man sich fragen: Wie sieht das Verhältnis zwischen Rechtsstaat und Schutz des Lebens in Zukunft aus? Dem hohen Stellenwert, den die Bundesregierung dem Recht auf Leben während der Coronakrise einräumte, wird sie jedenfalls in anderen Bereichen nicht gerecht: etwa in der Umwelt- und Verkehrspolitik sowie bei der Bekämpfung von Altersarmut.
Kritiker der Coronamaßnahmen, zu denen ja weitaus nicht nur Aluhüte gehören, sondern führende liberale Intellektuelle wie Juli Zeh und Nida-Rümelin, verwiesen wiederholt auf den hohen Stellenwert der Freiheitsrechte im Grundgesetz und brachten ihren Unmut über die weitgehenden Beschränkungen zum Ausdruck.
Dem kann entgegengehalten werden, dass auch das Recht auf Leben ein Grundrecht ist – vielleicht sogar das wichtigste. Treffend bezeichnet es das Bundesverfassungsgericht als „vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“
Auf gut Deutsch: Ist man tot, hat man von seinen anderen Grundrechten nichts mehr. So gesehen könnte das Recht auf Leben tatsächlich „den Rang eines Trumpfes beanspruchen, dem sich im Konfliktfall alle anderen Freiheitsrechte zu beugen hätten“, wie der Philosoph Ottfried Höffe diese Idee karikiert.
Früher Schutz des Lebens vor dem Staat, jetzt durch den Staat
Das Problem ist hierbei keineswegs der Stellenwert des Rechts auf Leben, sondern dessen Absicht: Als Legitimation staatlicher Eingriffe war das Recht auf Leben eigentlich nicht vorgesehen. In der Regel wird es als ein individuelles Recht verstanden, das staatliche Eingriffe gerade beschränken soll. Laut Bundesverfassungsgericht stellt es sich „in betonten Gegensatz zu den Anschauungen eines politischen Regimes, dem das einzelne Leben wenig bedeutete und das deshalb mit dem angemaßten Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlosen Missbrauch trieb.“
Selbstverständlich leitet sich aus dem Recht auf Leben auch eine Schutzpflicht des Staats ab. Vollkommen neu ist aber, dass der Staat diese Schutzpflicht so interpretiert, dass er kollektiv und längerfristig Grundrechte zum Schutz des Lebens einschränkt. Zumal es sich bei dem damit geschützten Leben nicht um das konkrete Leben klar bestimmter Einzelner handelt, vielmehr geht es um die Abwendung eines kollektiven Gesundheitsrisikos. Der Staatsrechtler Uwe Volkmann höhnt von einem „Krankheitvermeidungsabsolutismus“.
Es mag für die tatsächlich sehr konkreten Opfer von Covid-19 und ihre Angehörigen zynisch klingen: Aber die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt sich angesichts der getroffenen Maßnahmen tatsächlich. Warum rechtfertigt ausgerechnet die Wahrscheinlichkeit, durch Corona zu sterben, derart weitgehende staatliche Eingriffe – und andere Risiken rechtfertigen diese nicht?
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
——————————————————————–
Grafikquellen :
Oben — US 29 (Columbia Pike) at Briggs Chaney Road, Fairland, MD, USA
Andrew Bossi – Eigenes Werk
Unten — Coughs and Sneezes – Husten und Nießen (Ministerium für Gesundheit (Spahn) — Erziehung in der Öffentlichkeit
Central Council for Health Education (publisher/sponsor), Ministry of Health (publisher/sponsor), Bateman, Henry Mayo (artist), Chromoworks Ltd, Willesden, London (printer), Her Majesty’s Stationery Office (publisher/sponsor) – http://media.iwm.org.uk/iwm/mediaLib//138/media-138605/large.jpg This is photograph Art.IWM PST 14158 from the collections of the Imperial War Museums.
- Gemeinfrei
- File:Coughs and Sneezes Spread Diseases Art.IWMPST14158.jpg
- Erstellt: zwischen 1939 und 1945 date
Erstellt am Montag 25. Mai 2020 um 12:52 und abgelegt unter Deutschland_DE, Gesundheitspolitik, International, Kriegspolitik, Regierung. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.