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Sprache und Paragraph 219a

Erstellt von Redaktion am Sonntag 10. Februar 2019

Es gibt kein „ungeborenes Leben“

File:Bundesarchiv B 145 Bild-F079098-0013, Göttingen, Demonstration gegen § 218.jpg

Kommentar von Waltraud Schwab

Die Sprache von Abtreibungsgegner*innen reduziert Frauen zum Container des Embryos. So gerät ihr Recht auf Selbstbestimmung in Gefahr.

Sie sind am Gewinnen. Gegner*innen des Schwangerschaftsabbruchs sind am Gewinnen. Nicht nur bleibt ihnen, wie die Abstimmung im Kabinett am Mittwoch zeigte, wohl der unsägliche Paragraf 219a erhalten, es sei denn die Sozialdemokrat*innen ignorieren den Fraktionszwang. Sonst wird Paragraf 219a weiterhin dafür sorgen, dass Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch brauchen, von Pontius zu Pilatus rennen müssen, nur um adäquate Informationen zum Abbruch zu bekommen. Und auch die Abtreibungsgegner*innen können ihn weiterhin benutzen, um Ärzte und Ärztinnen, die Abbrüche anbieten, anzuzeigen.

Nicht nur das also haben die Abtreibungs­gegner*innen erreicht, vielmehr können sie sich auch auf die Fahnen schreiben, dass ihre Phrasen in den Sprachgebrauch hineingewachsen sind wie Schimmelpilz.

Der Begriff „ungeborenes Leben“ hat sich breit gemacht. Die Wörter „Lebensschutz“ und „Lebensschützer“ wiederum sind für anderes als die Abtreibungsdebatte nicht mehr zu gebrauchen. Keine Talk-Show zum Thema, in der solche Wörter nicht fallen. Leute jeglicher Couleur benutzen sie, ohne die Hände in die Luft zu strecken und mit Zeige- und Mittelfinger zwei Häkchen zu machen, soll heißen: alles nur in Anführungsstrichen, jetzt werden die Abtreibungsgegner*innen selbst zitiert. Auch wird nicht mehr so oft wie früher das „sogenannt“ vorangestellt. Stattdessen werden die Begriffe einfach dahergesagt; sie sind griffig, eingängig, anschaulich auch.

Hier ein paar Beispiele neueren Datums aus deutschen Leitmedien:

– „Wie viel Schutz braucht ungeborenes Leben?“ lautete der Titel einer Sendung in der ARD.

– „Hadern Sie manchmal mit der Tatsache, dass Sie bei einem Abbruch ein ungeborenes Leben beenden?“ fragte ein Journalist auf Spiegel Online eine Frauenärztin.

– „Vor allem das Hormon Progesteron sorgt dafür, dass die Schleimhaut und das ungeborene Leben, das darin (in der Gebärmutter) nistet, nicht abgestoßen werden“ steht in einem Artikel auf zeit.de, der über medikamentöse Abbrüche informiert.

– „Mehr Schutz für ungeborenes Leben?“ titelte die FAZ in einem Artikel über Pränataldiagnostik.

In der Frankfurter Rundschau wiederum war zu lesen: „Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete der Grünen, nannte den Marsch eine „Anti-Choice-Bewegung“ und bezweifelte gar, dass es dabei wirklich um Lebensschutz gehe“. (Mit Marsch ist der sogenannte „Marsch fürs Leben“ gemeint, den die Abtreibungsgegner*innen jährlich, riesige Kreuze tragend, in unterschiedlichen Städten veranstalten.)

– Bei der Talk-Show von Anne Will zum Paragrafen 219a am vorigen Sonntag, 3. Februar, benutzten vier von fünf Teilnehmer*innen die Begriffe immer mal wieder. Die einen, weil man sie eben so sagt, und einer, „der Lebensschützer“, weil er sie so sagen will.

„Ungeborenes Leben“ wird synonym für Fötus, für Embryo benutzt. Wer die Phrase verwendet, verwischt Gegensätze. Geboren. Ungeboren. Alles gleich. Zudem wird das Wort „Leben“ in dem Zusammenhang, in den Abtreibungsgegner es stellen, nur für Menschen gemeint. Die selbsternannten „Lebensschützer“ setzen sich demnach exklusiv für den Homo sapiens ein. Am liebsten den ungeborenen.

Phrase ohne biologische Grundlage

Nicht nur ihr Lebensbegriff ist begrenzt, ihr Schutzbegriff auch. Der ist eine Lobbyveranstaltung für eine einzige Lebensform: die Embryos im Uterus der Frau. Als „Speziesismus“ bezeichnet die Humanbiologin Marianne Christel diese enge Verwendung des Begriffes Leben. „Sie betreiben den Ausschluss der Kosmologie, den Ausschluss der Komplexität des Lebens“, sagt sie am Telefon.

Werden Worte wie „Lebensschutz“ aber erst einmal nur noch auf Föten bezogen, was sollen jene dann sagen, die offenere Vorstellungen von Leben haben, das es zu schützen gilt?

Gegner*innen von Schwangerschaftsabbrüchen haben auch das schon im Blick, wenn sie Leute, die „Lebensschutz“ als umfassenderes Konzept verstehen, anfeinden: „Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos. Aber in der Debatte wird manchmal gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht.“ Wer das sagte? Jens Spahn, der Gesundheitsminister. Was er meinte: Tierschützer, die die staatliche Gängelung beim Schwangerschaftsabbruch abgeschafft sehen wollen, sind Scheinheilige. (Unklar, wie er gerade auf Tierschützer kommt. Vielleicht meinte er Umweltschützer und zielte damit auf die Grünen.)

Wie aber konnte es passieren, dass diese Phrase „ungeborenes Leben“ so ungefiltert ins Sprachbewusstsein gewandert ist, wo doch noch nicht einmal die Biologie eine verbindliche Erklärung für „Leben“ hat?

„Eine eindeutige, allgemein akzeptierte Definition des Lebens gibt es nicht“, steht in einem Artikel der Max-Planck-Gesellschaft zur Synthetischen Biologie. Es werden darin allerdings Schlüsselmerkmale genannt, die Leben kennzeichnen. Lebewesen müssen unter anderem aus mindestens einer umschlossenen Zelle bestehen, in der biochemische Lebensvorgänge stattfinden, wie etwa ein genetischer Bauplan mit Programm, sie müssen einen Stoffwechsel haben, Energie verbrauchen, sich vermehren und wachsen.

„Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Köpfe.“

Sind Krebszellen also Leben? Sind Spermien Leben? Die Humanbiologin Marianne Christel sagt zuerst ja. Und dann nein. Die Pressesprecherin der Max-Planck-Gesellschaft sagt, „wenn man es gegen einen Stein setzt, ist es Leben. Aber niemand würde sich in der Max-Planck-Gesellschaft eine Definitionshoheit anmaßen.“

Quelle      :         TAZ        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —         Göttingen, Demonstration gegen § 218 Info non-talk.svg

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Attribution: Bundesarchiv, B 145 Bild-F079098-0013 / CC-BY-SA 3.0

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Unten      —          Women’s March on Washington, Februar 2017

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