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Erstellt von Redaktion am Sonntag 7. Oktober 2018

Woher kommt die Lust auf Gewalt?

Von Jenni Zylka

Und was hat „Game of Thrones“ mit den Ausschreitungen in Chemnitz zu tun? Unsere Autorin hat darüber nachgedacht und Antworten in der Jungsteinzeit gefunden, der Filmwissenschaft und der Psychologie.

Während Königin Daenerys Targaryen auf ihrem Drachen über das Schlachtfeld braust, kämpfen unten die Lannister-Männer gegen das Reitervolk der Dothraki. Blut spritzt aus durchgeschnittenen Hälsen, Körper werden von Speeren durchbohrt, sichelförmige Schwerter hacken Arme ab.

Die Fantasy-Serie „Game of Thrones“ ist extrem erfolgreich, insgesamt hat sie in den vergangenen Jahren 255 unterschiedliche Fernsehpreise gewonnen. Einige Folgen habe ich mehr als einmal gesehen: Zunächst freiwillig, zu Hause, aus Interesse. Und dann im Rahmen von „Programmprüfungen“ bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), für die ich ein paar Wochen im Jahr Fernsehinhalte unter Jugendschutzkriterien evaluiere. Private Fernsehsender lassen bei der FSF die Filme und Serien, die sie zeigen, regelmäßig durch einen Ausschuss prüfen. Der Antrag auf Altersfreigabe entscheidet darüber, ob der Film im Tages-, Abend- oder Nachtprogramm läuft.

Bei einer solchen Prüfung sitzen wir PrüferInnen gemeinsam in den Räumen der FSF, gucken in die Röhre, die schon lange keine mehr ist, und bewerten die Filme nach so genannten „Wirkungsrisiken“: Kann ein Programm entwicklungsbeeinträchtigend sein, weil es zum Beispiel übermäßig ängstigend auf Kinder wirkt, es also zum Beispiel in ihrer direkten Lebenswelt spielt, in die eine Gefahr eindringt, die sich nicht überwältigen lässt? Oder weil es sozialethisch desorientierend für sie ist, wenn etwa riskantes, antisoziales, ungerechtes Verhalten positiv dargestellt wird?

Bei Szenen wie der oben beschriebenen aus „Game of Thrones“, in der Kampfszenen schick wie Ballettchoreos daherkommen, wird auch das Risiko der „Gewaltförderung“ beurteilt: Nutzen positiv charakterisierte ProtagonistInnen vor allem oder ausschließlich Gewalt, um das zu bekommen, was sie wollen? Ist diese Gewalt ästhetisiert – spritzt das Blut etwa in Slow-Motion aus den Hälsen, hat der Kampf etwas Stilisiertes, wirken die Geräusche von zersplitternden Knochen und Metallklingen im Fleisch besonders laut und vordergründig? Sieht man das Opfer aus der Täterperspektive?

Hat Gewalt ein Geschlecht?

Mit Gewalt habe ich nicht nur bei der Arbeit als FSF-Prüferin zu tun. Reelle, nicht-fiktionale, körperliche Gewalt erlebe ich, erleben wir alle täglich aus der Distanz. Über die Medien, etwa wenn Hunderte größtenteils männliche junge Menschen Böller gegen das Haus des „Drachenlords“ in Mittelfranken werfen, um ihren Hass gegen den Mann, der im Netz immer wieder durch misogyne und rassistische Kommentare aufgefallen ist, auch real auszuleben. Oder wenn Männer (und wenige Frauen) in Chemnitz oder anderen Städten nicht-weiße Menschen zusammenschlagen. Überhaupt bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung, von der ich höre, bei jeder Schlägerei, die ich sehe, jedem Gewaltverbrechen, über das ich lese. Am eigenen Leib erlebe ich seltener Gewalt, eher ihre Vorstufe, die Aggression: Wenn mich ein Autofahrer mit rotem Gesicht aus dem Autofenster anbrüllt, weil er nicht gesehen hat, dass für mich als Radfahrerin noch die Grünphase gilt. Wenn ich bei überfüllten Konzerten versuche, mit dem Bierbecher in meine Reihe zurückzukehren, und Männer auch nach einem freundlichen „Entschuldigung?“ ihre Ellenbogen in meinen Körper drücken. Als Kind habe ich ebenfalls körperliche Gewalt erlebt, durch meine Familie.

File:Game of Thrones cast (14118396526).jpg

Seitdem frage ich mich, wie sie zustande kommt. Was sie ist und wofür sie gut ist: Ist sie nur „ein stummer Schrei nach Liebe“, wie die Ärzte singen? Hat sie ein Geschlecht? Entstammt sie der Angst? Oder der Gier? Oder den Hormonen? Kann sie ein Blitzableiter sein, noch Schlimmeres verhindern? Gehört sie zu einem „natürlichen“ Auf-und-Ab, wie die so genannten Kliodynamiker behaupten, die sich mit dem mathematischen Modellieren von historischen Entwicklungen beschäftigen?

Und wenn sie doch so schlimm ist, diese Gewalt – wieso feiern wir sie in der Fiktion derartig ab? Werden immer realistischer in unseren Gewaltdarstellungen, lassen neuerdings vermehrt Frauen zuschlagen, choreografieren die Kampfszenen elegant wie Tänze? Warum erregt uns Gewalt, fasst uns emotional an? Mein innerer Film- und Fernseh-Nerd fragt die Jugendschützerin in mir zudem regelmäßig voller Bammel: Stimmt es, was gewalthaltigen Formaten – und Video- und Computerspielen ohnehin – übel nachgesagt wird, dass diese sogar Gewalt triggern können?

Der 1980 verstorbene Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Erich Fromm hat zu dem Thema 1973 ein Buch herausgebracht, das als Standardwerk der Gewaltforschung gilt. Es heißt „Anatomie der menschlichen Destruktivität“, und er definiert darin verschiedene Arten der Aggression, gutartige und bösartige. Eine „konformistische“, die aus Gehorsam passiert – der Pilot, der keinen wirklich aggressiven Akt vollbringt, wenn er in seinem Flugzeug den Knopf für die Bombenklappe drückt, dennoch ist seine Bombardierung der Stadt ein Akt der Gewalt. Und eine „instrumentelle“, die als Mittel zum Zweck gilt – man schadet jemandem, weil man etwas will, was er oder sie gerade hat.

Fromm kennt die „Pseudoaggression“, die Schaden anrichten kann, ohne dass eine Absicht dazu besteht – dazu zählt er die „spielerische Aggression“, und findet sie in Sportarten wie Fechten oder Schwertkampf. Die „Aggression als Selbstbehauptung“ gehört laut Fromm ebenfalls zur „Pseudoaggression“, und nur bei ihr besteht angeblich einen Zusammenhang zum Geschlecht.

Sind Männer gewalttätiger als Frauen? Bereits in den vierziger Jahren hat ein Forscher namens Edward A. Beeman Tierversuche durchgeführt, bei denen kastrierte Ratten, denen das Testosteron entzogen wurde, weniger Kampfeslust an den Tag legen.

Erich Fromm fragt in seinem Buch rhetorisch: „Welche biologische Funktion könnte ein feindseliges, den weiblichen Partner schädigendes Verhalten des männlichen Partners haben?“ Und antwortet, dass es sich bei der von ihm so genannten, vor allem männlich konnotierten „Aggression als Selbstbehauptung“ eben nicht „um ein an sich feindseliges oder angriffslustiges Verhalten“ handelt, sondern „um eine Aggression, die dazu dient, dass man sich durchsetzt“. Durchsetzen müsse sich der Mann unter anderem, weil „die anatomischen und physiologischen Bedingungen der Sexualfunktion des Mannes erfordern, dass der Mann fähig ist, das Hymen zu durchstoßen, und dass er nicht durch Angst, Zögern (…) davon abgehalten wird“.

File:Klis - Game of Thrones 1.jpg

Diese Worte enthalten fraglos ein Verständnis von „aktiver“ männlicher und „passiver“ weiblicher Sexualität, das nicht nur prinzipiell überholt ist, sondern das auch Gefahr läuft, von Männern ausgeübte, sexuelle Gewalt psychologisch und biologistisch zu entschuldigen. Als Feministin sträuben sich mir dabei sämtliche Achselhaare. Doch Fromm hatte das vorausgesehen. Er schreibt: „Da die zur Selbstbehauptung dienende Aggression die Fähigkeit des Menschen, seine Ziele zu erreichen, erhöht, vermindert sie beträchtlich das Bedürfnis, den anderen auf sadistische Weise zu beherrschen“. Mit anderen Worten neigt jemand, der zufrieden ist, weil er ein Ziel erreicht hat, etwa durch seine besonders starken „zur Selbstbehauptung dienenden“ Aggressionen, seltener dazu, anderen Schaden zuzufügen. Fromm trennte also schon damals die sexuelle Gewalt, die er dem „destruktiven, sadistischen Charakter“ zuordnet, von der Sexualität – genau wie wir nicht erst seit #metoo wissen, dass sexueller Missbrauch vor allem Machtverhältnisse wiedergibt. Auch wenn manche TäterInnen qua anatomischem Unterschied, etwa größerer Muskelmasse, öfter von ihr Gebrauch machen als andere, kennt Gewalt, so scheint es, vielleicht doch kein Geschlecht. Dass unterm Strich sowohl bei der sexualisierten als auch bei jeder anderen körperlichen Gewalt Männer den weitaus größeren Täteranteil stellen, liegt nach dieser Argumentation schlichtweg daran, dass sie es können. So banal das klingt.

Quelle     :        TAZ          >>>>>         weiterlesen

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Oben     —

2.) von Oben       —        Game of Thrones cast

Source Game of Thrones cast
Author Chris Favero from USA
w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.

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Unten     —        Game of Thrones set on Klis fortress

Quelle Eigenes Werk
Urheber Ballota
w:de:Creative Commons
Namensnennung Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.

 

 

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