SPD – Die Richtung stimmt
Erstellt von Redaktion am Sonntag 21. Februar 2021
Ist die SPD noch zu retten?
Ein Interview von Jochen Bittner und Tina Hildebrandt mit Nils Heisterhagen und Ralf Stegner
Nicht, wenn sie weiter die Interessen der Arbeitnehmer geringschätzt, sagt der junge Parteirebell Nils Heisterhagen mit Blick auf das Superwahljahr. Doch, die Richtung stimmt, entgegnet der Parteilinke Ralf Stegner: In die Mitte zu rücken käme für die SPD einem Rechtsruck gleich.
DIE ZEIT: Herr Heisterhagen, Ralf Stegner kandidiert im Herbst für den Bundestag, weil er helfen will, die traditions- und mitgliederreichste Partei Deutschlands aus ihrem 15-Prozent-Umfragekeller herauszuholen. Steht Herr Stegner für die Lösung oder eher für das Problem der SPD?
Nils Heisterhagen: Erst mal Glückwunsch, dass du dich durchgesetzt hast, Ralf. Aber ich finde, die Generation, die seit 20, 30 Jahren Verantwortung trägt, muss jetzt mal den Umbruch zulassen. Was willst du denn anders, neu machen?
Ralf Stegner: Neu ist eine Kategorie für Journalisten. Für mich ist das nicht die entscheidende Frage, denn die Grundwerte der Sozialdemokratie – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – sind nicht neu, aber immer noch richtig. Mich interessiert, wie wir die so umsetzen, dass wir aus dem 15-Prozent-Tief rauskommen.
Heisterhagen: Laut einer Civey-Umfrage antworten auf die Frage „Welche Partei hat die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft?“ 33 Prozent mit „CDU/CSU“. Die Grünen kommen auf 20 Prozent, die SPD erreicht nur 11,3 Prozent. Offenbar ist in den letzten Jahren viel schiefgelaufen. Ich kann das gerne fortsetzen (blättert). „Welche Partei hat die meiste Wirtschaftskompetenz?“ CDU/CSU: 48,3, SPD: 12,1 Prozent. „Vertritt die SPD Ihrer Meinung nach die Interessen von Industriearbeitern ausreichend?“ Eher nein: 26,8 Prozent. Nein, auf keinen Fall: 36,5 Prozent!
ZEIT: Die dänischen Sozialdemokraten sind erfolgreicher. Sie gewinnen Wahlen mit Forderungen wie: Einwanderung reduzieren, Sozialleistungen für Geflüchtete stärker von deren Leistungen abhängig machen und eine Kita-Pflicht in Migrantenvierteln.
Stegner: Eine Menge Ratschläge an die SPD lassen sich auf den Nenner bringen: Sozialpolitisch ein bisschen nach links und gesellschaftspolitisch ein bisschen nach rechts rücken, bitte. Aber das Beispiel der dänischen Sozialdemokraten insbesondere in der Flüchtlingspolitik ist für uns kein taugliches Modell. In Deutschland, das war vor einem Jahr wieder in Thüringen zu sehen, ist die SPD die einzige Partei, auf die man sich verlassen kann, wenn es darum geht, keine gemeinsame Sache mit den Rechten zu machen.
Heisterhagen: Dänemark ist dein direktes Nachbarland als Schleswig-Holsteiner. Bist du da mal hingefahren?
Stegner: Wahrscheinlich öfter als du! Die Entscheidung der dortigen Sozialdemokraten, sich teilweise stark nach rechts zu bewegen, halte ich dennoch für falsch. Anstatt Ressentiments zu bedienen, könnte man zum Beispiel auch Kommunen unterstützen, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, und damit Druck aus der Debatte nehmen.
Heisterhagen: Ralf, die Genossen in Dänemark sind nicht nach rechts gerückt, sondern sie haben die Mitte besetzt. Ihre Art der Gesellschaftspolitik war unter einem Bundesinnenminister Otto Schily um die Jahrtausendwende noch Mainstream in der SPD.
Stegner: Otto Schily war nie Mainstream in der SPD. Ich will nicht bestreiten, dass er manches gut gemacht hat. Aber ich war selbst Landesinnenminister; man kann auch eine realistische und humanitäre Politik machen – ohne Sprüche, die sich an den rechten Populismus anlehnen. Und was heißt überhaupt Mitte? Peer Steinbrück und andere haben gesagt, wir müssten uns in diese Mitte bewegen. So erfolgreich war das ja nun auch nicht.
Heisterhagen: Diese Mitte-Politik, oder wie man sie nennt, war auf jeden Fall realistisch – die Vorbedingung von Erfolg. Von Kurt Schumacher stammt der Satz: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Wer damit anfängt, muss zugeben: Erstens, die Lage der SPD ist desaströs. Zweitens, ihre Positionen kommen in der Bevölkerung nicht an. Drittens, es gibt Probleme, über die zu wenig gestritten wird.
ZEIT: Könnten Sie da konkret werden?
Heisterhagen: Die digitale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist eine Katastrophe. Wir haben einen Fachkräftemangel, über den kaum noch jemand redet. Es fehlt an Ingenieurnachwuchs. Wir haben ein Riesenproblem mit Armut und Leuten mit Abstiegsängsten, für die die herkömmlichen Mittel der Sozialpolitik nicht ausreichen. Wir haben fünf Jahre nach 2015 keinen Konsens in der Migrationspolitik
ZEIT: Uns fällt noch etwas auf: Schon vor der Corona-Krise wurde immer lauter über Solidarität diskutiert, über ökologische Gerechtigkeit, über die bessere Verteilung von öffentlichen Gütern – alles sozialdemokratische Themen. Wie kommt es, dass die SPD es so gar nicht schafft, mit diesem Zeitgeist in Verbindung gebracht zu werden? Das ist ein bisschen so, als würden alle über die Umwelt sprechen und niemand über die Grünen.
Heisterhagen: Die SPD geht momentan den Kurs der linksidentitären Grünverzwergung, indem sie die Grünen kopiert und versucht, die Unterschiede mit ein bisschen Sozialem und ein paar fancy Sprechblasen aufzupimpen. Sie hat kein strategisches Verständnis mehr von Solidarität und Materialismus. Eine sozialdemokratische Metaphysik des Gemeinwohls, das ist es, was fehlt.
„Man soll durchaus eine populäre Politik betreiben“
Stegner: Ökologische Gerechtigkeit können und müssen wir besser ausbuchstabieren, ja, weil wir anders als andere Parteien die Klimaschutzziele in Verantwortung für Arbeitsplätze erreichen wollen. Der sozialökologische Umbau der Industriegesellschaft darf nicht als Privilegiertenprojekt für gut verdienende Ökos enden. Und wer nach der Corona-Krise nicht begreift, dass Krankenhäuser nicht privaten Renditeinteressen unterliegen dürfen, dem ist nicht zu helfen. Kinderkrebs- oder Intensivstationen rechnen sich betriebswirtschaftlich genauso wenig wie die Feuerwehr, gehören aber für uns Sozialdemokraten zu einer starken, öffentlich zu finanzierenden Daseinsvorsorge. Und was den Materialismus angeht: Es ist die SPD, die einen Mindestlohn erreicht hat. Faire Lastenverteilung, darum geht es uns. Das erreichen wir aber nicht mit Sprüchen wie: Ihr müsst mehr in die Mitte rücken oder die Realität zur Kenntnis nehmen.
Heisterhagen: Es zeichnet dich übrigens aus, dass du dich mit deinen Positionen der Debatte stellst. Das unterscheidet dich von der Parteivorsitzenden, die die Einladung der ZEIT zu diesem Streitgespräch ausgeschlagen hat.
ZEIT: Saskia Esken hatte zuvor in der ARD erklärt, Sie nicht zu kennen. Hat Sie das geärgert?
Heisterhagen: Es hat mich nicht gewundert. Als Parteichefin sollte man allerdings versuchen, auch Kritiker ins Boot zu holen. Unsere Parteivorsitzende denkt anscheinend: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Auf der Linken der SPD ist das gang und gäbe. Die wollen am liebsten, dass die Partei-Rechten den Mund halten.
Die SPD geht einen linksidentitären Kurs
Quelle : Zeit – online >>>>> weiterlesen
*********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 9. Mai 2019 in Berlin.