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Sind wir alle Bodo?

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 31. Oktober 2019

Zum Ausgang der Wahl in Thüringen

Quelle     :         Scharf   —   Links

Kommentar  von systemcrash

Die Wahlergebnisse von Thüringen sind schon in mehrfacher Hinsicht ein Hammer! Ich bin kein Wahlanalyst und werde daher nur auf die Aspekte eingehen, die mir politisch am interessantesten erscheinen.

1.) Leider muss ich mit der AfD beginnen: 23,4% sind ein Wert, der einfach nicht mehr ignorierbar ist. Und das mit Björn Hocke als ausgewiesener Vertreter des rechten, völkischen Flügels. Wenn sich die AfD auf dieser Höhe der Stimmen stabilisieren kann (was keineswegs sicher ist) dann wird über kurz oder lang die ‚Koalitionsfrage‘ gestellt werden (müssen), weil anders dann Regierungsbildungen von den Stimmenverteilungen her nicht mehr möglich sind.

2.) Die 8,2% für die SPD sind redlich verdient für diese Partei. Ob sich bei diesem Ergebnis auch der GroKo-Faktor mit auswirkt, kann ich nicht sagen (ist aber zu vermuten). Das gleiche gilt für die 21,8% für die CDU: ob sich hier mehr die Landespolitik ausgewirkt hat oder die Bundespolitik dürfte nur schwer zu ermitteln sein. Insgesamt scheint es mir aber nicht falsch zu sein, die Thüringen-Wahl als ‚Klatsche‘ für die Groko zu bezeichnen, auch wenn Ursachen und Wirkungen vlt. etwas differenzierter zu analysieren wären.

3.) Kommen wir zur ‚Bodo-Partei‘. Gestern postete die LINKE auf einer ihrer facebook-seiten: „heute sind wir alle Bodo“. Dabei bleibt unklar, ob damit die gesamte Bevölkerung (von Thüringen) gemeint ist oder die gesamte LINKSPARTEI. Aber egal, wie es gemeint ist, der Spruch wird in keiner Bedeutung wirklich besser!

Natürlich sind die 31% für die LINKE ein starker Erfolg, und von daher ist die innerparteiliche Freude darüber auch bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt (zumal vorher schwere Mißerfolge bei Wahlen eingefahren wurden). Aber ab hier muss man abrupt mit einer Auflistung der Wermutstropfen beginnen:

a) Der Erfolg der AfD ist sehr ernstes Warnsignal, über das auch der Erfolg der LINKEn nicht hinwegtäuschen kann. Thies Gleiss vom ‚linken Flügel‘ der PDL schreibt in einem facebook-Kommentar:

„Es gibt ja auf LINKE-Führungsebene vor Schließung der Wahllokale immer ein besonders bescheuertes Schmankerl: Das Karl-Liebknecht-Amt (wer genau weiß ich nicht) verbreitet an die Spitzenfunktionäre der LINKEN sogenannte „Sprachregelungen“, wie die jeweils möglichen Wahlergebnisse kommentiert werden sollen. Das beginnt dann immer mit Danksagungen an Wähler*innen und Wahlkämpfer*innen und endet mit verschiedenen Varianten, den Ausgang der Wahlen speziell für die LINKE positiv darzustellen. Bisher habe ich dieses Ritual mit kopfschüttelndem Schweigen begleitet. Aber heute will ich mich ausdrücklich und lautstark gegen eine dieser vorgeschlagenen Sprachregelungen zur Wehr setzen.
Ginge es nach diesen Vorgaben soll nämlich nicht „von uns aus auf das Ergebnis der AfD“ eingegangen werden. Dazu ein dickes und unmissverständliches Nein!“

b) Bodo Ramelow hat einen stark personenbezogenen Wahlkampf geführt, der voll auf den Landesvater-Bonus gesetzt hat und programmatische Polarisierungen quasi neutralisiert (um nicht zu sagen: eliminiert) hat. Der Spruch „Ihr könnt mich gleich mit der Stimme für drei Parteien wählen“ ist dafür symptomatisch. Dass er mit Plakaten geworben hat, die nur sein Konterfei zeigten ohne den Schriftzug ‚die LINKE‘ ist dann natürlich konsequent. Dass diese Art ‚Wahlkampf‘ aber entpolitisierend ist und wirkt, obgleich das Interesse der Wähler stark war, diese Überlegungen spielen wohl in der LINKE eher eine untergeordnete Rolle (wenn überhaupt). Dass man aber auf diese Weise (zumindest langfristig) der AfD dazu verhilft, sich als ‚einzige Opposition‘ zu gerieren, darüber wäre es aber schon wert zu reflektieren.

Im Blog der Tagesschau heisst es heute in einem Kommentar:

[Bodo Ramelow] „hat trotz seiner Partei die Landtagswahl gewonnen – nicht wegen ihr.“

Besser könnte ich es auch nicht sagen. 😉

Der oben zitierte Kommentar von Thies Gleiss ist überschrieben mit: „ERFOLGREICHE UMGRUPPIERUNG SOZIALDEMOKRATISCHER WÄHLER*INNEN“. Nun, der Ausdruck ‚Umgruppierung‘ klingt ein bisschen bombastisch (mit Umgruppierungen sind eigentlich im innerlinken Diskurs Spaltungs- und Fusionsprozesse von linken Gruppen  [in der Regel eher ‚kleiner‘ Organisationen] gemeint). In diesem Zusammenhang geht es aber ’nur‘ um die ‚Stimmen-Umverteilungen‘ oder wie es so schön in den Wahlberichterstattungen heisst ‚Wählerwanderungen‘.

Dass der Wahlkampf von Ramelow ’sozialdemokratisch‘ war (bestenfalls!), da könnte ich ja noch mitgehen. (Wobei die Landesvater-Attitüde [„Ich kenne fast jede Milchkanne„] schon auch einen stark populistischen Zug an sich hat). Ob aber alle Stimmen von SPD- und Grünen-Anhängern, die jetzt Ramelow gewählt haben, als ‚reformistisch‘ zu werten sind, da würde ich aber ein ganz dickes Fragezeichen setzen wollen!

Wenn es also eine ‚Umgruppierung‘ gab, dann die, dass sich die ‚Mitte‘ diesmal (und da dürfte Thüringen tatsächlich ein Ausnahme-Einzelfall sein) in der LINKEn gefunden hat; und das hätte ohne die dramatis personae in Gestalt von Bodo Ramelow nicht stattfinden können. Wenn also die PDL schreibt: „wir sind alle Bodo“ dann heisst das eigentlich ‚wir sind ein (legitimer) Teil der politischen Mitte‘. Natürlich würden das nicht alle PDL-Mitglieder auch so sagen (jedenfalls nicht der ‚linke Flügel‘), aber zumindest die Parteiführung lanciert diesen politischen Kurs. Und in Hinblick auf das immer noch angestrebte R2G-Projekt macht das auch Sinn.

Resümee

Offensichtlich hat der ‚Bodo-Faktor‘ die Koordinaten (scheinbar) nach ‚links‘ verschoben, während die AfD NOCH die Schmuddelkinder sind. Sollten die Wahlergebnisse für die AfD aber so bleiben, wie sie sind, wird sich das nicht lange halten (‚Koalitionsfrage‘). Das Gedränge in der ‚Mitte‘ wird dann unübersehbar … und die politischen Inhalte so beliebig, dass von dem Kampf um Interessen (worum es eigentlich in der Politik geht) nur noch eine technokratische Machbarkeit übrigbleibt. Und selbst bei einer gesteigerten Politisierung der Öffentlichkeit bleibt der wahre Sieger bei Wahlen in systemischer Hinsicht das TINA-Prinzip (es gibt keine Alternativen). Dieses stand aber weder in Thüringen noch sonst wann je relevant zur Debatte.
Dass aber der Schoß des Faschismus aus der ‚Mitte‘ selbst mitverursacht fruchtbar wird und bleibt, – diese Erkenntnis bleibt gerne verdrängt.

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ (Max Horkheimer)

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Grafikquelle      :           Scharf-Links     –    Bildmontage: HF

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