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Erstellt von Redaktion am Sonntag 12. November 2017

Immer wieder werden Flüchtlinge in ihren Unterkünften

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…….  vom Wachpersonal misshandelt, bedroht und erniedrigt. Für die Täter hat das so gut wie keine Konsequenzen

Von Pascale Müller und Yasmin Polat

Es ist der Morgen des 31. Dezember 2016 in der Erstaufnahmeeinrichtung Hamburger Straße in Dresden. Argjent Mehmeti schläft, als drei Sicherheitsmänner das Zimmer seiner Familie betreten wollen. Mehmetis Frau ist noch nicht angezogen. Ihr Mann drückt die Tür zu, die Männer sollen sie nicht halbnackt sehen.

Dabei werden die Angeln der Tür beschädigt, die Sicherheitsmitarbeiter machen Mehmeti dafür verantwortlich. Er soll die Unterkunft sofort verlassen, Mehmeti weigert sich. Die Wachmänner bedrohen ihn, sie hätten gesagt „Ich mach dich gleich kaputt, was willst du machen?“, erinnert sich Mehmeti.

Er erstattet Anzeige. „Das Schlimme ist“, sagt er heute, „so was habe ich von Deutschland nie gedacht. Die Wachmänner sind organisiert und verdienen zu viel Geld. Deswegen macht da keiner was.“

Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in der Unterkunft. Auf einem Handyvideo von Dezember 2016 ist zu sehen, wie Sicherheitsangestellte nachts Bewohner über den Hof jagen, sie verprügeln. Ein anderes Video vom Oktober 2015 zeigt, wie Wachpersonal einen Asylbewerber tritt und schlägt. Ohne im Video ersichtlichen Grund nehmen sie den Mann in den Schwitzkasten und drücken ihn zu Boden.

Zwei Jahre nach dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise ist es um die Unterbringung Asylsuchender in Deutschland stiller geworden. Je weniger Menschen kommen, desto weniger wird über sie berichtet. Doch in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften kommt es weiterhin regelmäßig zu Körperverletzungen durch Sicherheitskräfte, zu Bedrohungen, manchmal gar zu Misshandlungen. In Berlin stehen Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen im Verdacht, Geflüchtete in die Prostitution vermittelt zu haben, um mit der Zuhälterei zu verdienen. In den seltensten Fällen zeigen die Bewohner einer Unterkunft das Wachpersonal an. So wird es noch stiller. Die taz hat deutschlandweit 20 Fälle analysiert, über einige wurde bereits berichtet, andere sind neu, so wie der von Argjent Mehmeti. Es geht um Drohungen, Misshandlungen, um zu wenig Personal, miserable Bezahlung von Mitarbeitern und fehlende Kontrollen durch Kommunen und Länder. Zusammen ergeben sie ein besorgniserregendes Bild.

Der Betreiber der Dresdner Unterkunft, in der Argjent Mehmeti, seine Frau und seine kleine Tochter gelebt haben, ist zum Zeitpunkt der Drohungen das Deutsche Rote Kreuz. Die Sicherheitsfirma ist vom Land Sachsen beauftragt.

Aus der Landesdirektion Sachsen heißt es auf die Frage, was nach der Situation an der Tür passiert sei: „Der Vorfall wurde im Anschluss mit allen Beteiligten ausgewertet.“ Die Sicherheitsfirma, Ihre Wache GmbH, ist weiterhin für die Unterkunft zuständig. Eva Wagner, Pressesprecherin von Ihre Wache schreibt: „Mit den betreffenden Personen wurden im Rahmen der Auswertung umfangreiche Gespräche geführt.“ Die Zimmer hätten aus brandschutzrechtlichen Gründen durchsucht werden müssen, der Betreiber habe dies angeordnet.

Bezüglich den Gewaltvideos schreibt Wagner, Ihre Wache könne anhand der Beschreibung keine bekannten Vorfälle zuordnen. Zu personalrechtlichen Konsequenzen werde man aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellung nehmen. In derselben Mail droht Ihre Wache, „aus allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten“ gegen die taz vorzugehen, sollte sie Videos oder Sprachaufnahmen veröffentlichen.

Bei der weiteren Recherche stößt die taz auf Unterkünfte im brandenburgischen Finsterwalde, die von dubiosen Berliner Briefkastenfirmen betrieben wurden. Auf ein laufendes Verfahren gegen zehn Mitarbeiter der europaweit agierenden European Homecare vor dem Siegener Landgericht, die Geflüchtete misshandelt, sich der Freiheitsberaubung oder unterlassener Hilfeleistung schuldig gemacht haben sollen. Und auf Sicherheitskräfte in Dresdner Unterkünften, die Bewohner wie Argjent Mehmeti und seine Familie bedrohen und nötigen.

Von allen zwanzig Vorfällen kam es in nur fünf zu einer Entlassung, nur sechsmal zu einer Anzeige: wegen Nötigung, Körperverletzung und auch Vergewaltigung.

In nur zwei Fällen wurden Verantwortliche verurteilt, wie etwa im niedersächsischen Lingen, wo zwei Wachmänner Geflüchtete in der Unterkunft misshandelten. Sie wurden Anfang des Jahres zu jeweils zwei Jahren auf Bewährung und zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.

Drei Verfahren laufen noch, eine Anklage wurde fallen gelassen. Typisch, sagen Opferberatungen und Flüchtlingsräte. In den wenigsten Fällen kommt es überhaupt zu Anzeigen, weil die Bewohner Angst haben und oft nicht wissen, an wen sie sich wenden können. In den wenigsten Unterkünften gibt es eine unabhängige Beschwerdestelle. Strafrechtliche Konsequenzen bleiben die Ausnahme.

Es gäbe Lösungen für diese Probleme, etwa Unterbringungsstandards, wie es sie in Alten- oder Jugendheimen gibt. Aber bisher ist die Politik nicht bereit, diese verbindlich einzuführen. Das liegt auch daran, dass die Unterbringung Geflüchteter in Deutschland Ländersache ist und bundesweite Regelungen deshalb nicht möglich sind. Die wenigen Regelungen, die es gab, wurden in den letzten Jahren immer weiter ausgehöhlt.

Und so vergeben Länder und Kommunen auch 2017 weitere Verträge an Betreiber und Sicherheitsunternehmen, die bereits mehrfach durch Straftaten aufgefallen sind oder gegen die sogar noch Strafverfahren anhängig sind.

Ein Unternehmen, an dem sich erklären lässt, wo einige der größten Probleme bei der Flüchtlingsunterbringung liegen, ist die Firma European Homecare aus Essen. Nach eigenen Angaben betreibt das mittelständische Unternehmen aktuell 80 Einrichtungen für Geflüchtete und Wohnungslose in ganz Deutschland. 2015 stieg der Umsatz von rund 39 Millionen auf fast 178 Millionen Euro. Der Nettogewinn fiel fünfmal so hoch aus wie 2014: Rund 26 Millionen Euro blieben übrig. Für Personal gab die Firma in dem Jahr 35,5 Millionen aus, 20 Prozent des Umsatzes. European Homecare, so Pressesprecher Klaus Kocks in einem Interview mit dem Spiegel, sei der „Aldi unter den Anbietern.“ Nur die Umsatzrendite, so Kocks, sei besser als die des Discounters.

Auch in einem anderen Bereich ist European Homecare führend, gegen das Unternehmen gibt es eine rekordverdächtige Anzahl strafrechtlicher Vorwürfe:

Burbach, Nordrhein-Westfalen, 2014: Zehn Mitarbeitern der European Homecare und sechsundzwanzig Mitarbeitern des zuständigen Wachdienstes, der durch das Unternehmen beschäftigt war, wird vorgeworfen, Bewohner genötigt und misshandelt zu haben. Geflüchtete sollen in ein „Problemzimmer“ eingesperrt und gequält worden sein. Ein Handyfoto zeigt, wie einer der Wachmänner seinen Stiefel in den Nacken eines Geflüchteten drückt, der am Boden liegt. Es kommt zur Anklage. Das Hauptverfahren hat noch nicht begonnen.

Finnentrop, Nordrhein-Westfalen, 2016: Einem Heimleiter wird vorgeworfen, eine Syrerin, die er in der Unterkunft in Finnentrop kennengelernt hat, viermal vergewaltigt zu haben. In E-Mails hat er sich als „Dr. med“ ausgegeben, obwohl er nie Medizin studiert hat. Der Niederländer ist, schon bevor er beginnt, in Finnentrop für European Homecare zu arbeiten, 19-mal strafrechtlich auffällig geworden. Für eine Verurteilung reichen die Beweise nur im Anklagepunkt des Titelmissbrauchs. Das Landgericht Arnsberg verurteilt ihn zu neun Monaten auf Bewährung.

Niederkrüchten, Nordrhein-Westfalen, 2017: Das Unternehmen hält sich nicht an den vertraglich mit dem Land vereinbarten Personalschlüssel, stellt die Bezirksregierung Düsseldorf bei Kontrollen fest. Zu wenige Mitarbeiter betreuen zu viele Bewohner. Außerdem kassiert European Homecare gleichbleibend viel Geld von der Stadt, auch wenn die Unterkünfte nicht voll belegt sind. Die Bezirksregierung reduziert daraufhin die Zahlungen.

Essen, Nordrhein-Westfalen, 2017: Das Unternehmen stellt einen gelernten Lehrer für Biologie und Chemie zunächst als Betreuer ein. Dann teilt European Homecare ihm in einem Schreiben mit, dass er ab sofort auf der Stelle des Sozialpädagogen arbeitet, obwohl er den entsprechenden Abschluss nicht hat.

Trotz alldem wurden auch im Sommer 2017 neue Verträge an European Homecare vergeben – vom Land Nordrhein-Westfalen für die Zentrale Unterbringungseinrichtung in Mettmann und eine weitere in Rüthen. Vom Land Niedersachsen für das größte Ankunftszentrum im Norden, Bad Fallingbostel-Oerbke. Und auch vom Land Sachsen für die Erstaufnahmeeinrichtung in der Hamburger Straße in Dresden – dort, wo Argjent Mehmeti mit seiner Familie gelebt hat. Das Deutsche Rote Kreuz betrieb die Einrichtung bis August 2017, dann kam European Homecare.

Fragt man Holm Felber, Pressesprecher der Landesdirektion Sachsen, warum das Deutsche Rote Kreuz den Zuschlag nicht erneut bekommen hat, sagt er: „Der neue Anbieter konnte garantieren, dass er die Leistungen auch erbringen wird.“ Zu einem günstigeren Preis? „Das war in jedem Fall so.“ Bei welchen Positionen genau European Homecare günstiger war, ist nicht zu erfahren.

Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW hat eine Vermutung: „Das Einzige, woran man sparen kann, ist Personal.“ Der Personalschlüssel werde von Betreibern zwar formal eingehalten, aber die Mitarbeiter wiesen niedrigere Qualifizierung auf als von European Homecare, kurz EHC, angegeben.

Pressesprecher Klaus Kocks schreibt auf Anfrage der taz: „EHC ist wegen seines Qualitätsmanagements zum qualitativen Marktführer dieser Anbietergruppe geworden; das kontrollieren in Deutschland Hunderte von Gebietskörperschaften tagtäglich.“ Eine abweichende Praxis würde sofort und an vielen voneinander unabhängigen Stellen bemerkt.

Dass die staatlichen Kontrollen, auf die European Homecare sich bezieht, oft nicht ausreichend sind, zeigt die Arbeit von Juliane Pink. Sie ist Beraterin für Betroffene von rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt in Dresden und hat den Fall der Familie Mehmeti betreut. Von Januar bis Anfang September 2017 haben sie und ihre Kollegen insgesamt 130 Beratungen durchgeführt. Pink schätzt, dass nur 20 Prozent der Fälle, die sie betreut, zur Anzeige gebracht werden. Dabei geht es um Körperverletzung, Bedrohung oder Nötigung – vor allem durch Sicherheitspersonal. Oft werden die Betroffenen unter Druck gesetzt: Sie kenne Fälle, in denen Zimmer regelmäßig durchsucht wurden oder Essen rationiert wurde.

Quelle    :     TAZ >>>>> weiterlesen

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Unten   —   Flüchtlinge auf dem Dach des Hostels in Friedrichshain

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