Schule – Die steile These :
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 19. August 2020
Corona zeigt, wozu Schule da ist
Von Nils Schulz
Die Schulschließungen verdeutlichen, dass digitaler Unterricht nur begrenzt funktioniert. Denn Schule ist vor allem aus sozialen Gründen wichtig.
Im Bildungsbetrieb gibt es sie auf jeden Fall: die „Ewigmorgigen“. So nennt der Schweizer Pädagoge Carl Bossard in Anlehnung an Erich Kästner die, die das Neue unkritisch begrüßen: Morgen wird alles besser! Wir brauchen nur mehr Innovation, mehr Digitalisierung, mehr Individualisierung, mehr Differenzierung, mehr selbstorganisiertes Lernen – und alles in immer schnellerem Tempo.
Die Gegenwart ist für Modernisierungseuphoriker ein bloßes „Noch-Nicht“. Funktioniert eine neue Unterrichtsform, Methode oder Software nicht, dann deswegen, weil sie „noch nicht“ richtig „umgesetzt“ oder „implementiert“ ist. Die technizistische Wortwahl verrät, dass es mehr um Sozialtechnokratie als um Bildung geht. Und so wird seit dem „Pisa-Schock“ eifrig reformiert und enthusiastisch digitalisiert. Viele Lehrer:innen und Schüler:innen fühlen sich seit Jahren „im Hamsterrad“ der Reformen.
Und dann kam die Coronakrise. Und die Schulschließungen. Diese und die sukzessive Wiedereröffnung legten offen, dass viele der neuen Lernformen nicht funktionierten. Sie hielten nicht, was die Modernisierer versprachen. Nicht wenige Schüler:innen waren mit der Selbstständigkeit des „Zu-Hause-Lernens“ überfordert.
Die „ewig Morgigen“ sagen, die Lehrer:innen hätten die spezifischen Kompetenzen nicht richtig trainiert. Hier gebe es Nachholbedarf. Zudem sei es eine unerwartete Situation gewesen. Und überhaupt: Die digitale Infrastruktur sei nicht ausreichend. Was in diesem Fall auch stimmt. Es fragt sich nur: Wofür nicht ausreichend?
Statt weiter auf die „ewig Morgigen“ zu hören, kann man aus den ernüchternden Erfahrungen mit der Schulschließung auch den Change-Prozess im Bildungssystem in Frage stellen. Denn mindestens vier Aspekte, die dagegen sprechen, konnte man in dieser Phase wie durch ein Brennglas wahrnehmen. Nämlich:
Dass Schule als außerfamiliärer Aufenthaltsort für junge Menschen benötigt wird.
Dass Schüler:innen zum Lernen stabile Strukturen und institutionelle Außenhalte brauchen.
Dass Bildung nur in einem leiblichen Beziehungssystem funktioniert.
Und dass kleinere Klassen lern- und diskussionsförderlich sind.
Als wahre Aufgabe der Schule nannte der Schriftsteller Georg Klein einmal ihre Aufbewahrungsfunktion. Die blanke Not der Alltagsorganisation zwinge die Eltern, die „Energiebündel“ in die Schule zu schicken. „Wir“, so Klein, müssten den Nachwuchs „sechs oder mehr Stunden los sein, um unseren eigenen Kram mit der Welt geregelt zu bekommen.“ Auch für den Nachwuchs ist es gut, mal weg von den Eltern zu sein.
Die Coronakrise macht die Aufbewahrungsfunktion der Schule überdeutlich.
Strukturen sind notwendig
Dass zudem stabile Strukturen fürs Lernen notwendig sind, konnten Lehrkräfte daran ersehen, dass manche Mittelstufen-Schüler:innen während der Schulschließung die digital gestellten Aufgaben nicht sorgfältig oder gar nicht machten, auch wenn die digitale Ausstattung privat vorhanden war. Sicher haben zu viele Aufgaben für Frustration gesorgt; aber vor allem scheinen Selbstverantwortung und Zeiteinteilung viele Schüler:innen überfordert zu haben. Der Grenzen setzende Rahmen fehlte.
Ein Vater berichtete kürzlich in der Deutschlandfunk-Sendung „Schulbeginn in Zeiten von Corona“, dass sein 16-jähriger Sohn die Aufgaben ständig aufschob, weil er sich selbst keine Tagesstruktur geben konnte. In Berlin kam hinzu, dass die Schüler:innen sicher sein konnten, sich bei den Zeugnisnoten nicht zu verschlechtern, da das Zu-Hause-Lernen wegen der unterschiedlichen häuslichen Voraussetzungen allenfalls positiv bewertet werden sollte.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen : Unterricht