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Schule der Zukunft

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 11. Juli 2019

Weniger Bildung für die nächste Schüler-Generation

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Eine Kolumne von

Das Internet ist, trotz allem, die mächtigste jemals erfundene Bildungsmaschine. Also könnten sich die Schulen doch verstärkt auf ihren anderen Auftrag konzentrieren: Erziehung. Nötig wäre das ganz offensichtlich.

Wenn elf-, zwölf-, vierzehnjährige Täter eine Frau vergewaltigen, aber auch wenn Kinder freitags für mehr Klimaschutz streiken und wenn Rezo mit einer fast einstündigen Faktenkanonade die Bundesrepublik erzittern lässt, dann zeigen sich die Umrisse der Schule der Zukunft, mit all ihren hellen, grellen und bitterschlimmen Facetten. Die Schuldebatten der Mehrheitsgesellschaft werden meist allein über „Bildung“ geführt. Schon weil niemand gegen Bildung ist. Bildung als magische Rettungssoße, die man über Probleme aller Art gießt, um Schwierigkeiten der Integration zu lösen, der Digitalisierung, des Rechtsrucks, der Verschwörungstheorien und so weiter, Bildung, Bildung, Popildung. Wenn ein Begriff derart breitgetreten wird, existiert selten ein zielführendes Verständnis seines Inhalts.

Ich fordere: Weniger Bildung für die Schule! Und mehr Erziehung. Zugegeben plakativ, aber es ist die Essenz der Aufgabenverschiebung, vor der die Schule der Zukunft steht. Der Wandel der Gesellschaft durch Digitalisierung, Migration und Globalisierung wirkt natürlich auch auf die Schule. Besser gesagt: Müsste auch auf die Schule wirken. Traditionell funktioniert Schulpolitik in Deutschland mit der Geschwindigkeit der Kontinentaldrift.

Massives Erziehungsversagen

Der Mülheimer Fall der Schulkinder, die eine Frau vergewaltigt haben sollen, ist ebenso schwer zu begreifen wie offenbar sinnvoll zu diskutieren. Die Tatverdächtigen sind türkischsprachige Bulgaren, weshalb von rechter und rechtsextremer Seite exakt die erwarteten Reaktionen kommen. Von liberaler und linker Seite dröhnt betretenes Schweigen, was ich als Zeichen der Ratlosigkeit deute.

Angenommen, die Sachlage entspricht der derzeitigen Behördendarstellung, dann ist Basis des Verbrechens ein massives Erziehungsversagen. Zuerst der Eltern, aber dass diese derart versagen können, sagt auch etwas über Funktion und Möglichkeiten des Schulsystems aus. Die Eltern haben Hilfe abgelehnt und wollten mit dem Jugendamt offenbar nur über die Gegensprechanlage kommunizieren, was die Vermutung stärkt, dass es sich um ein kulturelles Problem handelt. Denn es gibt stark patriarchal geprägte Kulturen, in denen sexuelle Übergriffe gegen Frauen strukturell verharmlost werden. Die bayerische Oktoberfestkultur zum Beispiel, in der offene sexuelle Belästigung nicht selten heruntergespielt wird als „ist doch nur ein Klaps auf den Po“. Oder die Alltagskultur in einigen islamischen Gesellschaften, wie zum Beispiel in Ägypten, wo einer UN-Untersuchung von 2013 zufolge mehr als 99 Prozent der Frauen sexuelle Belästigung erleiden mussten, davon 96 Prozent körperlich.

Kinder bilden ihre Umgebung ab

Die alltagskulturellen Prägungen, die solche Auswüchse und die mangelnde, gesellschaftliche Reaktion darauf ermöglichen, verschwinden nicht durch einen Ortswechsel oder Abwarten aus den Köpfen. Sie können im Gegenteil sogar an kommende Generationen weitergegeben werden. Kinder bilden nicht nur die positive Zukunft, sondern auch den Grad der Monstrosität ihrer Umgebung ab. Das gilt übrigens ebenso für die Achtklässler, die in einer Schule im Erzgebirge einen Antirassismus-Workshop sprengten. Sie hatten SS-Runen gemalt, über die Vernichtung von Menschen hämisch gelacht und den Vorschlag gemacht, die Workshop-Leiterin solle „in ein KZ gehen und die Gaskammer anmachen“.

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Die Vorfälle in Mülheim wie im Erzgebirge sind unterschiedliche Formen des Integrationsversagens in die liberale Gesellschaft. Ebenso wie das verstärkte Aufkommen von aggressivem Antisemitismus an deutschen Schulen, von urdeutschem bis muslimisch geprägtem Antisemitismus. Es fehlt den Kindern jeweils ein Teil des zivilisatorischen Wertegerüsts, dessen Vermittlung man bisher von den Eltern erwartet hat. Das Bildungssystem einer liberalen Demokratie aber ist immer nur so gut wie diejenigen mit den größten Schwierigkeiten, die es durchlaufen. Da kann die Bundesregierung noch so viel mit Exzellenzclustern jonglieren oder KI-Kindergärten in Berlin Mitte fördern.

Erziehung als Teil von Bildung begreifen

Es hat sich in Teilen der Gesellschaft ein Erziehungsvakuum gebildet. Vielleicht war es längst vorhanden und weniger sichtbar, der entscheidende Punkt aber ist, wie man ihm begegnet. Mein Vorschlag: mit dem Grundgesetz. In einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts von 2008 zu elterlichen und schulischen Aufgaben heißt es: „Der Staat ist in der Schule nicht auf das (…) Wächteramt beschränkt. Vielmehr ist der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule (…) dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Weder dem Elternrecht noch dem Erziehungsauftrag des Staats kommt ein absoluter Vorrang zu. (…) Dabei beschränkt sich der Auftrag des Staates (…) nicht auf die Vermittlung von Wissensstoff, sondern hat auch zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden.“ Amen. Kurzes Winken in Richtung jener Eltern, die sexuelle Aufklärung, eine eindeutig ablehnende Haltung zu Menschenfeindlichkeit oder Schwimmunterricht in der Schule für optional halten.

Quelle       :        Spiegel-online        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen         :

Oben        —         Dr. Kier Klepzig is a Research Entomologist at the Department of Agriculture Forest Service Southern Research Station. He is teaching 5th graders about town ants at Phoenix Magnet School in Alexandria, LA.

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