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RENTENANGST

Schluss mit dem Dogma

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 3. September 2020

Das Gegenteil könnte der Fall sein

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Von Susanne Memarnia

Bizarr, dass gerade Berlin noch glaubt, Lehrerinnen mit Kopftuch seien eine Gefahr für den Schulfrieden.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt die Frage, ob Frauen, die das islamische Kopftuch tragen, an deutschen Schulen unterrichten dürfen, immer wieder die Gerichte und führt zu heftigen gesellschaftlichen Debatten. Auch um das Berliner Neutralitätsgesetz, das LehrerInnen an allgemeinbildenden Schulen, PolizistInnen und Landesbediensteten im Justizwesen das Tragen religiöser oder weltanschaulich konnotierter Symbole und Kleidungsstücke im Dienst verbietet, wird schon lange gerungen. Vorige Woche nun erklärten die RichterInnen des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt das Gesetz in dieser Allgemeinheit für verfassungswidrig. Nur der Gang nach Karlsruhe kann es vielleicht retten. Die Frage ist: Wollen wir das?

Zunächst ein Geständnis: Wie viele christlich sozialisierte Biodeutsche – Bio im Sinne von Biografie, nicht Biologie – verspürte ich lange Unbehagen bei der Vorstellung, dass mein Kind von einer Lehrerin mit Kopftuch unterrichtet wird. Als alte Linke halte ich es mit Karl Marx und seinem Diktum über Religionen. Und obwohl das viele anders sehen, haben wir uns in den „westlichen“ Demokratien darauf verständigt, dass religiöse Indoktrination an Schulen nichts verloren hat. Der „bekenntnisorientierte“ Religionsunterricht zeigt zwar, dass wir hier nicht im Laizismus leben, aber mehr Religion an Schulen ist nicht.

In vielen islamisch geprägten Ländern ist das anders. Dort ist die Einhegung der Religion in staatlich festgelegte und gesellschaftlich anerkannte Grenzen bislang nicht gelungen. Im Gegenteil: Seit im Iran 1979 die Mullahs die Macht übernahmen, sind konservative bis reaktionäre Auslegungen des Islam weltweit auf dem Vormarsch. Das zeigt auch der Umgang mit „dem Tuch“: Der gesetzliche Kopftuchzwang in Iran ist wohl der extremste Ausdruck religiöser Bevormundung, aber in so gut wie allen islamischen Ländern gibt es heute einen starken Konformitätsdruck auf Frauen, das Tuch zu tragen. Wer dagegen aufbegehrt, wandert auch schon mal, wie im Iran, auf Jahre ins Gefängnis.

Auch hierzulande gibt es Mädchen und Frauen, die unters Tuch gedrängt bis gezwungen werden. Auch hier gibt es radikale Muslime, die Demokratie und Säkularisierung ablehnen. Die Gleichung „Kopftuch gleich Islamismus“ stimmt trotzdem nicht. Natürlich steht das Kopftuch für ein konservatives Frauenbild und Geschlechterverhältnis. Aber wenn jemand freiwillig das Tuch tragen will – bitte sehr. Dass der Mehrheitsgesellschaft diese Einstellung nicht gefällt, ist kein Grund, solchen Frauen bestimmte Berufe zu verwehren.

HK Sai Ying Pun Third Street near Centre Street Indonesian clothing visitors Apr-2013.JPG

Übrigens sagen Migrationsforscher, dass die Re-Islamisierung vieler muslimischer MigrantInnen bzw. ihrer Kinder und Kindeskinder auch Ergebnis ihrer fortgesetzten Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft ist. Wer jahrzehntelang si­gna­lisiert bekommt, dass er nicht dazugehört, dass er anders ist, ob in Schule, Arbeit, Freizeit oder im Staatsbürgerschaftsrecht, zieht sich auf die „eigene“ Tradition, Gemeinschaft, Religion zurück.

Trotz alldem schaffen immer mehr MigrantInnen den sozialen Aufstieg – und immer mehr junge Frauen mit Kopftuch studieren. Doch als wäre es der Mehrheitsgesellschaft lieber, sie blieben Putz- oder Hausfrauen, haben seit den nuller Jahren viele Bundesländer mehr oder weniger explizite „Kopftuchgesetze“ installiert. Zwar wurde der damalige „Vorreiter“ NRW 2015 vom Bundesverfassungsgericht ausgebremst. In dem wegweisenden Urteil stellten die Richter fest, dass Lehrerinnen mit Kopftuch nicht pauschal eine Bedrohung der staatlichen Neutralität oder des „Schulfriedens“ sind. Doch ausgerechnet „Multikulti-Berlin“ hält hartnäckig an seinem Neutralitätsgesetz fest – mit dem Argument, es würde ja alle religiösen Kleidungsstücke verbieten, also auch das Nonnenhabit und die jüdische Kippa.

Quelle        :     TAZ       >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben     —      New Zealand Prime Minister Jacinda Ardern visits members of the Muslim community at the Phillipstown Community Centre on Saturday 16 March 2019, less than 24 hours after a terror attack to two mosques left 50 people dead and dozens seriously injured in Christchurch. New Zealand Climate Minister James Shaw sits in the background with a bruised eye following an assault in Wellington. The photograph was taken through the window of a converted classroom; reflections of trees can be seen on the glass. For more information, see this interview with the photographer.

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Unten      —     zh:西環第三街, Third Street, Sai Ying Pun, Hong Kong

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