„Runter vom Fahrradweg!“
Erstellt von Redaktion am Dienstag 20. August 2019
Warum uns fremde Menschen ständig erziehen wollen
Das Alte – bleibt immer auch das Neue Deutschland !
Von Hanna Zobel
„FALSCHE STRASSENSEITE!“, brüllt mir ein älterer Mann ins Gesicht. Sein Kopf ist hochrot, er atmet schwer. Unsere Fahrräder stehen sich Vorderreifen an Vorderreifen gegenüber.
30 Sekunden zuvor: Ich stehe an einer Hamburger Kreuzung, will auf die diagonal gegenüberliegende Seite. Die Ampel zu meiner Linken wird zuerst grün, also fahre ich im Uhrzeigersinn los. Der Fußgängerüberweg ist sehr breit, genau wie der Fahrradweg. Kurz: Es ist viel Platz. Außer mir und dem Mann, der mir auf seinem Fahrrad entgegen kommt, ist niemand zu sehen.
Wir hätten also entspannt aneinander vorbeifahren können. Stattdessen schlägt mein Gegenüber plötzlich hart nach rechts ein – direkt in meine geplante Fahrspur. Als ich erschrocken ausweiche, fährt er mir wieder in den Weg. Bis wir wackelnd in letzter Sekunde anhalten, um nicht zu kollidieren.
Im Alltag erlebe ich oft, dass Menschen Fremde maßregeln, und frage mich: Was soll so etwas?
Ich spreche nicht von Situationen, in denen das angeprangerte Verhalten andere belästigt – zum Beispiel, wenn jemand seinen Müll im Park liegen lässt und damit das Erlebnis für alle anderen weniger schön macht –, sondern von Momenten, die keinen Einfluss auf irgendwen außer den Handelnden haben.
So wie der Gang über die rote Ampel, wenn weder ein Auto noch ein Kind in Sicht ist („Hallo?! Die Ampel ist rot!“). Oder der unachtsame Moment, in dem man als Fußgänger mit einem Bein auf dem Fahrradweg läuft („Geht’s noch? Runter vom Fahrradweg!“). Oder der absolute Klassiker der menschlichen Begegnungen im 21. Jahrhundert: Wenn man an der Bushhaltestelle aufs Handy guckt („Starr nicht die ganze Zeit auf dein Handy, das macht dumm!“).
Was veranlasst Menschen dazu, voller Wut eine fremde Person zurechtzuweisen? Und ist das Meckern eine typisch deutsche Eigenart?
Das habe ich Stefan Pfattheicher gefragt. Der 34-Jährige ist Sozialpsychologe und lehrt derzeit an der dänischen Uni Aarhus Psychologie. Er hat sich in seiner bisherigen Forschung unter anderem damit befasst, wie Menschen sich bei Regelverstößen innerhalb einer Gesellschaft gegenseitig sanktionieren.
In den beschriebenen Alltagssituationen maßregeln Menschen andere, obwohl sie selbst gar nicht von deren Verhalten betroffen sind. Was meinst du: Warum tun Leute das?
Stefan Pfattheicher: In Gesellschaften gibt es moralische Standards und soziale Normen. Es geht dabei um eine grundsätzliche Definition von Richtig und Falsch, auf die man sich einigt. Wenn jemand über die rote Ampel geht, dann wird eine soziale Norm verletzt – das löst negative Emotionen wie Ärger oder Frustration aus.
Die Forschung zu ähnlichen sozialen Interaktionen zeigt, dass diese Emotionen relativ unabhängig davon auftreten, ob die Person selbst von der Handlung betroffen ist oder sie nur beobachtet hat.
Quelle : Bento-online >>>>> weiterlesen
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