Richter Ade – Th. Fischer
Erstellt von Redaktion am Montag 26. November 2018
Gefährtiche Orte : Beziehungsgewalt
Eine Kolumne von Thomas Fischer
Heute gilt vieles als Gewalt und wird als solche statistisch erfasst, was man früher nicht zu dieser Kategorie zählte. So steigen die Zahlen – aber das bedeutet nicht, dass es tatsächlich mehr Gewalt gibt.
In dieser Woche ist der Jahresbericht „Beziehungsgewalt“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veröffentlicht worden. Fälschlich wurde einmal mehr überwiegend unter dem Stichwort „häusliche Gewalt“ darüber berichtet; das ist aber einerseits viel zu eng (nur ca. 50 Prozent der von der Polizei ermittelten Opfer lebten in häuslicher Gemeinschaft mit den Verdächtigen), andererseits zu weit (Gewalt gegen Kinder in Haushalten ist überhaupt nicht erfasst). Gemeint ist also: Gewalt in oder im Zusammenhang von „Beziehungen“, womit Sexualpartnerbeziehungen gemeint sind. Gewalt gibt es auch in zahlreichen anderen „Beziehungen“ zwischen Menschen; die sind aber nicht erfasst.
Der Tenor der Presseberichte ist durchweg überaus besorgt: „Alarmierende Zahlen“ meldet die „SZ“, „erschreckende Zahlen“ der DLF; andere versuchen, noch mehr Drama aus den Fakten zu quetschen. Die „Zeit“ hat entdeckt, es gebe (erneut) einen „blinden Fleck in der #MeToo-Debatte“. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Alarmgeheul sachlich gerechtfertigt ist, die Ergebnisse der Untersuchung also zutreffend eingeordnet sind. Dazu ein paar Anmerkungen:
Gewalt
Man würde spontan nicht auf den Gedanken kommen, dass sich unter dem Stichwort „häusliche Gewalt“ oder „Beziehungsgewalt“ Phänomene verbergen wie „Zwangsprostitution“ und „Zuhälterei“. Sie sind aber in der neuen Statistik eingerechnet. Ebenfalls neu hinzugerechnet ist „Verletzung der Unterhaltspflicht“ (§170 StGB, 5550 Fälle). Dieses Delikt, das im pflichtwidrigen Nichtzahlen von Geld besteht, läuft in Pressetexten unter der schönen Bezeichnung „ökonomische Gewalt“ und ist auf diese Weise geeignet, die mediale „Gewalt“-Diskussion als Ganze ad absurdum zu führen. Denn wenn das Nichtzahlen von Unterhalt „Gewalt“ sein soll, dann ist es jeder Diebstahl oder Betrug ebenfalls, und auch die Steuerhinterziehung oder das Nichtzahlen von Miete, Lohn oder Darlehensschulden.
Selbstverständlich ist es eine Sauerei und außerdem strafbar, Unterhaltspflichten zu verletzen, und das Delikt wird, aus verschiedenen Gründen, oft nur unzureichend verfolgt (Unauffindbarkeit oder häufige Wohnortwechsel der Täter, desaströse Lebensverhältnisse; gezielte Verschleierungen, hoher Ermittlungsaufwand mit wenig Ertrag). Aber es ist offenkundig kein „Gewaltdelikt“, und es hat auch wenig Sinn, es auf Umwegen als solches zu definieren. Für die Frage, wie viele „Feuer“ im Jahr 2017 ausgebrochen sind und wie viele neue Löschzüge wir brauchen, sollte die Frage eine Rolle spielen, was man als „Feuer“ anzusehen hat: Und die Meldung „immer mehr Feuer brechen aus“ ist nicht sinnvoll, wenn sie darauf beruht, dass seit letztem Jahr auch das unerlaubte Grillen dazugezählt wird.
Insgesamt zählt der Bericht des BKA 138.000 „Opfer“ auf, mehr als im Vorjahr. Der Zuwachs kommt allerdings ausschließlich dadurch zustande, dass 6900 Fälle von Straftaten mitgezählt wurden, die im Vorjahr noch gar nicht zum Kanon der ausgewählten Taten zählten (Zuhälterei, Unterhaltspflichtverletzung, Nötigung durch Drohung mit „empfindlichen Übeln“ – also gerade nicht mit Gewalt, usw.). Wenn man diese neu aufgenommenen Tatbestände abzieht, ist die Zahl der gemeldeten Taten nicht gestiegen, sondern um knapp 2000 gesunken.
Wie immer muss bei polizeilichen Kriminalstatistiken darauf hingewiesen werden, dass es sich um Verdachtsfälle, nicht um bewiesene Taten handelt. Wie viele Fälle zu Verurteilungen führen, ist ziemlich schwer zu ermitteln und ergibt sich aus der Polizeistatistik nicht, auch nicht der Grund, aus dem es nicht zu einer Verurteilung kam. Das macht die Statistik nicht wertlos, relativiert aber ihre Aussagekraft. Die notorische – und auch diesmal wieder frappierende – Berichterstattung, die die Zahl der polizeilich registrierten Verdachtsfälle ohne jede Erklärung gleichsetzt mit der Zahl der „wirklichen“ Taten, verschweigt und verdreht das.
Quelle : Spiegel >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
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Author | Torsten Henning – released into the public domain |
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016