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Rechte Eidgenossen

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 22. November 2018

Demokratie und Selbstbestimmung à la SVP / Schweiz

Nationalratssaal während einer Session

Von Kaspar Surber

So sanft gab sich die SVP noch nie. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei setzte in ihren Kampagnen bisher immer auf einen brachialen Stil. Mal bildeten sie auf ihren Plakaten Minarette ab, die wie Raketen aussahen, mal traten weiße Schafe ein schwarzes außer Landes. Ob verschlagene Messerstecher oder gierige Ratten: Kein Klischee wurde ausgespart, um wahlweise gegen Ausländer, die EU oder den Islam zu hetzen.

Finanziert von Sponsoren wie dem Industriellen Christoph Blocher, dem Autoimporteur Walter Frey oder dem Privatbankier Thomas Matter, wurden diese Motive mit Millionen von Franken ins kollektive Bewusstsein der Schweizer gehämmert. Der Stil der SVP, deren Aufstieg zu Beginn der 1990er Jahre begann und die zu den ersten rechtspopulistischen Parteien zählt, wurde von Gleichgesinnten im übrigen Europa begeistert kopiert. Letzthin wurde das schwarze Schaf Ende August bei einem Aufmarsch von Rechtsextremen in Chemnitz gesichtet – auf einem Transparent der Jug endorganisation der NPD.

Am 25. November 2018 stimmt die Schweiz nun über die „Selbstbestimmungsinitiative“ der SVP ab, wobei mit Selbstbestimmung gemeint ist, dass vor Gericht in jedem Fall das nationale Recht über dem internationalen Recht stehen soll. Und diesmal ist alles anders, zumindest in der Werbewelt der SVP: Auf dem Flyer der SVP-Kampagne halten nachdenkliche junge Frauen und Männer ein „Ja“ in die Kamera, „zur direkten Demokratie und zur Selbstbestimmung“. Die Werbung kommt ohne jeden Verweis auf die SVP als Absender aus.

Auf dem Flyer, den die SVP Mitte Oktober verteilte, ist hingegen die frühere sozialdemokratische Bundesrätin Micheline Calmy-Rey zitiert: „Das Schweizer Recht schützt besser als das europäische.“ Die frühere Außenministerin zeigte sich in einer Stellungnahme entsetzt über die ungefragte Verwendung ihrer Aussage, die mit der Ini­tia­ti­ve gar nichts zu tun gehabt hatte: „Dieses Vorgehen, diese Lügenkampagne ist in höchstem Maße undemokratisch“, betonte Calmy-Rey.

Im Kern geht es bei der „Selbstbestimmungsinitiative“ um das Gleiche wie bei den beiden letzten SVP-Ini­tia­ti­ven: um die Ausweisung von Ausländern aus der Schweiz. Die Zahl der Menschen, die von entsprechend verschärften Gesetzen betroffen sind, ist in der Schweiz vergleichsweise hoch. Der Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung beträgt 25 Prozent. Die Gründe dafür sind, dass die Schweiz kein ius soli kennt – die Staatsbürgerschaft also nach dem Abstammungsprinzip vergeben wird –, die Behörden eine restriktive Einbürgerungspraxis pflegen und die Volkswirtschaft auf Zuwanderung angewiesen ist.

Ihren Angriff auf die Rechtssicherheit von Ausländern, die aufgrund ihres befristeten Aufenthaltsstatus ohnehin gefährdet sind, begann die SVP mit der „Ausschaffungsinitiative“. 2010 war eine knappe Mehrheit dafür, dass eine Person, die bestimmte Straftaten begangen hat, automatisch ausgewiesen wird. Tatsächlich wurde damit eine doppelte Sanktionierung für Ausländerinnen beschlossen: Bestrafung plus Landesverweis.

Dieser Automatismus verstieß allerdings gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit, wonach in einem Rechtsstaat jeder Fall individuell überprüft werden muss. Nach langen Beratungen erließ das Schweizer Parlament deshalb ein Gesetz, das eine Einzelfallprüfung möglich macht. Sie trägt insbesondere den Lebensumständen von Secondos und Secondas Rechnung, wie man hierzulande die Menschen ausländischer Herkunft nennt, die in der Schweiz geboren wurden.

Um Druck auf die Parlamentsberatungen zu machen, hatte die SVP aber bereits ihre „Durchsetzungsinitiative“ lanciert. Sie sollte nicht nur eine Einzelfallprüfung verhindern, sondern auch den Deliktkatalog für automatische Ausweisungen erheblich erweitern.

Bundeshaus (Parlamentsgebäude) und Bundesplatz in Bern

In dem darauffolgenden Abstimmungskampf geschah etwas Erstaunliches: Die übrigen Parteien und die Wirtschaftsverbände hatten die Abstimmung bereits verloren gegeben, als sich plötzlich ein Aufstand aus der Zivilgesellschaft erhob. Die Gruppen nannten sich „Dringender Aufruf“ oder „Operation Libero“. Ihre Aktionen waren unkoordiniert, aber originell und stark und vor allem technisch versiert. In Windeseile war eine Graswurzelbewegung entstanden, die gegen die hierarchisch organisierte SVP trotz deren Marketingmillionen gewann.

Jahrelang war es der SVP gelungen, den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben und einen angeblichen „Volkswillen“ gegen die „classe politique“, wie die Eliten in der Schweiz auf Französisch genannt werden, in Stellung zu bringen. Ausgerechnet mit vermeintlich trockenen Argumenten wie Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gelang es den Gegnern der Initiative, den Rechtspopulismus zu stoppen. Wohl auch deshalb setzt die SVP bei der „Selbst­be­stim­mungs­ini­tia­ti­ve“ nun auf eine zurückhaltendere Kampagne.

Quelle     :     Le Monde diplomatique          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben     —       Nationalratssaal während einer Session

  • AttributionHinweise zur Weiternutzung
  • File:Nationalratssaal während Session.jpg
  • Erstellt: 15. Juni 2005

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Unten     —      Bundeshaus (Parlamentsgebäude) und Bundesplatz in Bern

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Federal Palace of Switzerland, Bern

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