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Erstellt von Redaktion am Sonntag 30. September 2018

Zum Stand der deutsch-russischen Beziehungen

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von Friedrich Dieckmann

Drei Jahre lang (erst 2018 hat man es geändert) haben die Brüsseler EU-Instanzen jeweils am 22. Juni über die einjährige Verlängerung der Sanktionen beschlossen, mit denen sie die russische Regierung für die Einverleibung der Krim bestrafen – jener überwiegend russisch besiedelten Halbinsel, die der Ukrainer Nikita Chruschtschow als Generalsekretär der KPdSU im Jahre 1954 ohne Befragung der Bevölkerung durch einen verfassungswidrigen Verwaltungsakt[1]aus der russischen Föderation an die Ukrainische Sowjetrepublik überschrieb. Es war an einem 22. Juni,[2]als Hitlers Truppen ohne Kriegserklärung in ein Land einfielen, das mit Deutschland durch einen Neutralitätspakt, der einem Bündnis gleichkam, verbunden war. Wie viele Opfer der so begonnene Krieg von den überfallenen Völkern forderte, kann man in den Geschichtsbüchern nachlesen; die Zahl übertrifft um ein Vielfaches alle anderen Opferzahlen.

Für viele Politiker, die sich heute mit deutscher Außenpolitik befassen, und für die Journalisten, die sie akkompagnieren, ist dies nur eine Zahl unter anderen; ihre Geschichtsvergessenheit ist die eigentliche Gefahr. Sie stehen immer noch im Bann jener US-amerikanisch inspirierten Propagandamaschine, die die Sowjetunion in den Zeiten des Kalten Krieges zu einer viel größeren Bedrohung stilisierte, als sie ihrem strategischen Potential nach sein konnte. Die Profite jener gewinnträchtigen Formation, die militärisch-industrieller Komplex heißt, spielten bei alledem eine beträchtliche Rolle.

Im Hintergrund stand eine narzisstische Kränkung: Die USA sahen sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch die östliche Siegermacht, mit der man bis 1945 kooperiert hatte, um eine Weltherrschaft gebracht, auf die man einen selbstverständlichen Anspruch zu haben glaubte. Egon Bahr hat es im März 2015 mit dem Lakonismus formuliert, dessen Meister er war: „Das nationale Interesse der USA ist von der moralischen Gewissheit durchdrungen, das auserwählte Volk Gottes zu sein. Nationalbewusstsein und Sendungsbewusstsein sind unlöslich verschmolzen.“[3]Das war deutlich und es war diplomatisch, denn es war und ist nichts Geringeres als der Anspruch auf Welthegemonie, der sich hinter der ideologischen Ambition einer Einwanderernation verbarg und vormals das politisch-moralische Rüstzeug eines jahrhundertelangen Kolonisierungsprozesses gewesen war. Dieser globale Anspruch wurde im September 1949 fundamental erschüttert durch die Nachricht von einem gelungenen sowjetischen Atombombenversuch; mit einer enormen wissenschaftlich-organisatorischen Anstrengung war es dem von Hitlers Heeren verwüsteten Land gelungen, den amerikanischen Vorsprung auf dem Feld nuklearer Rüstung wenn nicht aufzuholen, so doch entscheidend zu verringern.

Das haben die USA der Sowjetunion niemals vergeben. Nach deren Zusammenbruch 1991 haben sie die anhaltende Durchkreuzung ihres Anspruchs auf globalstrategische Dominanz ein Russland entgelten lassen, das sich durch einen extremen inneren Umbruch dem nordamerikanischen Hegemon beträchtlich angenähert hatte; es hatte die leninistischen Machtstrukturen durch oligarchisch-monopolkapitalistische ersetzt und tat es an wiedererwachter Kirchenfrömmigkeit den USA beinahe gleich. Unter Wladimir Putin hatte sich Russland allmählich von der ökonomisch-sozialen Katastrophe erholt, die unter dessen Amtsvorgänger Jelzin über das riesige Land hereingebrochen war, infolge einer ökonomischen Fehlsteuerung, zu der dessen amerikanische Berater wesentlich beigetragen hatten.

Es war diese Zeit, von der Eric Hobsbawm 1999 sagte, dass in Russland nicht mehr nur die massenhaften Grabsteine des Kommunismus, sondern auch die des Neoliberalismus stünden. Die mittlere Lebenserwartung der russischen Bevölkerung sank in der Ära Jelzin gravierend, und wenn man liest, dass sie sich seit dem Jahr 2000 von 65 auf knapp 73 Jahre erhöht habe,[4]dann bekommt man ein Maß für die außerordentlichen Leistungen, die sich mit der politischen Führung eines Mannes verbinden, in dessen Dämonisierung sich einige deutsche Medien nicht genugtun können. Es ist ihnen nicht erlaubt zu begreifen, dass es ein Unding ist, von Russland die Einführung einer parlamentarischen Demokratie nach deutschem oder britischem oder amerikanischem Modell zu verlangen. Demokratie in Russland zu entwickeln, sagte Egon Bahr in seiner letzten Rede (er hielt sie am 21. Juli 2015 in Moskau in Anwesenheit von Michail Gorbatschow), sei angesichts dessen besonderer historischer Voraussetzungen ein langwieriger Prozess: „Russland wird allein bestimmen, welche Schritte es zur Demokratie geht. Es wird eine Demokratie à la russe sein.“[5]Er hätte den geschichtlichen die topographischen Voraussetzungen hinzufügen können. Die russische Föderation mit ihren 21 autonomen Republiken ist mit weitem Abstand zu China und den USA der flächengrößte Staat der Erde und umfasst in Europa und Asien unzählige Einzelvölker mit einer weitgespannten sprachlichen, religiösen und kulturellen Vielfalt.

Die Katastrophe der Jelzin-Ära und die deutsche Ahnungslosigkeit

Von der Katastrophe der Jelzin-Ära und der Erholung des Landes in der Regierungszeit Putins gibt es in deutschen Medien und bei den von ihnen informierten Politikern nur ein schattenhaftes Bewusstsein. Und natürlich: Deutschland konnte Jelzin feiern, unter dem sich der Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus der nun ehemaligen DDR vollendete. Dass er die mediale und die politische Landschaft Russlands öffnete, wurde sehr viel deutlicher wahrgenommen als der sozialökonomische Ruin im Gefolge seiner „erratischen“ Politik. Sein Nachfolger wurde ein Geheimdienstoffizier, den man als einen Glücksfall für Deutschland ansehen konnte; er sprach so gut Deutsch, dass er, im deutschen Fernsehen von Alfred Biolek gefragt, ob auch seine Töchter Deutsch könnten, antwortete: „Mit mir sprechen sie russisch.“ Als Dresdner Resident des sowjetischen Auslandsgeheimdienstes hatte Putin (Wladimir Krjutschkow, sein oberster Chef, war ein Gefolgsmann Gorbatschows) zweifellos Anteil an dem sich am Abend des 7. Oktober 1989 in Dresden entscheidenden und einen Tag später in Leipzig festigenden Sieg dessen, was mit recht eine deutsche demokratische Revolution heißt. Seine Offenheit gegenüber dem Westen, sein Werben um Kooperation mit Deutschland unterstrich er ein Jahr nach seiner Machtübernahme im Deutschen Bundestag durch eine überwiegend auf Deutsch gehaltenen Rede, in der er die Leistungen jener deutscher Auswanderer würdigte, die im 18. und 19. Jahrhundert in Russland reiche Betätigungsfelder gefunden hatten, und nicht ohne Pathos erklärte, „das starke und lebendige Herz Russlands“ sei „abgesehen von objektiven Problemen und trotz mancher […] Ungeschicktheit für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet“.

Das wurde am 25. September 2001 vorgetragen, wenige Tage nach den Angriffen der Al-Qaida-Terroristen auf Pentagon und Welthandelstürme, die Wahrzeichen der amerikanischen Weltmacht. Der darauf folgende Krieg gegen das Afghanistan der radikal-islamischen Taliban führte zu einer Kooperation auch zwischen den USA und dem neu formierten Russland; sie hielt jedoch dem von der US-Regierung unter George W. Bush 2003 mit bizarren Propagandalügen völkerrechtswidrig vom Zaun gebrochenen zweiten Irak-Krieg nicht stand. Das von Putin mit Nachdruck und Geschick stabilisierte Russland hatte sich von den inneren Verwüstungen der 1990er Jahre zu erholen begonnen und beanspruchte nach seiner Armeereform, als Machtfaktor auf der internationalen Bühne ernst genommen zu werden.

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Das Land hatte es in den 1990er Jahren hinnehmen müssen, dass die gesamteuropäische Sicherheitsverantwortung, die der Westen gegenüber Gorbatschows Sowjetunion 1990 bei dem feierlich besiegelten Ende des Kalten Krieges beschwor, keine vertraglich gesicherte Gestalt angenommen hatte. „Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist unteilbar mit der aller anderen verbunden“, hatte es in der Charta von Paris im November 1990 geheißen. Nun zeichnete sich die Tendenz der USA und des mit ihnen verbündeten europäischen Westens ab, Russland mit einem „cordon sanitaire“ von Staaten zu umzingeln, die ihr sicherheitspolitisches Heil bei einer Nato suchten, die sich unter US-amerikanischem Druck aus einem Verteidigungs- in ein weltweit agierendes Interventionsbündnis verwandelt hatte. Cordon sanitaire, das war unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg die Politik Frankreichs, Englands und der USA gegenüber Russland gewesen; in den Pariser Vorortverträgen hatte man dem jungen kommunistischen Staat von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer Länder vorgelagert, in denen autokratische Regimes nationalistisch-reaktionären Charakters das Heft in der Hand hielten. Nach dem Sieg über Hitler, mit dem sich einige dieser Staaten im Zweiten Weltkrieg verbündet hatten, schlug Stalin angesichts des sich anbahnenden Kalten Krieges zurück; der von ihm etablierte cordon sanitairewar gegen den Westen gerichtet und bestand mit zwei Ausnahmen aus kommunistisch regierten Staaten, in denen die sowjetische Militärmacht die politischen Strukturen sicherstellte. Die beiden Ausnahmen – bürgerlich-parlamentarische Staaten mit garantierter außenpolitischer Neutralität – waren Finnland und Österreich. Ein vereinigtes Deutschland – das war Stalins Offerte von 1952 – hätte an ihre Seite treten können.

Georgien als Exempel

Quelle     :          Blätter         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquelle      :

Oben      —           “German Chancellor Angela Merkel pays a working visit to Russia”. March 8, 2008. German Chancellor Angela Merkel and President Vladimir Putin meeting in Novo Ogaryovo near Moscow.

Namensnennung: RIA Novosti archive, image #186607 / Vladimir Rodionov / CC-BY-SA 3.0

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