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Erstellt von Redaktion am Freitag 21. Dezember 2018

PSMA-Therapie gegen Prostatakrebs

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Von und

In Frankfurt therapierten Ärzte an Prostatakrebs erkrankte Männer mit zweifelhaften Methoden. Eine SPIEGEL-Recherche zeigt nun, wie die Mediziner die tiefe Verzweiflung ihrer Patienten zu Geld machten.

Der Anruf wirkt wie ein Wunder. „Als käme ein Engel vom Himmel“, sagt Peter Fiedler* über den Sommertag 2016, an dem sich Hoffnung in seine Angst mischt. Als Fiedlers Handy klingelt, steht der 51-Jährige seit Tagen unter Schock: Sein Prostatakrebs, ein Jahr zuvor entdeckt, hat sich in die Knochen gefressen, Metastasen im gesamten Stammskelett. Der Tumor ist aggressiv.

Wie lange wird er für seine Kinder noch da sein können, fragt er sich. Die Tochter ist gerade 22, der Sohn 18 Jahre alt. Wird er noch Enkel bekommen? Wer kümmert sich um seine Frau? Fiedler denkt oft an den Tod, er ist plötzlich so nah.

Und dann der Anruf. Fiedler hört die Aussagen gerne, die ihm Doktor Wolfgang Bergter am Telefon macht. Von einer neuen Therapie habe der leitende Oberarzt der Uniklinik Frankfurt geschwärmt, Lutetium-PSMA heiße sie. Sie sei experimentell, noch nicht zugelassen. Klinische Studien zu ihrer Wirkung fehlten. Aber mit ihr könne man ihn heilen, so versteht Fiedler den Nuklearmediziner. Und das quasi ohne Nebenwirkungen.

Ist das seine Chance? Wird er am Leben bleiben können?

Auf Bergters Empfehlung hin setzt Fiedler die Medikamente ab, die die Produktion von Testosteron hemmen, das den Krebs in ihm wachsen lässt. Eigentlich ist diese Antihormontherapie Standard, eine Chemo wäre der nächste Schritt. Doch Bergter schwört auf die PSMA-Therapie und Fiedler macht mit – bis sich seine Werte im März 2017 drastisch verschlechtern.

„Vielleicht war ich ein Versuchskaninchen“, sagt Fiedler heute. Hat das Experiment ihm Lebenszeit gestohlen? Er weiß es nicht, niemand kann es ihm sagen.

Hunderte Prostatakrebspatienten nicht gemäß Leitlinien behandelt

So wie Fiedler geht es Hunderten Patienten des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. An dem ehrwürdigen Haus haben Ärzte nach SPIEGEL-Informationen jahrelang Schwerstkranke ohne gesicherte Erkenntnisse behandelt, mit einer neuartigen, nicht zugelassenen Therapie, deren genaue Wirkung erst ergründet werden muss. Sie enthielten ihnen dabei Medikamente vor, von denen man weiß, dass sie wirken.

Warum taten sie das?

War es der Wunsch, zu helfen? War es Gier nach Ruhm, nach Geld?

Der SPIEGEL hat Bergter getroffen, mit zahlreichen Patienten gesprochen, deren Daten und Arztbriefe, interne E-Mails und Gutachten ausgewertet. Das Ergebnis zeigt: Die Uniklinik hat versagt. Sie hat zugelassen, dass Oberarzt Bergter und Kollegen seit 2015 ungestört wissenschaftliche Standards ignorierten und nach Bauchgefühl behandelten. Und noch schlimmer: Bergter suggerierte demnach den todkranken Patienten, die jedes Versprechen glauben wollten, Heilung sei möglich. So gewann er sie offenbar für seine Arzneimittel-Lotterie.

Dabei gibt es durchaus Warnungen, so wie am 20. Januar 2017: Nach Durchsicht von Patientenakten schreibt ein entsetzter Klinikarzt an den Direktor der Klinik für Nuklearmedizin, Frank Grünwald: „Wir mussten feststellen, dass grundlegende wissenschaftliche, ärztliche und ethische Standards nicht eingehalten werden.“ Es fehlten Laborwerte und Arztberichte, Empfehlungen zur PSMA-Therapie würden „nicht durchgehend eingehalten“, heißt es in der E-Mail.

Grünwald tangiert das offensichtlich nicht. Er lässt seinen Oberarzt nicht nur machen, er selbst behandelt Prostatakrebspatienten ähnlich fragwürdig, sogar noch in diesem Jahr.

Der Krebspatient Fiedler jedenfalls vertraut Bergter. Was soll an einer Uniklinik auch falsch laufen?

Die Tumorkonferenz der Klinik empfiehlt Fiedler eine Chemotherapie. Die Ärzte folgen in der Regel dem Votum des Expertengremiums – verpflichtet sind sie dazu aber nicht. Bergter habe „seine PSMA-Therapie“ effizienter, besser gefunden, erzählt Fiedler. „Ich habe ihm geglaubt. Er hat das Vermögen, einem Hoffnung zu machen.“

Hoffnung – Fiedler hungert danach.

Und Bergter gibt der Hoffnung einen Namen: Lutetium-PSMA.

Die Wundertherapie mit Lutetium-PSMA hat einen Boom ausgelöst

Das Medikament ist der neue Popstar unter den Krebstherapien, in der Nuklearmedizin hat die neue Therapie einen regelrechten Boom ausgelöst. Weltweit sterben jährlich 250.000 Männer an Prostatakrebs. Eine Volkskrankheit, deren Behandlung auch zu einem Wirtschaftsfaktor geworden ist.

File:Schockraum Uniklinik MA.jpg

Der Wirkmechanismus klingt überzeugend. Mit Lutetium-PSMA lassen sich Tumore zielgenau bestrahlen. Auf Prostatakrebszellen sammelt sich das sogenannte Prostataspezifische Membranantigen, kurz PSMA, in hoher Konzentration. Es besitzt einen Rezeptor, über den Nuklearmediziner das radioaktive Lutetium-177 wie ein trojanisches Pferd in die Zelle schleusen. Die Strahlung zerstört den Tumor direkt vor Ort. Die Nebenwirkungen sind daher möglicherweise sehr gering.

Genial. Jedenfalls in der Theorie.

Bei einem Drittel der Patienten wirkt es, das zeigen rückblickende Daten von Dutzenden weltweit mit PSMA-Therapie behandelten Männern. Doch bei einem Drittel ändert sich nichts und bei einem weiteren Drittel der Patienten wächst der Krebs sogar weiter. Trotz Lutetium-PSMA. Warum, ist unklar. Daher tasten sich die meisten der mehr als 50 Kliniken, die in Deutschland eine PSMA-Therapie schon anbieten, vorsichtig heran: Patienten erhalten sie erst, wenn alle herkömmlichen Methoden ausgereizt sind.

Nicht so bei den Ärzten um Wolfgang Bergter an der Uniklinik Frankfurt. Dabei hilft ihnen die fast grenzenlose Freiheit, die sie als Ärzte genießen: Niemand darf ihnen vorschreiben, wie und womit sie ihre Patienten behandeln, solange die Patienten einverstanden sind. Orientierung geben Leitlinien, in denen mehrere Fachgesellschaften festlegen, wie therapiert werden soll.

Für Prostatakrebs ist die Leitlinie mit dem höchsten Empfehlungsgrad S3 eindeutig: Lutetium-PSMA soll nur angeboten werden „nach Ausschöpfen der empfohlenen Therapieoptionen“ – also nach Antihormontherapie und Chemo – sowie auf Empfehlung der Tumorkonferenz, in der Ärzte mehrerer Fachrichtungen über die beste Behandlung beraten.

Todkranke Prostatakrebspatienten wollen nicht zweifeln

Uwe Haberkorn, einer der Erfinder der Therapie am Deutschen Krebsforschungszentrum der Uniklinik Heidelberg, setzt Lutetium-PSMA seit 2011 ein. Er sieht enormes Potenzial. Doch der Professor für Nuklearmedizin bleibt vorsichtig und hält sich im Gegensatz zu seinen Frankfurter Kollegen strikt an die Leitlinien: „Würden wir die PSMA-Behandlung vorziehen, verzögerten wir Therapien, deren Wirkung anerkannt ist“, sagt Haberkorn. „Woher wollen wir heute wissen, ob in einem bestimmten Stadium die Antihormontherapie oder Chemotherapie nicht besser wirken als PSMA?“

Todkranke Krebspatienten hegen aber meist keine Zweifel, sie wollen an ihre Rettung glauben, an Heilung. Die vermeintliche Wundertherapie ohne Nebenwirkungen verbreitet sich in Internetforen. Viele Männer wollen sie – statt der Antihormontherapie, die impotent machen kann, statt der Chemo, die Übelkeit und Durchfall bringt.

Bei Bergter in Frankfurt bekommen sie PSMA, das spricht sich herum.

Krebspatient Jürgen Wollbert* hat verzweifelt nach so einem Rettungsanker gesucht. Noch ist seine Krankheit wenig fortgeschritten, er hat Zeit. Und doch Angst, ständig, vor allem nachts. Im Internet sucht er nach Hilfe – und findet das neue Wundermittel. Am nächsten Tag ruft er bei Bergter an. „Ich war überrascht, als ich ihn sofort erreichte“, sagt der 77-Jährige heute. Bergter habe ihm in Aussicht gestellt, mit nur einer Behandlung seine Krankheitszeichen loszuwerden und von „vielen sehr guten Erfahrungen“ gesprochen.

Alles ist so überzeugend – die Therapie, der Arzt, die Bilder

Quelle      :         Spiegel-online               >>>>>            weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben        —       University hospital Frankfurt Universitätsklinik Frankfurt am Main

Source Selbst fotographiert / photo taken by uploader
Author Director84

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