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Prügelknabe China

Erstellt von Redaktion am Sonntag 7. Juni 2020

Wie können Schlechte bei anderen Gutes finden ?

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Schiff des chinesischen Spediteurs Cosco im Panama-Canal

Quelle       :      INFOsperber CH.

Von Harry Rosenbaum / 07.06.2020

Seit Corona ist China-Bashing populär. Der Soziologe und China-Kenner Patrick Ziltener warnt vor einem Diskurs wie im Kalten Krieg.

Corona machte auch Patrick Ziltener einen Strich durch die Rechnung: Wegen der Pandemie musste der Soziologe auf die Führung einer Reisegruppe durch China verzichten und an der Uni St.Gallen fiel seine für April und Mai geplante öffentliche Vorlesungsreihe über die Volksrepublik ins Wasser. China-Kenner Ziltener hatte sich dafür viel vorgenommen. Er wollte darüber sprechen, wie sich die Volksrepublik im laufenden Handelskrieg mit den USA defensiv aufgestellt hat und sich trotzdem bei der offensiven Einflussnahme in Asien und anderen Weltregionen sowie in den internationalen Institutionen nicht beirren lässt.

Das Land bediene sich dabei der ganzen Bandbreite diplomatischer und institutioneller Initiativen, hiess es dazu in der HSG-Vorschau. Vorgesehen war eine Tour d’Horizon durch die bilateralen Freihandelsabkommen, die Verhandlung von «Mega-Regionals» bis hin zur «neuen Seidenstrasse». China sieht in der «neuen Seidenstrasse» eine offene Plattform als «Forum für den Fortschritt der Welt». Das Projekt unter dem Titel «One Belt One Road» (Ein Gürtel, eine Strasse) bezweckt den Ausbau von Handels- und Infrastrukturprojekten zwischen China und rund 60 Ländern Europas, Asiens und Afrikas. Dafür stellt die Volksrepublik viel Geld bereit und projiziert das chinesische Modell ultimativ auf die globale Bühne.

«Neue Seidenstrasse» nicht gefährdet

Ziltener rechnet nicht damit, dass China wegen der Pandemie wirtschaftlich zurückgeworfen wird. Bestimmt werde die Krise Auswirkungen haben, meint er, aber die Volksrepublik sei gut aufgestellt, um sich relativ schnell wieder zu erholen. Das gelte auch für die «neue Seidenstrasse». «Ich glaube nicht, dass die Pandemie sich in eine nachhaltige Störung des globalen Megaprojekts umsetzt», sagt Ziltener. «Das Wachstum ist zwar eingebrochen, aber der Güterhandel wird sich wieder normalisieren. Eine gewisse Redimensionierung und Temporeduktion hat schon vorher eingesetzt.»

Nach offiziellen chinesischen Darstellungen sind die monatelang abgeriegelte 11-Millionen-Industriestadt Wuhan und die Provinz Hubei, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, praktisch zur Normalität zurückgekehrt und in allen Betrieben soll wieder gearbeitet werden. Ziltener hält das für glaubwürdig. «Jedenfalls widersprechen diese Angaben nicht den Informationen, die ich von meinen Kontaktpersonen habe.»

Das Nervenzentrum Wuhan

Welche Bedeutung haben die Industriestadt Wuhan und die Provinz Hubei für die chinesische Volkswirtschaft? «Die Provinz liegt geografisch zentral im chinesischen Kernland am längsten Fluss Chinas und Asiens, dem Yangtse, und war schon immer ein wichtiger Umschlagplatz und Verkehrsknotenpunkt für Schifffahrt und Eisenbahn», sagt der China-Kenner. Die Provinz sei eines der industriellen Zentren Chinas, beispielsweise für die Automobil- und Chemieindustrie. «Kohle- und Eisenvorkommen bilden die Grundlage für die Wuhan Iron and Steel Corporation, eine der grössten Eisenhütten Chinas», so Ziltener. Zudem sei die Provinz Hubei ein wichtiges Landwirtschaftsgebiet.

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Die Provinzhauptstadt Wuhan mit rund 11 Millionen Einwohnern liegt dort, wo der Han-Fluss in den Yangtse mündet, und entwickelte sich historisch aus drei Städten (Hankou, Hanyang und Wuchang) auf beiden Seiten des Yangtse. Erst 1949, zur Zeit der Gründung der Volksrepublik, wurden die drei Städte vereinigt. Wuhan, das Epizentrum der Pandemie, liegt sowohl etwa in der Mitte der Nord-Süd-Achse Beijing–Guangzhou als auch in der Mitte der West-Ost-Achse Chongqing–Shanghai. «So kann man verstehen, was der Lockdown vom 23. Januar bis 8. April in dieser zentralen Provinz wirtschaftlich wie logistisch für das ganze Land bedeutete. Direkt waren etwa 57 Millionen Menschen betroffen», sagt Ziltener.

Aversionen gegen China

Szenenwechsel. US-Präsident Donald Trump holte in den letzten Wochen immer wieder zum Rundumschlag gegen China aus. Zunehmend aggressiver kolportiert er die Geschichte, das neue Coronavirus sei aus einem Labor in Wuhan entwichen. Belegen lässt sich diese These aber nicht. Ebenso fehlen die Beweise für den Vorwurf, China habe den Ausbruch der Pandemie lange verheimlicht und so die weltweite Ausbreitung verschuldet.

Er sei von China sehr enttäuscht, klagte Trump kürzlich bei seinem Leibsender «Fox News TV». «Ich will im Moment mit Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht reden. Wir können die Beziehungen komplett abbrechen.»

Wiederholt warf der amerikanische Präsident der Weltgesundheitsorganisation WHO vor, unter der Kontrolle der Regierung in Peking zu stehen, und stellte mitten in der Coronakrise die amerikanischen Pflichtzahlungen an die Uno-Organisation ein.

Aversionen gegen die Volksrepublik verbreiten gezielt auch Mainstream-Medien wie die Deutsche Presseagentur (dpa) und die einst weltgrösste, heute serbelnde US-Nachrichtenagentur The Associated Press (AP). Und die deutsche Boulevard-Zeitung «Bild» scheut sich nicht, ihre Hasskampagne gegen China mit Parolen aus der Mottenkiste des Kalten Krieges zu würzen. Das neue Coronavirus hat in der «Bild»-Redaktion den sinnigen Namen «kommunistisches Virus» bekommen.

Ins undifferenzierte China-Bashing stimmte auch bluewin.ch, das Newsportal von Swisscom, ein: «Wie China versucht, die Welt nach der Krise zu prägen» lautete kürzlich eine reisserische Schlagzeile. Schon durch den Lead des Beitrags irrlichterte die Räuberpistole: «China ist derzeit so unbeliebt wie nie. Dennoch macht sich das Land daran, die Wirtschaftsordnung der Post-Corona-Zeit zu prägen. Dabei bedient es sich eines Mittels, das Tradition hat: der Geschichtsfälschung.»

Was folgte, war ein Exkurs über die komplizierte, mehrere tausend Jahre alte Geschichte des Reichs der Mitte, in dem das Land als Chaos-Konstrukt dargestellt wurde. Weiter reihte der Beitrag unbelegte Behauptungen über das China der Gegenwart aneinander und stellte ebenso unbewiesen die These auf: «Derzeit befindet sich die Wirtschaft des Landes an einem Tiefpunkt!» Der Autor oder die Autorin des Artikels zog schliesslich das Fazit: «Das politische System Chinas, das auf Unfreiheit und auf Druck nach unten basiert, es hat in der Krise völlig versagt.»

China kontert

Unter der Überschrift: «Eine globale Krise ist keine Bühne für die Publicity-Stunts einzelner Medien» setzt sich Zhao Piao in der regierungsnahen «Beijing Rundschau» mit der Anti-China-Publizistik einiger deutscher Medien auseinander. Dazu zählt er vor allem die «Bild»-Zeitung. Er greift einen Fall von Diffamierung heraus: In der «Bild» vom 15. April wurde behauptet, China habe «seine Informationspflichten gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verletzt».

Als Reaktion darauf veröffentlichte die chinesische Botschaft in Deutschland am selben Tag einen Offenen Brief an die Chefredaktion. In dem Brief wird auf den genauen zeitlichen Ablauf, die sogenannte Timeline, bei der Erfüllung der Informationspflichten Chinas hingewiesen: Bereits am 31. Dezember 2019 haben die chinesischen Behörden die WHO über Fälle von Lungenentzündung unbekannter Ursache in Wuhan informiert. Ab dem 3. Januar 2020 informierte China die WHO und andere Ländern wie die USA regelmässig über den Verlauf. Am 11. Januar stellte China vollständige Genomsequenzen des neuartigen Coronavirus öffentlich online und teilte die genetischen Daten mit der WHO. Auf der offiziellen Website der WHO ist diese Timeline exakt bestätigt.

Als der Moderator der «Deutschen Welle» am 19. April Julian Reichelt, Chefredaktor der «Bild», nach der Timeline fragte, antwortete Reichelt: «Ich denke, als Journalisten sollten weder Sie noch ich zu viel von dem glauben, was das chinesische Regime gesagt hat.» Zhaos Kommentar: «Einerseits wirft ‹Bild› China die ‹Verletzung seiner Informationspflichten› vor, andrerseits erklärt ihr Chefredakteur, dass er den Informationen der chinesischen Seite sowieso nicht glaube. Wie soll man mit einer solchen Person noch diskutieren? Zu erwarten, dass ‹Bild› die Tatsachen anerkennt, ist nicht weniger schwierig als eine Person wecken zu wollen, die vorgibt, eingeschlafen zu sein.»

Das Fazit des Berichts in der «Beijing Rundschau» lautet: «Angesichts der gegenwärtigen, durch die Pandemie ausgelösten Krise besteht die dringlichste Aufgabe der internationalen Gemeinschaft darin, Leben zu retten, die Gesundheit der Menschen zu schützen, Erfahrungen aus dieser Krise zusammenzufassen und zu kooperieren, anstatt die Fakten zu verfälschen, Hass zu schüren und den Kampf Chinas gegen die Epidemie zu politisieren.»

Braucht China Fürsprache?

Angesprochen auf solche Debatten, meint Patrick Ziltener: «Wir müssen China, die neue Grossmacht, die unsere Welt im laufenden Jahrhundert mit- und umgestaltet, ernst nehmen und umfassend, interdisziplinär und natürlich auch politisch analysieren. Simple, vereinfachende Beschreibungen und Analogien beispielsweise zur Sowjetunion sind zu überwinden, und vor allem dürfen wir nicht in einen Kalter-Krieg-Diskurs fallen. Dass China die Welt in seinem Interesse umgestalten will, ist legitim. Es wird Interessendivergenzen mit dem Westen geben, Rivalitäten und wahrscheinlich auch politische Konflikte.»

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Wer sieht schon Einäugige unter den Blinden ? USA First  !!

Und wie verhält es sich mit der Unfreiheit? Die grosse Mehrheit der chinesischen Bevölkerung habe kein Problem mit den meisten Überwachungstechniken und ihrer verbreiteten Anwendung, sagt Ziltener. «Es heisst häufig, das treffe ja nur die Troublemakers – und die verdienten es ja. Alle wissen, dass das Internet und die Social Media gefiltert werden. Am meisten gefiltert wird übrigens dann, wenn sich wegen Behördenversagen etwas Negatives ereignet hat und ein Shitstorm entsteht, und nicht etwa politische Diskussionen.»

Ob die Stabilität des chinesischen Systems nur mit einem Gewaltregime aufrechtzuerhalten sei, sei eine oft und kontrovers diskutierte Frage, sagt Ziltener. «Es gibt prominente Analytiker, die sagen, es handle sich um ein korruptes Regime im fortgeschrittenen Zerfallsstadium. Die Mehrheit jedoch sieht einen impliziten Pakt zwischen der KP-Regierung und der Bevölkerung: Sie verbessert die Regierungsführung (Governance) und liefert Resultate für alle. Dafür werden keine regimekritischen Forderungen erhoben. Daran halten sich natürlich nicht alle, aber die ganz grosse Mehrheit.» Solange also der Aufstieg Chinas so weitergehe, werde das Regime so bleiben, wie es ist, «mit schrittchenweisen, punktuellen und graduellen Reformen.»

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Dieser Beitrag erschien im Juniheft des Ostschweizer Kulturmagazins «Saiten».

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Grafikquellen      :

Oben       —      Thomas Lamadrid, Panama Canal with three ships. Taken July 3, 2003

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2.) von Oben     —      Yingwuzhou Yangtze River Bridge(20160429)

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