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RENTENANGST

Prämissen unseres Todes

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 16. April 2020

Das Sterben erzählt vom Leben

Matthias Laurenz Gräff - "Trump. The Killing Machine".jpg

Könnten Tote erzählen – brauchten Politiker-Innen viele Anwälte.

Ein Schlagloch von Georg Diez

Corona ist eine Geschichte des Todes. Sehr direkt und auch im übertragenen Sinn. Es gibt viel Leiden und Schmerz, Angst und Einsamkeit. Viele Hel­fer*innen, Mediziner*innen, Kran­ken­haus­mi­tarbeiter*innen, die bis an den Rand ihrer Kräfte gehen. Die Bilder des Sterbens sind furchtein­flößend, sie wirken anonymisiert, industriell, es ist eine Maschine, die funktioniert oder auch nicht.

Diese Bilder wirken, direkt, sie wirken politisch, sie schaffen eine gesellschaftliche Realität. Für mich tut sich dabei, je länger diese Krise dauert, ein Widerspruch auf: Manche der Reaktionen auf das Virus haben, glaube ich, damit zu tun, dass die Frage des Todes auf eine Art und Weise geklärt werden soll – in vielen Fällen womöglich notwendigerweise – die das Leben in der Fülle seiner Facetten außer Acht lässt.

Es war der so inspirierende Denker Charles Eisenstein, der mich darauf stieß, in einem der besten Texte über die Pandemie, den ich bisher gelesen habe. Er heißt „The Coronation“, und Eisenstein beschreibt darin die zivilisatorischen Widersprüche, die in der Coronakrise aufeinandertreffen, von der Zerstörung der Umwelt, die die Immunabwehr des Menschen mittelbar und unmittelbar betrifft, bis zur Frage darüber, wie wir sterben wollen.

Eisenstein nennt das, was wir erleben, einen „Krieg gegen den Tod“. So weit würde ich nicht gehen. Aber in der geschichtlichen Perspektive hat er, glaube ich, recht: „Ich habe gesehen, wie die Fragen von Sicherheit, Gesundheit und Risikovermeidung in der Gesellschaft immer wichtiger wurden“, schreibt er. Vor allem die Kindheit, meint er, würde von diesem Sicherheitsdogma überwölbt. Die Konsequenz ist, dass Risiko, Leid, letztlich Freiheit und Tod einer Art Verdrängungsprozess ausgesetzt waren und sind.

Ich habe mich schon öfter mit dem Tod beschäftigt: Ich habe über den Tod meiner Mutter ein Buch geschrieben, das eigentlich von ihrem Leben handelte; und ich habe versucht zu erklären, warum der Suizid in der Philosophie und auch, für manche Menschen, im Leben mit einem Gefühl von Freiheit verbunden ist. Aber in den ersten Tagen und Wochen des Virus und des Lockdowns, der auch ein Lockdown des Denkens und Sagens war, war ich genauso verstört, verwirrt, verstummt wie viele andere. Ich wusste nicht, was wir erlebten. Und was ich las, dachte ich, das berührt manches, aber nicht das Eigentliche.

Was das allerdings sein kann, das Eigentliche im Kontext der Angst vor der Krankheit, das entglitt mir. Eisenstein nun zeigte mir eine mögliche Art, über diese Krise nachzudenken: Seine Grundannahme ist, dass die Gesellschaft durch den technischen Fortschritt ein Bild des menschlichen Lebens geschaffen hat, das allzu leicht auf das Biologische reduziert wird. In der gegenwärtigen Krise heißt das, dass Virologen den Ton angeben und die medizinischen Möglichkeiten entscheidend sind.

Es ist nicht das „nackte Leben“, wie es der Philosoph Giorgio Agamben genannt hat – es ist vielmehr das gerettete Leben, also die Vorstellung davon, dass Rettung an sich mit allen Konsequenzen richtig ist. Und hier fängt das Problematische in der gegenwärtigen Situation an: der Automatismus, mit dem Maßnahmen, die möglich sind, und deshalb durchgeführt werden, nun als gesellschaftliche Grundannahme und Grundlage für konkretes politisches Handeln dienen.

Quelle      :      TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben          —       Matthias Laurenz Gräff, „Trump. The Killing Machine“, oil on canvas, 60×80 cm, 2017———– Permission link – Website Matthias Laurenz Gräff https://www.matthiaslaurenzgraeff.com/kontakt/

  • CC BY-SA 4.0view terms
  • File:Matthias Laurenz Gräff – „Trump. The Killing Machine“.jpg
  • Created: 2017-08-30 15:33:45   

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