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Postwachstum und Corona

Erstellt von Redaktion am Montag 27. April 2020

„Nicht mehr zurück ins Hamsterrad“

Ein Interview von Jost Maurin mit Niko Paech

In der Zwangspause vom Leistungsstress erkennen viele Menschen die Vorteile einer entschleunigten Gesellschaft, sagt Wachstumskritiker Niko Paech.

taz: Herr Paech, ist die Coronakrise eine Gelegenheit, das Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende Umweltzerstörung dauerhaft zu bremsen?

Niko Paech: Ja, die Coronakrise ist eine Chance. Krisen decken Fehlentwicklungen auf: Die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern wie Atemschutzmasken oder Beatmungsgeräten erscheint plötzlich gefährdet. Unser Wohlstandsmodell entpuppt sich als verletzlich. Darauf können wir angemessen nur mit einer Postwachstumsstrategie reagieren.

Was bedeutet das?

Wir müssen auf Wirtschaftswachstum verzichten. Die deutsche Wirtschaft beispielsweise müsste weniger komplex und autonomer werden, damit im Krisenfall alle substanziellen Güter vor Ort hergestellt werden können. Eine Deglobalisierung mindert zwar die Kostenvorteile der entgrenzten Arbeitsteilung, stärkt aber die Stabilität. Das hat ökologische und soziale Wirkungen.

Welche?

Kürzere Wertschöpfungsketten lassen sich demokratischer und ökologischer gestalten, weil wir leichter auf sie einwirken können. Gleichwohl kann dies die Arbeitsproduktivität senken. Also steigen die Preise, während die Auswahl und die Produktionsmengen sinken, tendenziell auch die Löhne. Einfach weil Unternehmen dann die Produktion nicht mehr so leicht in spezialisierte Teilprozesse zerlegen und sie an die jeweils kostenoptimalen Standorte verschieben können. Dann werden die Menschen sich nicht mehr so viel leisten können. Die bessere Welt kriegen Sie nicht zum Nulltarif. Aber das bringt Krisenstabilität und neue Arbeitsplätze, wenngleich weniger im akademisierten als im handwerklichen Bereich.

Das werden Regierungen nur machen, wenn die Wähler zustimmen. Ist das zu erwarten?

Noch gibt es dafür keine Mehrheit. Aber die Coronakrise deckt für mehr Menschen auch Sinnkrisen auf. Viele Menschen leben nicht nur materiell, sondern auch psychisch über ihre Verhältnisse. Durch die Zwangspause vom Leistungsstress spüren sie, was ihnen zuvor verborgen blieb: Ein stressfreieres und verantwortbares Leben zum Preis von weniger Konsum- und Reisemöglichkeiten ist vielleicht gar kein schlechter Deal, zumal sich die Balance zwischen beidem austarieren lässt. Manche werden gar nicht mehr zurück ins Hamsterrad wollen, sondern möchten etwas von dem, was sie jetzt als Entlastung erleben, in die Post-Corona-Zeit hinüberretten.

Warum sind Sie eigentlich da so optimistisch?

Es mehren sich Erlebnisberichte darüber, wie Menschen die freigestellte Zeit genießen. Viele räumen auf, reparieren, arbeiten im Garten, lesen viel oder wenden sich Familienmitgliedern zu.

Ist es nicht wahrscheinlicher, dass viele Leute ihre jetzt unterdrückten Konsumwünsche nach der Krise erst recht ausleben?

Kann gut sein, dass sich manche in „Wohlstandstrotz“ üben werden. Aber von Krise zu Krise wächst der Anteil der Menschen, die sich dem Steigerungswahn verweigern und ökologischen Vandalismus missbilligen. Das kann neue gesellschaftliche Konflikte verursachen – aber ohne die wird es keinen Wandel geben.

Viele Eltern haben in der Corona­krise sogar mehr Stress, weil die Kinderbetreuung fehlt. Zahlreiche Menschen entwickeln Zukunftsängste. Kann daraus wirklich etwas Positives entstehen?

Früher oder später wird die Angst um die Überlebensfähigkeit unserer Zivilisation größer sein als die Angst vor dem Wohlstandsverlust, der sich zudem begrenzen und ertragen ließe. Aber je weniger Konsequenzen Richtung Postwachstumsökonomie gezogen werden, desto mehr gilt: Nach der Krise ist vor der Krise.

Heißt das: Je häufiger Krisen kommen, desto schneller gibt es eine Mehrheit für Degrowth?

Ja. Die Lehman-Brothers-Krise 2009 galt als schwerster Einbruch seit dem Schwarzen Freitag 1929. Jetzt sind gerade kaum mehr als zehn Jahre vergangen und eine noch schlimmere Krise breitet sich aus. Die Einschläge rücken näher. Lehman, Corona und die absehbar nächsten Krisen haben dieselbe Ursache: eine Lebensform, die auf blindwütiger Digitalisierung, Entgrenzung und Wohlstandsmehrung beruht. Weil diese Entwicklung weitergeht, sind die Ursachen der nächsten Krise bereits angelegt.

Inwiefern?

Im Wettbewerb um die Wählergunst überbieten sich Parteien darin, kurzfristig Symptome zu lindern, also alles, was nicht bei fünf auf den Bäumen ist, mit viel und billigem Geld zu übergießen, statt Strukturen so zu verändern, dass langfristig das Krisenrisiko sinkt. Insoweit dies auf Schulden basiert, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise. Es fehlt der Mut, eine Vermögensabgabe oder einen Lastenausgleich in Gang zu bringen, um diese Kosten durch Umverteilung zu finanzieren. Die Angst davor, dass dies Wählerstimmen kostet, ist noch zu groß.

File:Hamsterrad.jpg

Microsoft-Gründer Bill Gates sagt: Es wird zum Beispiel weniger Geschäftsreisen geben und dafür mehr Videokonferenzen. Gibt das Hoffnung?

Wenn Bill Gates das sagt, verbirgt sich dahinter die Hoffnung auf den Durchmarsch der Digitalisierung. Aber die Coronakrise ist gerade eine Krise der Digitalisierung.

Das Virus ist doch nicht über das Internet übertragen worden.

Ohne hinreichende Globalisierung des Personen- und Güterverkehrs wäre aus einer Epidemie keine Pandemie geworden. Und die entgrenzte Verflechtung zwischen Ländern beliebiger Entfernung, so auch zwischen China und Europa, ist ein Produkt der Digitalisierung – ganz gleich ob durch erschwingliche Direktflüge von Wuhan nach Italien oder intensive Wertschöpfungsbeziehungen. Nur kraft digitaler Medien konnte der bayerische Autozulieferer, bei dem der erste deutsche Coronafall festgestellt wurde, in China produzieren: Eine chinesische Webasto-Mitarbeiterin trug das Virus nach Deutschland. Die Digitalisierung ist zugleich Basis und Brandbeschleuniger aller Modernisierungskrisen.

In welchen Bereichen sollte die Globalisierung zurückgefahren werden?

Quelle     :         TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben        —        [1] ein Hamster in einem Hamsterrad

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Unten         —          Karikatur: Immer dem Ball nachlaufen aber nie erwischen im ewigen Hamsterrad

Author Jacquelinekato

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