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Pflege-einmal privat, bitte

Erstellt von Redaktion am Sonntag 17. Juni 2012

Pflegeversicherung – einmal privat, bitte

Die Meisterschüler des Neoliberalismus sind erneut unterwegs. Wiedergänger. Zombies. Aus der Geschichte und aus den Krisen nichts gelernt. Nachdem seine Vorgänger bei der Reform des Gesundheitssystems an ihrer jeweiligen Unfähigkeit und Dummheit gescheitert sind, versucht der derzeitige Gesundheitsminister Daniel Bahr, der in Sachen Unfähigkeit und Verblödung seinen Vorgängern in nichts nachsteht, es nun mit der Pflegeversicherung. Daniel Bahr, der 5 Euro-Minister!. Die Kälte von Untotem, von Zombiehaftem, weht uns an. Sie weht von denen her, die man ebenso falsch wie irrig die „Spitzen“ der Gesellschaft nennt: Von den ökonomischen und politischen Institutionen unserer Gesellschaft her.

Angesichts sich ausbreitender Verwahrlosung und Verödung könnte man verzweifeln. Armut. Nicht nur materiell. Auch geistig. Auch psychisch. In Diskussionsrunden. In Parlamenten. In Arbeitsämtern. In Präsidien. In Rathäusern. In Sozialämter. In Krankenhäusern. In Pflegeeinrichtungen. Ganze Stadtteile verkommen. Nicht zu reden von Konzernzentralen. Und was uns die Politik derzeit bietet, ist Chaos, ist – zusätzlich zum politischen Wirrwarr –„brutalstmögliche“ soziale Eiszeit. „Wir denken“, sagt Ulrich Beck, „in Zombie-Kategorien. In jenen vegetiert der öffentliche Diskurs dahin. Wir sind so erkaltet wie jene Zombie-Institutionen, in denen wir häufig leben ohne zu leben.“

In die Pflegeversicherung soll nun in einem ersten Schritt das Kapitaldeckungsverfahren eingeführt werden. Privatisierung! – ist das gängigere Wort dafür. Politiker und Ökonomen haben aus der Geschichte wirklich nichts gelernt. Fünf Euro Zuschuss für die Pflege! Das Hohngelächter der Menschen bricht sich an den Grenzen unseres Staates. Fünf Euro! Dabei nützen diese „Fünf Euro“ in Wahrheit nicht der Vorsorge, sondern vor allem der Versicherungswirtschaft – und den Besserverdienenden. Denn Beiträge für eine private Zusatzpflegeversicherung können sich nur Bessergestellte leisten. Wir haben es wieder einmal mit klassischem FDP-Lobbyismus zu tun. Diesmal nicht zugunsten der Hoteliers, sondern zugunsten der Versicherungswirtschaft“. Nichts neues im Westen. Die Spaltung der Gesellschaft setzt sich fort.

Das marktgängige Denken, das zu Vorschlägen wie beispielsweise die Einführung des Kapitaldeckungsverfahren in die Pflegeversicherung führt, wurde durch die Lehren angelsächsischer Marktradikalität an den deutschen Hochschulen der Wirtschaftswissenschaften verbreitet. Die Gehirne ganzer Generationen von BWL- und VWL-Studenten sind mithilfe solcher Irr-Lehren vergiftet worden. Wir haben es mit kranken Gehirnen zu tun, mit verlorenen Generationen.

Aber diese Generationen sitzen derzeit in meist beratender oder assistierender Funktion in den Zentralen der Macht. Sie basteln mit an Gesetzen, denen die ganze Gesellschaft zu folgen hat. Ein fataler Zustand. Der irrige Glaube an die Überlegenheit angelsächsischen Managements hat zu Fehlentwicklungen geführt, die heute als moralische Defizite wahrgenommen werden, aber etwas anders sind. Diese Art der Unternehmensführung hat Personen an die Spitze politischer Entscheidungsgremien und großer Unternehmen gebracht, die früher keine Chance gehabt hätten und auch heute in den richtiggeführten Unternehmen nicht in Spitzenpositionen kommen.

Es ist an der Zeit, das Klassen-System endlich zu Grabe zu tragen. In der gesamten Gesellschaft und ganz besonders im Gesundheits- und Pflegewesen. Es ist hoch an der Zeit, die Versicherungspflicht- und die Beitragsbemessungsgrenze endgültig dem Garaus zu machen. Eine Bürgerversicherung muss die Leerstellen neu besetzen – und an dieser Bürgerversicherung sind alle Bürgerinnen und Bürger mit allen ihren Einkommensarten in angemessener Weise zu beteiligen.

Die Aufspaltung der Bevölkerung wird heute vollendet durch eine die Würde des Menschen verachtende und undemokratische Spaltung in mindestens zwei gesellschaftliche Klassen. Weltweit ist die in Deutschland bestehende und mit solidarischen Grundsätzen nicht zu vereinbarende Art der Risikoabsicherung ein einzigartiges Kuriosum. Neben einer gesetzlichen Vollversicherung existiert in Deutschland ein privates Voll-Krankenversicherungssystem, das jeder Sozialstaatlichkeit Hohn spricht. Es herrscht kein Wettbewerb, und für die meisten Versicherten besteht keine Wahlfreiheit. Die Grundzüge einer in sich zerklüfteten Klassengesellschaft finden auf dieser Ebene bereits die Wurzeln gewollter und zutiefst ungerechter klassenbetonter Ungleichheit. Es wird immer deutlicher, dass mit dem Sozialstaat auch die Demokratie zugrunde geht.

Eine explizite soziologische oder sozialwissenschaftliche Betrachtung der gesellschaftlichen Gruppen in den beiden unterschiedlichen Absicherungssystemen erübrigt sich an dieser Stelle, da die eklatanten Ungleichheiten und die daraus resultierenden einseitigen Belastungen der gesetzlich Versicherten auch ohne wissenschaftliche Analyse für jedermann unmittelbar einsichtig sind. Ebenso wird die ungleiche Risikobehaftetheit der gesellschaftlichen Gruppen in den beiden Systemen radikal einsichtig. Während die Beitragszahler der GKV die großen und problematischen Risiken der Gesamtgesellschaft tragen, entziehen sich die Beitragszahler der PKV ihrer solidarischen Verpflichtung – deren sie sich allerdings gerne dann erinnern, wenn ihnen in Folge ernsthafter oder chronischer Krankheiten oder beruflichen oder finanziellen Niedergangs die „Segnungen“ der PKV kalten Herzens entzogen werden.

Problematisch sind ferner jene gesellschaftlichen Gruppen, die aus ihrer geschichtlichen Entstehung, die noch aus feudalistischen „Kaiserzeiten“ und aus der Diktatur des Nationalsozialismus resultiert, dazu tendieren, sich außerhalb des „gewöhnlichen Volks“ zu stellen. Gemeint sind die mittleren und höheren Beamten, die Pensionäre, die Abgeordneten und Minister und nicht zuletzt die Richter. Sie alle werden von der steuerzahlenden Bevölkerung überhöht über Steuern alimentiert, ohne dass sich diese Gruppen im realen Risikofall an den allgemeinen Belastungen, wie sie etwa durch die Wiedervereinigung, durch Frühverrentung, durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflege und Sterben entstanden sind oder entstehen, angemessen beteiligen. Ihre Mitgliedschaft in der PKV stabilisiert aus nicht nachvollziehbaren Gründen eben das private System bis zu etwa 80 Prozent – oder, anders gesagt, die Private Krankenversicherung wird mit Mitteln des Steuerzahlers am Leben erhalten (ein Widersinn in sich) – und das, ohne durch ihr gesamtgesellschaftliches Handeln dazu legitimiert zu sein.

Erst innerhalb einer umfassenden Bürgerversicherung, in die jeder Bürger und jede Bürgerin verpflichtend mit allen Einkommensarten ohne Begrenzungen einbezogen ist – und erst wenn die jetzigen Formen undemokratischer Selbstverwaltungen zerschlagen sind, wird sich ein Gesundheits- und Pflegesystem entwickeln lassen, das verantwortungsvoll, solidarisch und transparent seiner klassenlosen Verantwortung gerecht wird. Der erste Schritt einer solchen gesellschaftsweiten und versicherungstechnischen Neuordnung muss aller erst in der Abschaffung der Privaten Kranken-Vollversicherung und in der Auflösung ihres risikoträchtigen und fehlgesteuerten Kapitaldeckungsverfahrens bestehen.

Wir denken in Kosten- und Nutzenkategorien. Unsere Seelen sind starr. Wir schonen das Geld und schädigen das Leben. Wir blicken ehrfürchtig in Richtung Mammon, hören gebannt schwachsinnigen Börsenberichten und noch schwachsinnigeren Analysten zu, lassen uns von den Medien mit Ohnmachtgefühlen überfluten, die als Informationen daherkommen – und merken nicht, dass hinter unseren Rücken lebendiges Leben elend krepiert. Wir verlieren. Wir alle verlieren. Wir haben schon verloren. Wir haben längst das verloren, was Albert Schweitzer einst „Ehrfurcht vor allem Lebendigen“ nannte.

Die zur Wahrheit wandern, wandern allein.

Bund der Pflegeversicherten e.V.

Gerd Heming (Vors.)

Münster, Juni 2012

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Grafikquelle   :

Fotoquelle: Wikipedia
Source     It’s all about love
Author     Candida Performa

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4 Kommentare zu “Pflege-einmal privat, bitte”

  1. emschergenosse sagt:

    Man könnte nicht nur verzweifeln – man verzweifelt und resigniert letztendlich!

    Aber was kommt nach der Resignation? Tod oder Revolution? Eines Tages wird es sich auf diese beiden Dinge reduzieren! Noch bevor diese Staatsschmarotzer im Selbsbedienungsladen namens Parlament das Rentenalter auf 80 Jahre erhöhen.

  2. Gabriel van Helsing sagt:

    Diese Tage ein Angebot von einer meiner Versicherungen bekommen.

    Bei einen Zuschuss zur Pflege von 980 EURO pro Monat (infolge eines Unfall, das Doppelte), müsste ich z.Zt. einen Beitrag von 28 EURO Monatlich bis zu meinen 84 Lebensjahr bezahlen. Danach beitragsfrei. Damit das Einfacher geht, bemühen ich meinen Taschenrechner:
    Alter = 49 Jahre

    Beitragszeit 35 Jahre X 12 Monate X 28 EURO = 11.780 EURO Einzahlung. Inflation und Beitragserhöhung nicht erwähnt.

    Erwähnt wird nur am Rande – siehe Rückseite und Kleingedrucktes, dass diese Private Pflegeversicherung erst ab Pflegestufe 3 zum Tragen kommt.

    Meine Schwiegermutter ist Heimpatientin!
    Pflegestufe 3+.

    Kostenpunkt jeden Monat ca. 7.000 EURO.
    Meine Schwiegermutter bekommt eine sehr gute Rente, aber diese reicht auch nicht. Taschengeldempfängerin nennt man dies.

    Und als Schwiegersohn komme ich jetzt zum Zuge. Wir mussten uns Arm rechnen! Alle Familienangehörige haben, ob Beruflich oder Abhängig, ab 18 Jahren von mir einen Gesetzlichen Anspruch auf IHR Taschengeld – Kinder und Jugendliche dürfen ihr Taschengeld lt. Gesetzgeber verjubeln. Die werden noch nicht herangezogen. Bezahlt von mir! Von diesem Taschengeld geht ein Anteil für dieses Pflegegeld auf. Vater Staat kriegt schon seinen Anteil. Die Rente ist Sicher! Die Pflegeversicherung auch! Danke Nobi!!!!!!! Danke CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne!

    Um aber das obige weiter zu „spinnen“, dann müsste ich jeden Monat bei der Rechnung meiner Versicherung, ca. 220 EURO nur für diese Pflegeversicherung ablatzen. Falls evtl. diese Un-Kosten Plus-Minus Null blieben. Wenn ich Pflegestufe 3 bezahlen müsste. Inflation und Kostensteigerung nicht eingerechnet.

    Lieber Herr Bahr, was soll der Quatsch mit den 5 EURO?

  3. REWE sagt:

    Das ist kein Quatsch mit den 5 Euro Zuschuss im Monat, das ist in der Summe ganz schön Schotter, da werden ca. 4 Mrd. Euro jährlich aus der Staatskasse in die Versicherungskassen umgeleitet.
    Und wenn jeder noch 10 Euro privat drauf legt, sind es 12 Mrd. Euro.
    Die jeden Monat einzuziehen, zu verwalten und später dann in vielen Kleckerbeträgen auszugeben kostet viel Geld, ich sage mal 10 Mrd. Euro im Jahr.
    Diese Verwaltungskosten könnte man sich sparen, wenn diese Beträge in die Gesetzlichen Pflegeversicherungen geleistet würden, denn dort sind die entsprechenden Infrastrukturen vorhanden.
    Der Aufwand ist der Gleiche, ob monatlich 60 Euro einnimmt oder 75 Euro, die Fallzahlen bei den Ausgaben verändert das auch nicht.
    Auch für die Patienten wäre es einfacher, man hätte es nur mit einer Stelle zu tun und würde sich den Streit ersparen, dass die Gesetzliche etwas anerkennt, während die Private es ablehnt.
    Da lässt die Berufsunfähigkeitsversicherung grüßen.

    Aber es scheint hier nicht das Ziel zu sein, für die Pflegebedürftigen etwas Gutes zu machen, die kennt man garnicht.
    Es geht ausschließlich um das Wohl der Versicherungskonzerne, die kennt man.

  4. Diogenes sagt:

    @3 stimme voll zu. – Aber wo bleiben die öffentlichen Proteste? Dürtfen „die da oben“ denn tatsächlich ganz schamlos machen, was sie wollen? …

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