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NSU – erledigt

Erstellt von Redaktion am Samstag 21. August 2021

Entscheidung des Bundesgerichtshofes

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Ein Kommentar von Thomas Fischer

Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen von drei Angeklagten im NSU-Verfahren verworfen. Ihre Verurteilungen sind rechtskräftig. War’s das?

Entscheidungen

Das Aktenzeichen des Bundesgerichtshofs – 3. Strafsenat – lautet: 3 StR 441/20. Hinter den Ziffern verbergen sich bürokratische Bedeutungen: »3« heißt: Dritter Strafsenat, »StR« heißt: Revision in Strafsachen, »441/20« heißt: Das war die vierhunderteinundvierzigste Revision, die beim Generalbundesanwalt – der »Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof« – im Jahr 2020 für den 3. Strafsenat eingegangen ist. Am 12. August 2021 hat der Senat in der Sache zwei Beschlüsse gefasst und am 19. August zusammen mit einer längeren Presseerklärung veröffentlicht, nachdem er – sehr ungewöhnlich – am 12. August eine Pressemitteilung des Inhalts herausgegeben hatte, er werde demnächst eine Pressemitteilung herausgeben.

Das Verfahren 3 StR 441/20 wurde durch die beiden Beschlüsse hinsichtlich drei von vier Angeklagten rechtskräftig abgeschlossen. Entscheidungen des BGH in Strafsachen ergehen, wie es in § 349 Strafprozessordnung (StPO) geregelt ist, entweder durch Urteil oder durch Beschluss. Beschlüsse sind nur zulässig, wenn der Generalbundesanwalt (GBA) sie beantragt oder jedenfalls nicht die Durchführung der Hauptverhandlung beantragt hat, und wenn der Senat aus fünf Richtern einstimmig entscheidet. Ob über eine Revision durch einstimmigen Beschluss oder durch Urteil nach Hauptverhandlung entschieden wird, sagt nichts über die Bedeutung der Sache oder über die Erfolgsaussicht einer Revision. Routinemäßig wird über Revisionen von Staatsanwaltschaften stets mündlich verhandelt, auch wenn sie eigentlich »offensichtlich unbegründet« sind; angeblich verlangt das die Höflichkeit. Angeklagten, Nebenklägern oder Nebenbeteiligten wird sie meist nicht zuteil: Hier wird in 90 Prozent der Fälle ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden, obwohl diese Entscheidungsform nach der Vorstellung des Gesetzes eigentlich die Ausnahme ist. Täte man das nicht, würden allerdings die Senate mit der Arbeit nicht fertig. Und ehe die Justiz unter Stress gerät, sollen doch lieber die Angeklagten sich mit schriftlichen Nachrichten ohne Begründung zufriedengeben: 87 Prozent der Revisionen werden »als offensichtlich unbegründet verworfen, weil ein Rechtsfehler nicht vorliegt« – Ende.

So war es im Fall 441/20 aber nur teilweise: Das NSU-Verfahren ging zwar in Sachen Wohlleben mit einem Verwerfungsbeschluss zu Ende, dessen Begründung zwei Zeilen umfasst. Aber für die Verwerfung der Revision der Angeklagten Beate Zschäpe als »offensichtlich unbegründet« (mit kleinen Korrekturen des Schuldspruchs) hat der Senat doch 31 Seiten aufgewandt, wovon die Begründung zu der Frage, die allgemein als spannend angesehen wurde, zehn Seiten umfasst: Zschäpe war Mittäterin der Mörder Böhnhardt und Mundlos, nicht nur Gehilfin.

Täterschaft und Teilnahme

Über die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) und Teilnahme durch Beihilfe (§ 27 StGB) ist unendlich viel geschrieben und diskutiert worden, und auch in diesem Fall war sie Gegenstand der Erörterung. Dass man nicht »Täter« im Rechtssinn sein könne, wenn man am Tatort und/oder zum Tatzeitpunkt nicht körperlich anwesend ist, ist eine Mär, die noch nie gestimmt hat. Jeder würde es für ungerecht halten, wenn der sprichwörtliche »Bandenboss«, der seine Handlanger per Handy fernsteuert und nach der Tat 80 Prozent der Tatbeute kassiert, nur als »Gehilfe« mit einer geminderten Strafe bedroht würde. Wie so oft, lassen sich für die Abgrenzung keine allgemeinen, objektiven, stets exakt ablesbaren formalen Kriterien finden. Gerade im so genannten »Allgemeinen Teil« des Strafgesetzes ist das so: Was ist (schon) eine »Handlung« oder (noch) ein Nichtstun? Wann hört die bloße straflose Zustimmung auf und fängt die strafbare »Anstiftung« an? Ist jemand »Gehilfe« einer Tat, die von einem anderen in seiner Wohnung begangen wird? Was genau ist ein »Irrtum«? Solche Fragen sind nicht für Juraklausuren erfunden worden, sondern ergeben sich aus den unendlichen Lebenssachverhalten selbst, aus der Notwendigkeit, sie rechtlich einzuordnen, und aus der Unmöglichkeit, die unbegrenzte Vielfalt des Lebens in exakten, technisch messbaren Begriffen und Beschreibungen einzufangen.

So ist es auch mit der »Täterschaft«. Hier kommt es – einmal mehr – »darauf an«: Täter ist jemand, wenn er eine Tathandlung oder einen Taterfolg »beherrscht« oder mitbeherrscht, ihn steuert, etwas Notwendiges zur Verwirklichung beiträgt, über das Ob, Wie und Wann einer Tat entscheidet, und wenn er die Verwirklichung der Tat selbst will. Die Rechtsprechung nennt das »Tatherrschaft« und »Tatinteresse«. Wer für 50 Euro beim Einbruch »Schmiere steht« und gar nicht weiß, worum es geht, ist in der Regel nicht Mittäter, sondern Gehilfe. Wer die Einbruchsobjekte mit aussucht und die Hälfte der Beute kriegt, ist Mittäter, auch wenn er selbst nicht einsteigt.

Das Oberlandesgericht (OLG) München, dessen Staatsschutzsenat erstinstanzlich im NSU-Fall entschieden hat, hat Tatsachen »festgestellt«, nach deren Bewertung die Angeklagte Zschäpe sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse in allen abgeurteilten Fällen hatte, also Mittäterin gemeinsam geplanter und arbeitsteilig begangener Verbrechen war. Der Bundesgerichtshof als Revisionsgericht prüft, ob das Urteil der ersten Instanz »Rechtsfehler« enthält (§ 337 StPO). Er hat nicht zu entscheiden, ob man vielleicht auch etwas anderes hätte feststellen können oder ob andere Tatsachen als die festgestellten vielleicht wahrscheinlicher gewesen wären. Das Revisionsgericht prüft, ob die Feststellungen in sich schlüssig und vollständig sind, ob die Beweiswürdigung die naheliegenden Möglichkeiten gesehen und vertretbare Ergebnisse gefunden hat, und ob der rechtlichen Bewertung die richtigen Kriterien und Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind. Wenn das der Fall ist, ist das Urteil »rechtsfehlerfrei« und eine Revision zu verwerfen.

Quelle         :      Spiegel-online            >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben          —           Bundesgerichtshof („Federal Court of Justice of Germany”) in Karlsruhe

Ein Kommentar zu “NSU – erledigt”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Die Bestätigung der Urteile war zu erwarten gewesen. Deshalb könnte der Richter anderen Komplexe im NSU, Blood & Honor, Combat 18 ausgeblendet haben. Die Rolle der Behörden zum Beispiel. Somit hat der Richter Urteile die wasserdicht sind.

    Nun gibt es für die Justiz die Kapazitäten das Unterstützernetzwerk zu durchleuchten. Da gibt es zwei Ermittlungsverfahren. Eins gegen neun namentlich Beschuldigte, eines gegen Unbekannt.

    Was wir als Gesellschaft nicht wissen ist der Stand der Ermittlungen gegen die neun namentlich bekannten Personen. Selbst NSU Nebenklagevertretung als auch Mitgliederinnen und Mitglieder der Verfassungsorgane wie Landtag, Bundestag haben zu den Ermittlungsverfahren des GBA Erkenntnisse.

    Zu hoffen ist das es zu Anklagen kommen werden wird. Im schlimmsten Fall wird es gegen die neun Personen keine Anklage wegen Verjährung geben.

    Ein Rechtsfrieden welcher keiner darstellen würde.

    Deshalb sollten die Menschen im Land ruhig ihre MdL, MdB auf die Aufklärung zum NSU, Blood & Honor, Combat 18 ansprechen.

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