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Nordkorea: Angst+Gebrüll

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 19. Oktober 2017

Nordkorea – Mehr als 60 Jahre Wettrüsten auf der Halbinsel

Kim Jong Un Leader Saxobeat.jpg

von Martine Bulard

Mit seinen Atomversuchen destabilisiert Pjöngjang die Pazifikregion. Zuletzt verkündete Kim Jong Un Anfang September den erfolgreichen Test einer Wasserstoffbombe. Für das isolierte Regime ist die Bombe die einzige Lebens­versicherung. Soll die Welt Nordkorea als neunte Atommacht akzeptieren?

Seit fast einem Vierteljahrhundert beschäftigt Nordkorea mit seinem Atomprogramm die Welt. Seinen ersten Atombombentest führte das Land 1993 durch. Seit dem vergangenen Jahr aber hat Diktator Kim Jong Un die Schlagzahl ­erhöht: Innerhalb von nur zwanzig Monaten hat Nordkorea zehn Mit­telstrecken- beziehungsweise Interkontinentalraketen gestartet und nach eigenem Bekunden drei Atombombentests durchgeführt.

Gleichzeitig sendet das Land spektakuläre Bilder von seinen Militärparaden in die Welt (zuletzt am 15. April), bei denen Panzer und Raketen aufgefahren werden, und Kim drohte US-amerikanischen Städten sowie der Pazifikinsel Guam, wo sich eine US-Luftwaffenbasis befindet, mit der vollständigen Zerstörung. Am 14. September legte eine von Nordkorea abgefeuerte Rakete 3700 Kilometer zurück, bevor sie ins Meer stürzte – womit bewiesen war, dass auch die 3400 Kilometer von Pjöngjang entfernte Insel Guam nun innerhalb der Reichweite nordkoreanischer Raketen liegt.

Bislang hat sich Kim Jong Un zwar davor gehütet, seine Raketen tatsächlich in Richtung des US-Außengebiets Guam abzufeuern. Die Japaner allerdings sind bereits mehrmals von den schrillen Sirenen aufgeschreckt worden, die beim Überflug nordkoreanischer Raketen losheulen – denn dabei besteht immer die Gefahr eines unkontrollierten Absturzes.

US-Präsident Donald Trump reagierte auf Kim Jong Uns Provokatio­nen mit schneidigen Worten und Tweets. Am 8. August drohte er Pjöngjang mit „Feuer und Wut, wie es die Welt noch nicht gesehen hat“. Der chinesischen Regierung, die er für schwach hält, drohte Trump am 3. September mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen, denn „wer mit Nordkorea Geschäfte macht, kann keine mit uns machen“.

Mehr als 60 Jahre Wettrüsten auf der Halbinsel

Dem neu gewählten südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In warf er eine „Appeasement“-Politik gegenüber Pjöngjang vor, die „zu nichts“ führe. Seinem eigenen Außenminister Rex Tillerson bescheinigte Trump Anfang Oktober, er verschwende seine Zeit, wenn er versuche, mit dem Regime in Pjöngjang zu verhandeln.

Vorbei also die Zeiten, in denen Trump verkündete, er sei zu einem Treffen mit Kim bereit, wenn die Umstände es erlaubten.1 Stattdessen drohte er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 19. September Nordkorea mit „völliger Zerstörung“, sollte das Land seine Atompolitik nicht einstellen. Das US-Verteidigungsministerium und seine Experten spielen seither diverse Kriegsszenarien durch: von einzelnen Militärschlägen bis zu einem ausgewachsenen Krieg. Auch die gezielte Tötung Kim Jong Uns wird erwogen. Allerdings räumen diese Experten auch ein: „Alle Optionen sind schlecht.“2

Falken gibt es überdies nicht nur in Washington: So schrieb Valérie Niquet, Asienexpertin der Pariser Denkfabrik Fondation pour la recherche stratégique, in einem Meinungsbeitrag: „Im Fall Nordkorea ist die militärische Option noch die ungefährlichste.“3 Man kann sich vorstellen, welche Gefühle solche Äußerungen bei den 25 Mil­lio­nen Südkoreanern auslösen, die im Großraum Seoul leben, keine 60 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt. Selbst Steve Bannon, Trumps ehemaliger Strategieberater und eher kein Pazifist, hatte befunden, es gebe keine militärische Lösung dieses Konflikts.4

Und dennoch träumt die Sinologin Niquet in der Manier einer Stabschefin von einer Umgestaltung der gesamten Region. Am Ende blieben ihrer Vorstellung nach ein daniederliegendes Nordkorea ohne Atomwaffen, ein in seine Schranken gewiesenes China, ein in Mitleidenschaft gezogenes Südkorea, das aber zufrieden ist, „weil seine Forderungen nach härtesten Repressalien“ erfüllt wurden, sowie ein in seiner Rolle als Friedensengel bestärktes Amerika. Ganz wie im Irak, möchte man meinen.

Mit Ausnahme einiger stahlharter Konservativer lehnt die große Mehrheit der Südkoreaner angesichts der ab­sehbaren Folgen die militärische Op­tion ab. Präsident Moon Jae In hat zwar

die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems Thaad akzeptiert, die er nach seinem Amtsantritt am 10. Mai zunächst gestoppt hatte.

Aber er hat von US-Präsident Trump auch verlangt, dass dieser keine Entscheidungen trifft, ohne sich vorher mit Seoul zu beraten. Nach Angaben eines Mitarbeiters aus dem südkoreanischen Vereinigungsministerium beabsichtigt Moon sogar, Nordkorea humanitäre Hilfe zukommen zu lassen; die Rede ist von 8 Millionen Dollar, die über internationale Organisationen wie Unicef oder das Welternährungsprogramm fließen sollen.5 Moon Jae In selbst sagt, er setze auf eine Doppelstrategie aus Härte und Dialog. Doch indem er sich die Sicht der USA zu eigen macht, verspielt der südkoreanische Präsident jede Glaubwürdigkeit.

„Präsident Moon Jae In hat auf dem Fahrersitz Platz genommen, allerdings sitzt er im falschen Auto“, sagt Park Sun Song, Professor am Institut für Nordkorea-Studien an der Dongguk-Universität von Seoul. Der Präsident solle lieber Druck auf Washington ausüben, um die USA von ihrem Alles-oder-nichts-Kurs abzubringen, meint Park. Denn Nordkoreas Diktator werde auf gar keinen Fall einfach aufgeben. Es sei unmöglich, einen Konflikt friedlich zu lösen, wenn man dessen Ursprung nicht verstehe.

So komisch es auch klingt: Pjöngjang hat Angst, und zwar nicht vor Südkorea, sondern vor den USA. Das Regime hält eine US-Invasion für möglich, deren Ziel es wäre, die Regierung des Landes zu beseitigen, das die USA als „Schurkenstaat“ bezeichnen. Atomwaffen sind aus der Sicht des Regimes die einzige Lebensversicherung – eine Trumpfkarte des Schwachen gegenüber der militärischen Supermacht USA.

Weil der Irak eben nicht über diese gefürchtete Waffe verfügte, erlebte das Land die US-Invasion und seine Zerstörung. So jedenfalls erklärt es Pjöngjang allen, die es hören wollen. Man mag den Fall Iran dagegenhalten. Mit Teheran verhandelte Washington, obwohl das Land an der Schwelle zur Atommacht stand. Und Libyen wurde 2003 wieder in die Reihe der respektablen Staaten aufgenommen, nachdem das Land zuvor auf sein Atomwaffenprogramm verzichtet hatte. Darauf erwidert ein Gesprächspartner aus Nordkorea, der anonym bleiben will: „Man weiß, wohin das geführt hat, was all die Versprechen wert waren. Wir haben nicht all diese großen Opfer gebracht, um so zu enden.“ Dem libyschen Beispiel will man in Pjöngjang jedenfalls nicht folgen.

Tatsächlich besteht das Problem der nuklearen Proliferation auf der Koreanischen Halbinsel nicht erst seit dem derzeit regierenden Vertreter der Kim-Dynastie. „Oft wird vergessen, dass es die USA waren, die 1958 erstmals Atomwaffen auf die koreanische Halbinsel brachten“, schreibt der US-Historiker Bruce Cumings.6 Damit war – fünf Jahre nach dem gnadenlosen Krieg zwischen dem Norden und dem Süden – das Wettrüsten auf der koreanischen Halbinsel eröffnet.

Im Geheimen und mit Unterstützung der Sowjetunion entwickelten die Nordkoreaner die notwendigen technischen Fähigkeiten, unterzeichneten aber 1985 den Atomwaffensperrvertrag (Nichtverbreitungsvertrag, NVV). Der Zusammenbruch seines engsten Verbündeten, der Sowjetunion, war der ausschlaggebende Grund für Pjöngjangs Entscheidung, seinen Nuklearsektor tatsächlich zu entwickeln. Nachdem US-Präsident George H. Bush den Vorschlag Kim Il Sungs (Großvater des derzeitigen Regenten) zurückgewiesen hatte, Verhandlungen über einen formalen Friedensvertrag und einen Nichtangriffspakt aufzunehmen, startete Nordkorea 1993 erstmals eine Rakete.7

Als Bill Clinton das Amt als US-Präsident antrat, war er bereit, Pjöngjang anzugreifen, schloss dann aber 1994 doch einen Rahmenvertrag mit beachtlichen Eckpunkten: Abschaltung und Versiegelung des Atomreaktors von Nyongbyon und Überwachung dieser Anlage; Gründung eines Konsortiums, zu dem Nord- und Südkorea, die USA, Japan und die EU gehören sollten und das zwei Atomkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren bauen sollte, um den nordkoreanischen Energiebedarf zu decken; Nahrungsmittel- und Öllieferungen; Fortsetzung der Verhandlungen mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen.

Kim und Xi trafen sich nie

Quelle    :      Le Monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle     :    Kim Jong Un plays saxophone on a AK47 / Caricature

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