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Erstellt von Redaktion am Dienstag 7. Januar 2014

Stefan Ruzowitzkys Film
untersucht die Psyche von Massenmördern

Autor: Hans-Günther Dicks

Rationalgalerie

Datum: 06. Januar 2014

Wer einen solchen Titel wählt, hält sich nicht mit Halbheiten auf: „Das radikal Böse“, so könnte eine philosophische Abhandlung heißen, aber auch ein reißerischer Horrorfilm. Da schwingt moralischer Anspruch ebenso mit wie kalkulierte Provokation. Und es ist, um es gleich vorweg zu sagen, dieser extreme Spagat zwischen aufklärerischer Botschaft und künstlerischer Ambition, der Stefan Ruzowitzkys neuen Filmessay über weite Strecken förmlich zu zerreißen droht: Das radikal Künstliche seiner Inszenierung und der aufdringlichen Bildgestaltung seines Kameramanns Benedict Neuenfels sprengt immer wieder den Panzer der Beklemmung, der sich um den Zuschauer legt mit all den Experten-Interviews und Psychotests, mit denen geklärt werden soll, was Menschen zu bedenkenlosen Massenmördern und eiskalten Tötungsmaschinen macht.

Die erste und zugleich schockierendste Antwort auf diese Frage gibt der Kommentar gleich zu Beginn zu Bildern vom Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46. Mit Rohrschach-Tests, so erfährt man da, hätten die Ermittler nach Abnormitäten in der Psyche der Angeklagten gesucht, doch die Testergebnisse geheim gehalten: sie waren „zu gefährlich zum veröffentlichen: Alle waren normale Menschen.“ Und Pater Patrick Desbois, ein katholischer Holocaustforscher, der speziell die Massenerschießungen durch die „Einsatzgruppen“ der Nazis untersucht hat, meint: „Es stört mich, wenn von unmenschlichen Taten die Rede ist. Schön wär‘s! Leider ist Genozid etwas zutiefst Menschliches.“ Dazu gehört, dass anders als die Untaten in den KZs, die weitgehend im Verborgenen geschahen, die Exekutionen der Einsatzgruppen in aller Öffentlichkeit und oft vor Publikum stattfanden, laut Ruzowitzky „in einer schönen, einladenden Atmosphäre, …Zuschauer in Badehosen, es war eine Sommerferien-Atmosphäre – und als Spektakel gab es Massenmorde.“

Nazimorde als heiteres Spektakel? Ruzowitzky erzählt nicht aus der Perspektive der Opfer, sondern der Täter und in deren Originalton aus Briefen und Zeitzeugnissen, die aus dem Off verlesen werden zu neu gedrehten Bildern aus dem Soldatenalltag. Natürlich setzt er sich damit Vorwürfen aus, er verharmlose, ja entschuldige solche Taten oder wecke zumindest Verständnis dafür. Aber nicht um Verständnis, sondern ums Verstehen geht es ihm, und die Schuld der Täter betont er, indem er aufzeigt, dass sich auch Soldaten ohne wirklich gravierende Nachteile den Mordbefehlen entziehen konnten. Wichtiger noch: Aus den Feldpostbriefen spricht das Resultat der Nazipropaganda, doch die Dutzendgesichter der dazu gezeigten Soldatendarsteller und die wissenschaftlichen Tests späterer Jahre (Milgram-Experiment u.ä.) belegen die Bereitschaft zu Anpassung und mörderischem Gehorsam auch in scheinbar demokratischen Gesellschaften – statt der eingeimpften NS-Ideologie reicht oft die Berufung auf ein diffuses „wissenschaftliches Experiment“.

Die monströse Gefühllosigkeit, die aus den Briefen spricht, gesetzt gegen die Normalität des (inszenierten) Soldatenalltags, die unbarmherzige Logik der Psychotests und die Schärfe der Analysen in den Experten-Interviews – all das ist zweifellos harte Kinokost und wäre wohl kaum zu ertragen ohne die ungewöhnlichen Stilmittel, mit denen Ruzowitzkys Inszenierung immer wieder Distanz schafft zur Ungeheuerlichkeit der vermittelten Informationen. Wenn etwa die vermeintlichen „Testpersonen“ in Milgrams Anordnung unter den vermeintlichen Stromstößen vor Schmerz aufschreien, die ihnen die „Prüfer“, also die wirklichen Testpersonen als „Strafe“ zufügen, hilft das Wissen um die wahre Konstellation nur wenig gegen die bange Frage: „Und wie hätte ich als Prüfer reagiert?“

Gewiss, die rigorose Eingrenzung auf den psychologisch-psychiatrischen Aspekt der Fragestellung spart andere, nicht weniger relevante Einflussgrößen aus, und von den Macht- und Wirtschaftsinteressen, für die Kriege geführt werden, kann da schon gar nicht die Rede sein. Aber wer die in diesem Film ausgebreiteten Erkenntnisse nahe genug an sich heranlässt, so dass sie Selbsterkenntnis werden können, wird einen nachhaltigen Immunschutz gegen eilfertige Schuldzuweisungen als Gewinn aus dem Kino nach Hause tragen.

Der bundesweite Filmstart ist am 16. Januar.
Am Donnerstag, 9. Januar, findet im Babylon am Berliner Rosa Luxemburg-Platz um 20.15 Uhr eine Vorpremiere statt, mit anschließender Podiumsdiskussion (Regisseur Ruzowitzky, Christoph Heubner, Prof. Nachama und Bernd Wagner, Moderation: Knut Elstermann)

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Grafikquelle   :  Stefan Ruzowitzky (2012)

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