Nicht alles Gold glänzt
Erstellt von Redaktion am Dienstag 27. August 2019
Protest gegen Goldmine in der Türkei
Blick auf das Ida-Gebirge
Von Jürgen Gottschlich
Im Ida-Gebirge spielt Pianist Fazıl Say auf. Tausende hören ihm zu. Says Musik unterstützt eine Bewegung gegen eine naturzerstörende Goldmine.
Mitten im Wald unter einer großen Kiefer steht ein Klavier. Es ist keine ausrangierte Klimperkiste, sondern ein edler Konzertflügel, wie er sonst nur in den besten Konzertsälen der Welt zu finden ist. Aufgebaut auf einer kleinen provisorischen Holzbühne steht das Musikinstrument für den berühmtesten türkischen Konzertpianisten Fazıl Say bereit. Dabei geht es hier eigentlich gar nicht um Musik.
Um das Podest herum finden sich immer mehr Menschen ein. Manche haben Klappstühle mitgebracht, andere sitzen im ausgedörrten Spätsommergras oder unter den Bäumen rund um die Lichtung, auf der das Konzert stattfinden soll. Seit dem frühen Morgen treffen die Menschen aus allen Regionen der Türkei ein. Auf der etwa ein Kilometer entfernten kleinen Straße durch das Ida-Gebirge (Kazdağları im Türkischen) im Nordwesten der Türkei stauen sich die Busse aus Istanbul, Ankara und den Küstenstädten im Süden.
Die allermeisten Besucher kommen mit Stadtbussen, die die Verwaltung von Canakkale, der rund 40 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt, zur Verfügung gestellt hat. Um 10 Uhr am Morgen, eine Stunde vor dem geplanten Konzertbeginn, sind etliche Tausend Menschen auf der Lichtung und im umliegenden Wald versammelt. Viele von ihnen hatten allerdings einen denkbar kurzen Weg zu dem bevorstehenden Musikereignis. Sie brauchten nur aus ihrem Zelt zu schlüpfen.
Das sonntägliche Konzert im Wald des Ida-Gebirges ist der vorläufige Höhepunkt einer Protestkampagne gegen die Zerstörung der Natur durch eine Goldmine. Vor Wochen ist hier in den Bergen ein sogenanntes Widerstandscamp entstanden. Es wird täglich größer. Alle großen türkischen Umweltverbände sind vertreten, aber auch viele kleine Initiativen, die in der Umgebung von Canakkale ökologischen Landbau betreiben, wollen mithelfen, ein „Massaker an der Natur“, wie es heißt, zu verhindern.
Ein Kahlschlag in den Bergen
Die Ouvertüre zu diesem Massaker hat allerdings bereits stattgefunden. Zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit, begann die kanadische Bergbaufirma Alamos Gold schon im Juni damit, eine riesige Fläche mitten in den bis dahin weitgehend unberührten Bergen kahlschlagen zu lassen. Erst auf Satellitenbildern, die die Umweltorganisation Tema erstellen ließ, war zu erkennen, dass das Goldabbauunternehmen rund 200.000 Bäume gefällt hat, mindestens viermal so viel wie nach dem Genehmigungsbescheid zulässig. Diese Bilder von dieser Wüste mitten in einer der größten zusammenhängenden Waldregionen der Türkei haben die Menschen mobilisiert.
Um kurz vor 11 Uhr herrscht gespannte Ruhe auf der Lichtung. Wie in einem Konzertsaal sind die Besucher darum gebeten worden, ihre Handys auszuschalten und leise zu sein. Dann betritt Fazıl Say seine improvisierte Waldbühne. Der 49-jährige Künstler ist der einzige weltweit bekannte Komponist und Pianist der Türkei. Ohne ein Wort zu sagen, beginnt er unmittelbar einen Satz aus einer jüngst von ihm selbst komponierten Troja-Sinfonie zu spielen.
Das antike Troja ist nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem jetzt die Erde auf der Suche nach Gold durchwühlt werden soll. Der bewaldete Höhenzug heißt in Homers Ilias Dichtung „Ida-Gebirge“ und ist der Sitz der Götter, von dem aus Zeus den trojanischen Krieg beobachtet.
„Wir müssen für das Leben sein!“
Schon bevor Fazıl Say sich an seinen Flügel gesetzt hat, ließ er über Twitter mitteilen, warum er den Protest gegen die Goldmine mit seinem Konzert unterstützt:„Wir müssen das Massaker an der Natur verhindern“! – „Wir müssen für das Leben sein!“, schrieb er in seiner Einladung zu dem Konzert. Der Auftritt im Widerstandscamp gegen die Goldmine ist nicht die erste politische Aktion des Künstlers. Als überzeugter Republikaner und Atheist hat er sich schon mehrfach mit dem Regime des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan angelegt und ist deshalb schon einmal wegen Blasphemie zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.
„Es ist toll, dass er gekommen ist“, freut sich nicht nur Ayse Birgun, die mit ihren Freunden bereits seit drei Wochen im Widerstandscamp lebt. „Das wird unserem Protest weiteren Aufschwung geben.“ Ihren richtigen Nachnamen möchte die junge Frau aber lieber nicht nennen.
Tatsächlich ist mit dem Auftritt von Fazıl Say der Protest gegen den Goldabbau in den Kazdağları-Bergen zu einem landesweiten Thema in der Türkei geworden. „Hier soll für eine Hand voll Gold ein ganzes Ökosystem zerstört werden“, sagt vor dem Konzertbeginn der Bürgermeister von Canakkale. Ülgür Gökhan beschwört den Widerstand gegen die geplante Goldmine als lebensnotwendig.
Der Abbau des Edelmetalls ist eine der schmutzigsten und umweltschädlichsten Eingriffe in die Natur überhaupt. Um den Goldstaub aus der Erde herauszuwaschen, setzen die Bergbauunternehmen üblicherweise giftiges Zyanid ein. In großen Becken wird aus der Erde der zuvor gerodeten Fläche mithilfe des Zyanids das Gold herausgewaschen. In Berührung mit dem Gift verklumpt der Goldstaub und kann so herausgefischt werden. Zurück bleibt eine giftige Brühe, die über Jahrzehnte in Rückhaltebecken die gesamte Umgebung bedroht. Obwohl die Firma Alamos Gold beteuert, man werde dafür sorgen, dass kein Zyanid ins Grundwasser eindringen wird, ist genau das in etlichen Goldminen der Welt bereits passiert.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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