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Ein neuer Völkerverrat?

Erstellt von Redaktion am Sonntag 29. März 2020

Trumps Plan für Palästina

By Carlos Latuff.jpg

Von Alain Gresh

Israels Regierungschef Netan­jahu konnte die dritte Parlamentswahl innerhalb eines Jahres trotz Korruptionsvorwürfen knapp für sich entscheiden. Dabei kam ihm auch Trumps „Deal des Jahrhunderts“ zur Lösung des Nahostkonflikts zu Hilfe. Denn der berücksichtigt ausschließlich die Interessen Israels.

Benjamin Netanjahu sah frohgemut drein. Der israelische Regierungschef stand als Einziger neben Donald Trump, als der Präsident der USA am 28. Januar 2020 im Weißen Haus seinen lange erwarteten „Deal des Jahrhunderts“ verkündete.1 Das Publikum im Saal war eine ausgesuchte Mischung aus ultra­nationalistischen oder streng religiösen amerikanischen Juden und eks­tatischen evangelikalen Christen, die in mystische Verzückung verfielen, als Trump auf die Bibel, die heiligen Orte des Judentums und das Wunder der Existenz Israels zu sprechen kam.

Die Beziehung zwischen den USA und Israel ist symbiotischer als je zuvor. Als Trump den anwesenden US-Botschafter in Israel, einen der Architekten des Plans, als „euren Botschafter“ bezeichnete, war nicht ganz klar, ob er David Friedman als seinen Botschafter in Jerusalem oder als Botschafter Israels in Washington ansprach.

Bei der Zeremonie im Weißen Haus war auch viel von den Palästinensern die Rede. Schließlich ging es auch um ihre Zukunft und um die Zukunft ihres Landes. Allerdings kam der gesamte Plan völlig ohne die Palästinenser zustande, und so waren sie denn auch bei dieser Veranstaltung nicht vertreten. Verfasst wurde der Plan von US-Amerikanern, die allesamt überzeugte Zionisten sind, und von Israelis, die die palästinensischen Vorstellungen entweder nicht kennen oder wissentlich missachten. Was sich schon daran zeigt, dass nach dem Trump-Plan ein Drittel des Westjordanlands Israel zufallen soll.

Die wie ein Hochamt zelebrierte Verkündigung am 28. Januar weckt die Erinnerung an jene Epoche nach dem Ersten Weltkrieg, in der befrackte Diplomaten bei ihren Konferenzen zwischen Dessert und Mokka den gesamten Nahen Osten zerstückelten, ohne dass die betroffene Bevölkerung irgendeine Art von Mitsprache gehabt hätte.

In der Tradition des Kolonialismus

Ganz in diesem Geiste hat damals auch Arthur James Balfour, Außenminister des britischen Empires, über das Schicksal Palästinas entschieden, als er in einem Schreiben vom 2. November 1917 die berühmte Erklärung abgab: „Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina.“

Weniger oft zitiert wird allerdings der zweite Teil dieses Versprechens an die zionistische Bewegung. Denn Balfour spricht von einer „klaren Übereinkunft, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte“.

Die „bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften“ machten zum Zeitpunkt der Balfour-Deklaration knapp 90 Prozent der Bevölkerung Palästinas aus.2 Also wurde der weitaus größte Teil der damaligen Bevölkerung seiner politischen und nationalen Rechte beraubt. Und weder damals noch heute wurden sie gefragt; weder damals noch heute wurde ihre nationale Identität anerkannt.

Bundesarchiv Bild 105-DOA0918, Deutsch-Ostafrika, Verbrecher am Galgen.jpg

Das Konzept hatte einen Namen: Kolonialismus. Und der war im Jahr 1917 die Regel. Das britische und das französische Imperium waren davon überzeugt, ewig zu existieren und das unbestreitbare Recht zu besitzen, das Schicksal der „minderwertigen“ Völker in Afrika und Asien zu bestimmen. Ein Jahrhundert später ist das Kolonialsystem zusammengebrochen, nur ein paar Nostalgiker trauern der „devoir de civilisation“ (zivilisatorischer Auftrag) nach, auf die sich der französische Politiker Jules Ferry berief, oder der „white man’s burden“ (Bürde des weißen Mannes), die Rudyard Kipling in einem Gedicht feierte.

Doch genau diesen Geist atmet jeder Absatz in jenem „visionären“ Plan, den Präsident Trump am 28. Januar präsentierte. Aber auch Trump kann nicht darüber hinwegsehen, dass wir nicht mehr im Zeitalter des Kolonialismus leben. Weshalb er seinen Vorschlag als ausgewogen preist, weil er ja auch das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat beinhalte.

Neu ist das allerdings nicht: US-Präsident George W. Bush hat dieses Recht 2002 anerkannt. Und auch Netanjahu hat die Idee 2009 in einer Rede akzeptiert.3 Damals hatte er bereits die Konturen eines palästinensischen Staats skizziert, die jetzt auch wieder in Trumps Plan auftauchen: Völlig unabhängig von der Fläche und den genauen Grenzen des künftigen palästinensischen Staats (siehe Karte) wird dieser in Wahrheit nicht eines der Attribute aufweisen, die man normalerweise mit Staatlichkeit verbindet, angefangen bei der Souveränität.

Um diesen Mangel zu rechtfertigen, erklären die Verfasser des neuen Plans, Souveränität sei „ein dehnbares Konzept, das sich über die Zeit entwickelt hat“. Da die gegenseitige Abhängigkeit ohnehin zunehme, entscheide sich „jede Nation, mit anderen Nationen zu interagieren, indem sie Vereinbarungen abschließt, die grundlegende Parameter für jeden der Partner festlegen“. Allerdings klingt das Konzept reichlich paradox – und unfreiwillig komisch –, wenn es von zwei Staaten formuliert wird, die für sich in Anspruch nehmen, stets und ausschließlich im eigenen nationalen Interessen zu handeln.

Der demilitarisierte palästinensische Staat wird weder die Kontrolle über seine eigenen Grenzen noch über seinen Luftraum oder seine Küstengewässer haben. Sogar die Tunnel und Brücken, die die einzelnen Enklaven verbinden und so die „Kontinuität des palästinensischen Territoriums“ sicherstellen sollen, werden unter israelischer Oberaufsicht stehen. Noch die kleinste Entscheidung der Palästinenser unterliegt dem Vorbehalt, dass sie die „Sicherheit Israels“ nicht gefährden darf.

Während Washington dem israelischen Staat zugesteht, große Teile der nach dem Sechstagekrieg von 1967 besetzten Gebiete zu annektieren – und damit sämtliche Siedlungen im Westjordanland wie auch das Jordantal –, soll das Territorium des palästinensische Staats nur knapp ein Drittel des Westjordanlands umfassen. Und dies wird sogar noch als ein großartiges Zugeständnis an die Palästinenser dargestellt: „Sich aus einem Gebiet zurückzuziehen, dass im Laufe eines Defensivkriegs erobert wurde, ist eine historische Rarität“, heißt es in Abschnitt 2 der Trump’schen „Vi­sion“. Deshalb verdiene es Anerkennung, dass sich der Staat Israel bereits aus 88 Prozent der 1967 eroberten Gebiete zurückgezogen hat.4

Damit nicht genug, ist in der „Vi­sion“ ein weiterer „Transfer von beträchtlichen Gebieten durch den Staat Israel“ vorgesehen. Und zwar von Gebieten, „auf die der Staat Israel legitime rechtliche und historische Ansprüche geltend machen kann und die Teil der angestammten Heimat des jüdischen Volkes sind“. Eine verblüffende Argumentation: In der Welt von Donald Trump und Benjamin Netanjahu stellt ein Dieb, der 300 Euro ergaunert und 100 davon zurückgibt, seine Großzügigkeit unter Beweis.

Und selbst in diesem künftigen Bantustan – das erst nach vier Jahren als Staat anerkannt werden soll, falls Israel dazu grünes Licht gibt – haben sich die Palästinenser den Ansprüchen ihrer Gebieter unterordnen. Welche Logik der Unterjochung der Trump-Plan beinhaltet, zeigt sich schlagend an folgendem Beispiel: Seit der Besetzung 1967 können die Palästinenser nicht unbeschränkt bauen, zudem hat die israelische Armee hunderte ihrer Behausungen unter allen möglichen Vorwänden zerstört.

In ihrem künftigen „Staat“ sollen die palästinensischen Behörden zwar Baugenehmigungen erteilen können. Doch die Bebauungsplanung „in Gebieten an der Grenze zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Staat, einschließlich der Grenze zwischen Jerusalem und al-Quds5 , wird der ausschließlichen Sicherheitsverantwortung des Staates Israel unterliegen“ (Abschnitt 7: Sicherheit). Es genügt ein Blick auf die Karte, um zu begreifen, dass es keine Gebiete geben wird, die nicht „in Nachbarschaft“ des israelischen Staats liegen.

Quelle       :        Le Monde diplomatique         >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen       :

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